Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Backen liegt seit Corona wieder im Trend
Seit dem ersten Lockdown im März hat sich der Umsatz in der „Mehlkiste“der Mühle Kottmann verfünffacht.
WEVELINGHOVEN Restaurants und Cafés sind geschlossen, Reisen fallen bis auf Weiteres aus – da gewöhnen sich viele Menschen neue Freizeitbeschäftigungen an. Eine davon ist offensichtlich das Backen. Denn die Mehlregale in den Supermärkten können oft kaum so schnell wieder eingeräumt werden, wie sie sich leeren. Auch Birgit Kottmann (45), Geschäftsführerin der Mühle Kottmann an der Brückenstraße in Wevelinghoven mit eigenem Laden „Die Mehlkiste“, merkt diesen Trend deutlich.
„Beim ersten Lockdown im März hat sich unser Umsatz verfünffacht, seit Anfang November verkaufen wir doppelt so viel wie vor der Pandemie“, berichtet die Müller-Gesellin und Industriekauffrau. Warum entdecken die Menschen plötzlich ihre Liebe zum Backen? „Mehl ist ein Grundnahrungsmittel. Darum wollen sich viele in Krisenzeiten damit eindecken“, so ihre Erklärung. Und jetzt im Advent sei das Backen von Plätzchen ja sowieso in vielen Haushalten – vor allem mit Kindern – eine lieb gewonnene Tradition.
Wenigstens auf diese Tradition muss zu Corona-Zeiten niemand verzichten: „Das Mehl wird nicht knapp, es ist genug für alle da“, versichert die Müllerin. „Allerdings kommen wir mit dem Abfüllen der Tüten derzeit kaum nach“, berichtet sie. Das Geschäftsführer-Team Birgit und Michael Kottmann hat zu dem festen Stamm von rund 50 Mitarbeitern in Mühle und Laden daher einige zusätzliche Aushilfen eingestellt, um die vielen Online-Bestellungen abarbeiten und die Regale in der „Mehlkiste“immer wieder auffüllen zu können.
Um Hamsterkäufen vorzubeugen, hängt im Fenster ein Schild mit dem Hinweis, dass pro Einkauf von jeder Sorte nur zwei Päckchen mitgenommen werden dürfen. Aber Sorten gibt es reichlich: „Jetzt im Advent verkaufen wir vor allem spezielle Backmischungen für Weihnachtsplätzchen – von Lebkuchen über Printen bis zu Spekulatius, Spritzgebäck und Vanillekipferl“, erzählt Birgit Kottmann, die die traditionsreiche Mühle gemeinsam mit ihrem Großcousin Michael bereits in der fünften Generation der Familie Kottmann führt.
Die Zutaten für die Vanillekipferl-Backmischung seien nach einem Rezept ihrer Großmutter zusammengestellt worden, erzählt sie. In der Versuchs-Backstube der Mühle werden alle Mischungen selbst entwickelt und einmal in der
Woche probegebacken, damit eine gleichbleibende Qualität gewährleistet werden könne. „Dann riecht es hier überall nach Plätzchen und Kuchen“, berichtet die Geschäftsführerin lachend, die im Advent gerne Printen und Lebkuchen isst.
Mit ihren beiden Töchtern, zehn und sieben Jahren alt, backe sie dann auch gerne gemeinsam. Damit aus der Lebkuchen-Mischung leckere Plätzchen werden, muss Wasser,
Ei und Honig oder Rübenkraut zugefügt werden. Dann ist allerdings noch ein wenig Geduld gefragt: „Wenn der Teig vor dem Backen zwei bis drei Tage im Kühlschrank ruht, ist der Geschmack noch intensiver“, so der Tipp der Müllerin.
Danach sind der Kreativität keine Grenzen gesetzt: Der Teig kann ausgestochen oder auch in Platten geschnitten und nach dem Backen zu Lebkuchenhäusern zusammengesetzt werden. Wie das geht, wird den Kindern aus der Umgebung normalerweise an einem Samstag im Herbst beim traditionellen Weihnachtsbacken gezeigt. „Aber das musste dieses Jahr leider ausfallen“, bedauert Birgit Kottmann. Aktuell dürften auch nur drei Kunden gleichzeitig im Laden sein.
Neben weihnachtlichen Mischungen und dem passenden Zubehör von Ausstechförmchen bis zu Weckmannpfeifen
gibt es im Laden der Mühle auch Mehle und Mischungen für herzhafte Brote. Was im Laden in den Tüten steckt, wurde zuvor gleich nebenan gemahlen und verpackt. Das hohe Silo der Mühle, die 1894 von der Familie Kottmann übernommen wurde, ist schon von Weitem zu sehen.
„Wir vermahlen rund 50.000 Tonnen Getreide im Jahr und haben uns auf Biogetreide und Dinkel spezialisiert“, berichtet Birgit Kottmann. Der Anteil an Biogetreide betrage 40 Prozent. Das Getreide komme aus der Europäischen Union, der Dinkel größtenteils aus dem Rheinland. Während der Laden eher „eine Herzensangelegenheit“sei, wird der Großteil des Mehls in Tankwagen mit je 25 Tonnen Fassungsvermögen abtransportiert und EU-weit verkauft – sowohl an die Industrie als auch an Bäckereien.
Beim Packen der Tüten für den Hausgebrauch sei noch eine Menge Handarbeit gefragt, viele Arbeitsschritte erfolgen halbautomatisch. So werde jede Tüte per Hand mit der Nähmaschine mit einem Baumwollfaden oben zugenäht. „Das gefällt uns besser als geklebte Tüten.“