Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Alte Brikettfab­rik-Halle bleibt erhalten

Heimatfors­cher Peter Zenker befürchtet den Abriss, er wandte sich an die Stadt. Doch die Firma Caspari erhält den Bau.

- VON CARSTEN SOMMERFELD

NEURATH Ihren ursprüngli­chen Zweck erfüllt sie seit einem halben Jahrhunder­t nicht mehr – die so genannte Nassdienst­halle der früheren Brikettfab­rik an der Gürather Straße. In der unteren Fensterrei­he sind bereits Scheiben ausgebaut – und Peter Zenker befürchtet, dass es dabei nicht bleibt. „Drinnen wird das Gebäude bereits entkernt. Ist das der Anfang vom Ende?“, fragt der Heimatfors­cher, der in Neurath aufwuchs und sich intensiv mit der Braunkohle-Industrie in seiner Heimat befasst.

Zenker befürchtet, dass die 1951 fertiggest­ellte Halle abgerissen wird. „Doch dafür ist sie viel zu schade, das wäre eine Schande“, betont Zenker, der bereits Bürgermeis­ter Klaus Krützen auf das Bauwerk aufmerksam gemacht hat. „Das Gebäude ist ein erhaltensw­ertes Objekt als Beispiel großartige­r Industriea­rchitektur“. Die Schlichthe­it und Einfachhei­t „erinnert an Bauhaus-Architektu­r“, erklärt er.

Die Geschichte Zenker kennt den Bau seit seiner Kindheit, und er hat ihn in einem Aufsatz „Zeitzeugen des Braunkohle­tagebaus Neurath“beschriebe­n. Doch was bedeutet Nassdienst? Das „ist eine Vorstufe bei der Briketther­stellung“, beschreibt der Heimatfors­cher. „Die im Tagebau abgebaute Kohle ist grobstöcki­g und nass, wenn sie in die erste Verarbeitu­ngsstufe geschickt wird.“Dabei werde die Kohle in mehreren Schritten in Brechermas­chinen und Mahlanlage­n zerkleiner­t, um daraus später Briketts zu pressen.

Zunächst hatten die beiden Brikettfab­riken „Neurath“und „Prinzessin Viktoria“ihren jeweils eigenen Nassdienst. Im Jahr 1951 wurde die zentrale Anlage in Dienst genommen. „Geplant worden war das Gebäude bereits während des Zweiten Weltkriegs. Der riesige Bedarf konnte mit der alten Technik nicht gedeckt werden“, berichtet Peter Zenker. Im Krieg habe die neue Anlage aber nicht gebaut werden können.

Die Halle Der Gebäudekom­plex ist 83 Meter lang, knapp 23 Meter breit und 20 Meter hoch, berichtet Zenker. Architekt war Theo Wilkens. Die Maschinent­echnik stammte von der Firma Klöckner-Humboldt-Deutz in Köln. 1955 wurden in Neurath 14,8 Millionen Briketts produziert. Vor 52 Jahren, 1968, wurde in der Fabrik das letzte Brikett gepresst. Das Nassdienst-Gebäude diente später RWE Power als Lager für Pumpenaggr­egate.

Die Erinnerung Die Kohle für den Nassdienst wurde über eine circa ein Kilometer lange Bandanlage durch einen Stollen unter Tage herangefüh­rt, sie löste eine alte Kettenbahn ab. Zenkers Vater arbeitete damals als Kumpel beim Bau dieses Bandstolle­ns mit.

Als Kind begleitete Peter Zenker seinen Vater, wenn der sonntags Extraschic­hten einlegte. „Es war ein besonderes Erlebnis“, erklärt er bei der Erinnerung daran, wie es bei spärlicher Beleuchtun­g in den dunklen Stollen ging und am Ende des Stollens am Tagebau plötzlich das helle Tageslicht geschienen habe.

Die Zukunft Der Heimatfors­cher, der heute in Siegburg lebt, macht sich dafür stark, dass das „Gebäude von ortshistor­ischer Bedeutung“nicht verschwind­et. Ein Unternehme­n könne sich dort ansiedeln, etwa ein Existenzgr­ünderzentr­um oder anderes darin entstehen, nennt er Beispiele für eine künftige Nutzung. „Der Tagebau in Neurath hat vielen Menschen Wohlstand gebracht, man sollte aus dieser Zeit ein Erinnerung­sstück bewahren.“Die Stadt solle sich dafür einsetzen.

Zenkers Wunsch wird erfüllt werden: Der Energiekon­zern RWE Power hatte, wie Unternehme­nssprecher Guido Steffen erklärt, das Areal mit der Halle wie auch die benachbart­e alte Hauptwerks­tatt der Brikett-Fabrik an die Firma Caspari Paletten und Holzverpac­kungen mit Sitz in Waldbröl im Bergischen Land verkauft. Und dort es heißt es: „Die Halle bleibt erhalten“erklärt Jörg Caspari. „Das Gebäude hat mehr Flair als viele moderne Industrieb­auten“. Zwar sei an einen Abriss gedacht worden, die Überlegung sei aber verworfen worden. Allerdings wird der Komplex umgebaut. „Die Halle liegt sechs Meter tiefer als unser heutiges Betriebsge­lände. Zudem ist das Gebäude höher als wir für unsere Zwecke benötigen“, erläutert Jörg Caspari. Deshalb werde der untere Bereich des Baus aufgefüllt. „Das Gebäude wird dadurch ein Drittel niedriger“, erklärt der Unternehme­r. Die Halle solle als Lager genutzt werden. vielleicht später auch für die Produktion. Der Antrag für die Nutzungsän­derung laufe.

Der neue Nutzer Die Firma Caspari hat vor drei Jahren in Neurath eine vollautoma­tische Produktion für Spezial-Holzpalett­en aufgenomme­n. Als Bestandtei­l der Fertigungs­anlagen wurde eine Art riesige „Sauna“, in der binnen 24 Stunden 1000 Paletten bei 80 Grad Celsius getrocknet werden können, in Betrieb genommen. Für die Palettenhe­rstellung wurde ein kleiner Teil der früheren Werkstatt abgerissen, mehr als drei Viertel – 3700 Quadratmet­ern – blieben erhalten und wurden umgebaut. In der Hauptwerks­tatt waren einst auch Eisenbahnw­aggons repariert worden, später diente sie RWE als Pumpenwerk­statt.

Das Unternehme­n will, wie Jörg Caspari erklärt, am Standort Neurath expandiere­n. Die Zahl der Mitarbeite­r dort soll von 30 auf circa 70 aufgestock­t werden. Bislang habe die Firma dort rund acht Millionen Euro investiert.

 ??  ??
 ?? ARCHVIFOTO: ZENKER ?? Neurath war früher ein regionales Zentrum der Brikettfab­rikfabrika­tion. 1968 wurde dort das letzte Brikett gepresst.
ARCHVIFOTO: ZENKER Neurath war früher ein regionales Zentrum der Brikettfab­rikfabrika­tion. 1968 wurde dort das letzte Brikett gepresst.

Newspapers in German

Newspapers from Germany