Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Kliniken prüfen alte Fälle von Essener Arzt
Ex-Arbeitgeber des 44-Jährigen, der zwei Patienten getötet haben soll, forschen auf eigene Faust nach.
ESSEN (hsr/vima/atrie/crei) Den Patienten erlösen, das Leiden der Angehörigen beenden – so soll es der Oberarzt aus Essen bei der Polizei gerechtfertigt haben. Doch haben sich die beiden Menschen ihren vorzeitigen Tod auch selbst gewünscht? Dafür gibt es laut Staatsanwaltschaft Essen keine Hinweise. Die Vorwürfe gegen den 44 Jahre alten Arzt der Uniklinik wiegen schwer: Mitte November soll er auf der Intensivstation zwei Corona-Patienten ein tödliches Medikament gespritzt haben.
Die Staatsanwaltschaft will nun herausfinden, ob es weitere verdächtige Fälle im Arbeitsumfeld des Mediziners gab. Bislang konzentrieren sich die Ermittlungen auf die Uniklinik Essen. Der beschuldigte Oberarzt war im Ruhrgebiet aber erst seit Februar angestellt und wurde nach Informationen unserer Redaktion mindestens einmal innerhalb des Hauses versetzt. Vor 2020 hat er neun Jahre lang an der Universitätsklinik Heidelberg gearbeitet, bis 2010 in der Anästhesiologie des Klinikums Lippe in Detmold. In beiden Kliniken nimmt man seine Arbeit nun genauer unter die Lupe – bislang noch auf eigene Faust.
Staatsanwaltschaft und Polizei haben sich in Heidelberg noch nicht gemeldet, teilen Sprecher der
Ehemalige Kollegin aus der Universitätsklinik Essen beiden Ex-Arbeitgeber mit. „Eine Kontaktaufnahme durch offizielle polizeiliche oder staatsanwaltschaftliche Stellen oder von Patientenseite gab es bislang nicht“, heißt es vom Klinikum Lippe. Dennoch werde das Krankenhaus den Zeitraum der Tätigkeit des 44-Jährigen auf besondere Vorfälle hin analysieren.
In Heidelberg haben Mediziner des Klinikums bereits begonnen, „eine Übersicht der Tätigkeiten zu erstellen und die Todesfälle im Wirkbereich des Arztes systematisch durch Mediziner des Klinikums aufzuarbeiten“, sagt eine Sprecherin. Auffälligkeiten seien bislang nicht bekannt. Auch in Detmold gibt es keine Hinweise auf Fehlverhalten.
Beide Patienten an der Uniklinik Essen sind an „multiplem Organversagen im Zusammenhang mit Covid-19“gestorben, sagte Oberstaatsanwältin Birgit Jürgens von der Staatsanwaltschaft Essen. „Wir stehen ganz am Anfang der Ermittlungen und müssen klären, ob und welchen Einfluss das Verhalten des Arztes auf den Tod der Patienten hatte.“Beide seien sterbenskrank gewesen. Der 47-jährige Patient war Niederländer, der 50-Jährige Deutscher. Der Niederländer war zur Behandlung seiner Covid-Erkrankung nach Essen gebracht worden. Die Leichen der beiden Männer seien obduziert worden, sagte ein Polizeisprecher. Die Ermittler haben angekündigt, demnächst die Uniklinik Heidelberg zu kontaktieren.
In seiner Station, auf der ausschließlich Corona-Patienten behandelt wurden, galt der 44-Jährige als beliebter Chef. „Eigentlich alle, die mit ihm zusammengearbeitet haben, mochten ihn“, sagt eine Kollegin. Auffälligkeiten habe es zuvor nicht gegeben. „Was er getan hat, ist nicht zu entschuldigen“, sagt die Kollegin. In der Erklärung des Arztes, er habe das Leiden lindern wollen, lässt sich möglicherweise ein Muster zu ähnlichen Taten erkennen. „Oft begründen Täter in Medizin und Pflege, sie hätten getötet, um Leiden zu lindern“, erklärt der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch. „Deshalb verdecken sie gern ihre Verbrechen mit humanen Motiven. Als Rechtfertigung werden Leidenslinderung, Erlösung oder die Vermeidung von Qualen vorgeschoben.“
„Eigentlich mochten ihn alle. Was er getan hat, ist nicht zu entschuldigen“