Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
„Großer Vertrauensverlust in das Erzbistum“
Meik Schirpenbach hat die „Sorgen eines Landpfarrers im Rheinland“öffentlich gemacht. Seine Kritik findet bundesweit Beachtung.
Herr Schirpenbach, was sind die zentralen Themen in ihrem drei Seiten langen Brief eines Landpfarrers?
MEIK SCHIRPENBACH Mich umtreibt der große Vertrauensverlust, den ich wahrnehme. Die Umstände um die Aufarbeitung der Missbrauchsfälle im Erzbistum Köln haben dazu geführt, dass die Gläubigen in unseren Gemeinden der Bistumsleitung in Köln nicht mehr folgen können. Denn der Umgang mit dem Rechtsgutachten zu den Missbrauchsfällen und mit dem Kölner Betroffenenbeirat führen dazu, dass vor allem ein Eindruck entsteht: Es geht weniger um Aufklärung und eine Wahrnehmung der Opfer, sondern um eine Sicherung bestehender Strukturen. Das empört sehr viele Menschen.
Was hat Sie dazu bewogen, diesen Brief zu schreiben und ihn öffentlich auf die Webseite des Gemeindeverbundes zu stellen? SCHIRPENBACH Mir ging es an erster Stelle um eine Ermutigung für die Menschen in unseren Gemeinden: „Ihr seid die Kirche und lasst Euch das nicht nehmen.“Es gibt ja ein weiteres Problem, das das Vertrauen in die Kirchenleitung belastet: Mit dem sogenannten „Pastoraler Zukunftsweg“soll die radikalste Strukturveränderung der vergangenen Jahrzehnte durchgesetzt werden. Bis 2030 sollen aus mehr als 500 Pfarreien 50 bis 60 Einheiten werden. Hier vor Ort verstehen die Menschen, unsere Ehrenamtler ebenso wie die Gläubigen, nicht, warum dafür funktionierende Strukturen wie die Kirchenvorstände vor Ort zerschlagen werden sollen. Ich kann in den zahlreichen Gesprächen nicht erklären, warum die Bistumsverwaltung erneut den Weg wählt, eine so grundlegende Veränderung von oben nach unten durchzusetzen, ohne die Betroffenen wirklich zu beteiligen. Denn das geschieht vor dem Hintergrund des bereits angesprochenen Vertrauensverlusts. Ich habe meine Gedanken dazu auf unseren Webseiten öffentlich gemacht, um den rund 40.000 Katholiken in Grevenbroich und Rommerskirchen zu signalisieren, Eure Bedenken sind wahrgenommen worden, mehr noch: Sie sind damit ausgesprochen worden.
Was wollen Sie erreichen und was wollten Sie, beim Schreiben Ihres Briefes, auf jeden Fall vermeiden? SCHIRPENBACH Die Katholische Kirche
ist mir zu wichtig, als ich einfach über die große Arroganz hätte hinweg gehen können, mit der Einwänden begegnet wird. Deshalb habe ich versucht, die Missstände klar und konstruktiv zu benennen. Dabei wollte ich meine Kritik nicht gegen einzelne Personen richten. Es geht nicht darum, Schuldige ausfindig zu machen, sondern eine Fehlentwicklung zu korrigieren. Angesichts der großen Probleme, die
Die Katholische Kirche steht sicherlich nicht gerne in der Kritik. Wie viel Mut brauchten Sie für ihren Schritt in die Öffentlichkeit, den Sie nun gewagt haben? SCHIRPENBACH Eigentlich bin ich jemand, der Kraft im Gebet und in der Meditation findet. Wenn Sie so wollen: jemand, der kontemplativ, der nach innen gekehrt ist. Aber jetzt war mir mit einem Mal klar, dass ich mich äußern muss. Dass ich nicht schweigen darf, weil ich dies den Gläubigen hier bei uns in Grevenbroich und Rommerskirchen schuldig bin. Ich bin hier als leitender Pfarrer für 40.000 Gläubige verantwortlich und muss deshalb den Mund aufmachen.
Welche Reaktionen gab es? SCHIRPENBACH In der einen Woche seit der Veröffentlichung haben mich sehr viele positive Reaktionen erreicht. Viel mehr, als ich erwartet hatte. Bislang kam keine negative Stimme. Viele Menschen sagen mir, dass dies endlich mal ausgesprochen werden musste. Sehr froh bin ich, dass viele Menschen aus unseren Gemeinden sagen: „Jetzt wollen wir erst recht weiter mitarbeiten.“Überrascht bin ich darüber, welche Kreise mein Text zieht. So habe ich beispielsweise Reaktionen aus Bayern und aus Berlin bekommen, die betonen, endlich sagt es einmal ein Pfarrer. Aus Köln gab es bislang keine offizielle Stellungnahme. Das hatte ich aber auch nicht erwartet.
Ein Großprojekt wie die Strukturreform der Pfarreien bis 2030 wird schwer zu stoppen sein. Wie soll es jetzt weitergehen? SCHIRPENBACH Wir in Grevenbroich und Rommerskirchen arbeiten bereits in einer Struktur und einer Größenordnung, die nun für das gesamte Bistum ausgerollt werden soll. Uns verwundert, dass aus Köln niemand fragt, was ist bei Euch positiv und was muss noch verbessert werden? Diese Chance hat die Bistumsverwaltung nicht genutzt, sondern versucht, eine neue, radikal andere Struktur von oben nach unten durchzusetzen.
Was hätten Sie mitgeteilt? SCHIRPENBACH Viele Gläubige nehmen es als positiv wahr, dass sie nun eine größere Vielfalt in der Kirche erleben. Von uns Pfarrern hat jeder seine Stärken und Schwächen. Früher kam man entweder mit einem Pfarrer gut aus – oder eben nicht. Das ist heute in Grevenbroich und Rommerskirchen anders – so wie wir als Gesellschaft ja nicht mehr in abgeschlossenen Dörfern leben. Wir sind hier bemüht, all das, was vor Ort funktioniert, zu stärken und den großen Verband nachrangig dort einzusetzen, wo andernfalls nichts wäre. Zugleich ist meine Erfahrung, dass jede Gemeinde ihren eigenen Charakter hat. Uns als Geistliche fordert es sehr stark. Wir müssen uns jeweils auf die konkreten Bedürfnisse und Erwartungen einstellen. Das geht manchmal bis an die Belastungsgrenze heran.