Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Überschuss trotz abgesagtem Schützenfest
Beim Talk auf dem blauen NGZ-Sofa rechnete Martin Flecken vor, wie die Bürgerschützen die Corona-Krise meistern.
NEUSS In diesen Corona-Zeiten ist vieles anders als sonst: Nun gab es den beliebten Talk auf dem „blauen NGZ-Sofa“erstmals in digitaler Form. Der Stammplatz, das Restaurant „Essenz“im Gesellschaftshaus der Neusser Bürgergesellschaft, blieb gleich, Zuhörer gab es vor Ort aber keine.
Und dennoch war die Außenwirkung groß: Die vom Bewegtbild-Team der Rheinischen Post sorgfältig vorbereitete Online-Übertragung verfolgten bereits live knapp 50 Zuhörer. Zu Pandemiezeiten hätten nur 25 Besucher im Restaurant Platz nehmen können. Bereits einen Tag später hatten mehr als 2000 User das Video (facebook.com/ngz. neuss/videos) aufgerufen. Sie erlebten eine informative Talkstunde, zu der NGZ-Chefreporter Ludger Baten den Neusser Schützenpräsidenten Martin Flecken eingeladen hatte.
Der langjährige Neusser Redaktionsleiter der NGZ wollte das blaue Sofa nutzen, um Details zu der im November ausgefallenen Jahreshauptversammlung des Neusser Bürger-Schützen-Vereins (NBSV ) zu hinterfragen. Martin Flecken berichtete jedoch zunächst von der positiven Erfahrung, die er mit Online-Angeboten während des Schützenfestes gemacht habe. „Das Sparkassen-Schützenfest-Studio im Zeughaus hat ausnahmslos wohlwollende Reaktionen erfahren. Einige hundert Zuschauer, zum Teil ganze Züge gemeinsam, haben sich das mit großer Verweildauer angesehen. Dieses Format war bunt und abwechslungsreich, mit den Edelknaben und Musik.“
Auf die Frage nach den Kosten antwortete er: „Unterm Strich hat sich das gerechnet.“Dabei wurden auch weitere Aktionen wie der tolle Kubus vor dem Zeughaus „Wir. Schützen.Neuss“berücksichtigt.
Dann kam der Präsident zur Sache: Normalerweise kostet ein Neusser Schützenfest eine Million Euro. Der größte Ausgabeposten ist mit 330.000 Euro die Musik. Da der NSBV nicht haftet, wenn das Schützenfest aufgrund höherer Gewalt ausfällt, entstanden 2020 keine Kosten. „Manche Musikvereine nahmen die Absage mit Erleichterung.
Wegen der Pandemie konnten sie nicht proben, wollten andererseits aber leistungsstark wie immer spielen“, ergänzt der Präsident. Zu den Mietkosten für die Fackelbauhallen in Höhe von 200.000 Euro trägt die Stadt Neuss mit einem Zuschuss von 120.000 Euro in erheblichem Umfang bei. Der Bitte des Komitees, dass alle aktiven Schützen auch bei ausgefallenem Schützenfest ihren Mitgliedsbeitrag entrichten sollen, kamen die meisten nach. So standen auf der Einnahmeseite 270.000 Euro statt 300.000 Euro in Normaljahren. Irgendwie paradox: Trotz Kosten für Geschäftsstelle, Gema, Steuern und so weiter hat der NBSV bei ausgefallenem Schützenfest 130.000 Euro Überschuss erwirtschaftet.
Gleichwohl hält Martin Flecken die Gewinnung von neuen Sponsoren für eine seiner dringlichsten Aufgaben, denn das Schützenfest werde immer teurer, etwa wegen zunehmender Sicherheitsauflagen. „Und ein Schützenwesen ohne Schützenfest kann es auf Dauer nicht geben“. Da wurde die von Ludger Baten in den Raum gestellte Frage „Und 2021?“spannend. „Als Realist möchte ich im Moment nicht darauf wetten, dass das Schützenfest
2021 stattfindet“, entgegnete Martin Flecken. Gedankenspiele des Journalisten – Schützenfest OpenAir ohne Zelt, Schützenfest ohne Kirmes, die Korps marschieren getrennt oder „hybrid“: die eine Hälfte sonntags, die andere montags – wertete der Präsident als „schwer vermittelbar. Zudem entscheidet das Komitee in Gänze“.
In der abgesagten November-Jahreshauptversammlung stand auch der Präsident nach drei Jahren zur Wahl an. Wenn in 2021 gewählt werden kann, will Martin Flecken daher nur für zwei Jahre kandidieren. Im „schlimmsten aller Fälle“wird er den amtierenden Schützenkönig Kurt Koenemann fragen, ob er noch ein drittes Jahr im Amt bleibt. „Denn der König will ja auch schließlich seine Parade haben. In unserer Geschichte gab es mehrere langjährige Könige.“2021 wird es auch einen Oberstehrenabend geben, „in welcher Form auch immer“, versichert der Präsident.
Ein Exkurs in die Kommunalpolitik blieb ihm nicht erspart. Martin Flecken (CDU) hatte bei der Wahl seinen Ratssitz an Juliana Conti (SPD) verloren. Aber er arbeitet weiter als sachkundiger Bürger im Kulturausschuss der Stadt mit und, weil für ihn wichtig ist, dass Schützen in der Kommunalpolitik vertreten sind, überlegt er, auch im gleichen Ausschuss auf Rhein-KreisEbene mitzuarbeiten. „Das halte ich für sinnvoll, als Brückenbauer zwischen Stadt und Kreis“, ist sein Argument. „Was motiviert einen Ehrenamtler, sich für das Schützenwesen einzusetzen?“, fragte Ludger Baten zum Schluss. „Die Seele für das Schützenwesen schlummert tief in einem. Es hält das gesellschaftliche Leben zusammen!“Das könne man nur positiv bewerten, und es mache Freude, sich dafür zu engagieren.