Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
„Die Ungewissheit fährt immer mit“
Lukas Lamla ist Notfallsanitäter und Feuerwehrmann. Er berichtet, warum ihn Corona-Leugner wütend machen.
Wenn ich übermüdet nach einem 24-Stunden-Dienst Beiträge von Corona-Leugnern lese, macht mich das wütend und traurig zugleich. Ich bin Notfallsanitäter und hauptberuflicher Feuerwehrmann bei der Stadt Dormagen. Seit der Pandemie haben sich unsere Einsätze verändert, man kann sagen, die Ungewissheit fährt immer mit. Manchmal bekommen wir in der Einsatzmeldung ein Stichwort gesagt – zum Beispiel Atemnot – manchmal wissen wir aber auch gar nichts über den Patienten. Wir kommen also zu einer Person, von der wir die Krankengeschichte nicht kennen und die wir erst einmal kennenlernen müssen. Jeder könnte ein Corona-Patient sein. Wir messen also erst einmal die Temperatur. Wenn sie erhöht ist oder der Hinweis auf Atemprobleme vorliegt, legen wir eine Schutzausrüstung an. Dazu gehört eine Kopfbedeckung, eine besondere Atemschutzmaske, eine dicke Schutzbrille und ein Schutzkittel.
Das ist für beide Seiten nicht schön: Der Anzug ist unbequem, man kommt schnell ins Schwitzen und die Brille beschlägt. Und für den Patienten ist es ein beunruhigender Anblick: Er hat auf einmal keinen Menschen mehr vor sich stehen und fragt sich vielleicht: „Wie schlimm steht es um mich, wenn die Sanitäter diese Anzüge tragen?“All das schafft Distanz und erschwert den Kontakt, weil wir keine Mimik und Gestik mehr zeigen können.
Das ist eine Maßnahme, die sich verändert hat. Dann passen wir natürlich auch unter den Kollegen auf, jede einzelne Dienstgruppe arbeitet strikt getrennt. Aber wir erkennen den Ernst der Lage, da wir immer wieder auch Kontakt zu Corona-Patienten haben und bekommen mit, dass Menschen, mit denen wir uns vorher noch unterhalten haben, plötzlich auf die Intensivstation verlegt werden müssen.
Insgesamt hat die Zahl der Einsätze zugenommen und aktuell auch die Anzahl der Patienten mit Atemwegsproblemen, das heißt die Fälle, in denen wir mit der Schutzausrüstung arbeiten müssen. Dadurch steigt auch die Arbeitsbelastung. Es gibt Dienste, die in die Knochen gehen. Wir arbeiten in 24-Stunden-Diensten, das heißt, wir fangen morgens um 8 Uhr an und die Schicht geht bis zum folgenden Tag um 8 Uhr. Manchmal gibt es Tage, da gibt es wenige Einsätze, dann erledigt man andere Dinge, kümmert sich um die Fahrzeuge, Medikamente oder Fortbildungen. Neulich aber war so ein Dienst, an dem wir tagsüber durchgerollt sind. Man hat gehofft, dass die Nacht vielleicht ruhiger wird. Aber dann wurden wir zu einem Patienten gerufen, der unter Atemnot litt. Wir wussten nicht, ob er Corona hat, aber durch seine Symptome war er ein Verdachtsverfall. Wir haben ihn maximal versorgt und es wirkte erst so, als ob es ihm besser gehen würde. Doch dann hat sich während des Einsatzes sein Zustand verschlechtert. Trotz umfangreiher Maßnahmen ist er leider verstorben. Entsprechend fertig und müde kommt man dann nach Hause. Wenn ich dann den Laptop aufklappe und Berichte von Corona-Leugnern sehe, macht mich das fassungslos. Ich bin von ihnen nur noch angenervt: Sie glauben den Fachpersonen nicht – was muss man noch machen, um sie zu überzeugen? Vielleicht sollte man ihnen ein Praktikum auf einer Intensivstation
oder als Notfallsanitäter anbieten? Ich weiß es wirklich nicht. Und dann hört man von einer sogenannten Querdenkerin, die sich auf einer zugelassenen und von der Polizei geschützten Demonstration hinstellt und sich mit Sophie Scholl vergleicht. Sophie Scholl, die sich gegen die Nazis aufgelehnt hat, in dem sie Flugblätter verteilte und dafür hingerichtet wurde. Das muss man sich mal vorstellen!
Mein entsprechender Tweet dazu hat für viel Aufsehen gesorgt. Das ist mir schon fast unangenehm. Ich bin ja nur einer von Tausenden Mitarbeitern im Rettungsdienst, denen es aktuell genau so geht.“
Protokolliert von Natalie Urbig