Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Teurer Stau im Suezkanal
Ein riesiger Frachter läuft auf Grund – und blockiert zehn Prozent des maritimen Welthandels.
ISTANBUL Ein Nadelöhr des Welthandels ist verstopft: Am südlichen Ende des Suezkanals ist ein riesiger Frachter auf Grund gelaufen und hat sich quergestellt. Fast einen Tag nach der Havarie am Dienstagabend saß der Container-Frachter „Ever Given“am Mittwoch noch fest. Die ägyptischen Behörden gaben sich zuversichtlich, dass die Wasserstraße bald wieder geöffnet werden könne. Vorerst war der Schiffsverkehr aber in beiden Richtungen blockiert: Am Nord- und Südende des Kanals, durch den rund zehn Prozent des maritimen Welthandels transportiert werden, stauten sich rund 100 Frachter und Tanker.
Die „Ever Given“, die unter der Flagge von Panama fährt, ist einer der größten Frachter der Welt und kann 20.000 Container transportieren. Das voll beladene Schiff war auf dem Weg von China nach Rotterdam, als es kurz nach der Einfahrt in die südliche Öffnung des Kanals auf Grund lief. Nach Angaben des Schiffsbetreibers, der taiwanesischen Reederei Evergreen, wurde das 220.000-Tonnen-Schiff von starken Winden eines Sandsturms vom Kurs abgedrängt. In anderen Berichten war von einem nicht näher definierten „Blackout“die Rede.
Ob auch menschliches Versagen im Spiel war, blieb offen: Schiffsexperte Salvatore Mercogliano von der Campbell-Universität in den USA sagte der Nachrichtenagentur AP, viele Seeleute dürften wegen der Pandemie ihre Schiffe seit Monaten nicht verlassen und seien wegen der steil ansteigenden Nachfrage nach Frachtkapazitäten erschöpft.
Enge Wasserstraßen wie der Suezkanal oder die Straße von Hormus im Persischen Golf sind anfällig für Störungen oder Anschläge, weil relativ kleine Zwischenfälle eine große Wirkung haben können. Der 190 Kilometer lange Suezkanal ist stellenweise weniger als 200 Meter breit. Die riesige „Ever Given“blockierte deshalb den gesamten Verkehr. Ihr Bug steckte am westlichen Kanalufer fest, während ihr Heck das östliche Ufer berührte.
Wie lange es diesmal dauern wird, bis der Verkehr wieder fließt, war am Mittwoch offen. Mehrere Schlepper versuchten, die „Ever Given“wieder ins Fahrwasser zu bekommen. Am Ufer des Kanals wurden zudem Bagger
eingesetzt, um den Kanal an der Unfallstelle zu vertiefen. Ein ägyptischer Behördenvertreter sagte, es werde mindestens zwei Tage dauern, bis der Koloss wieder frei sei. Die Behörden leiteten einige wartende Schiffe auf einen älteren Teil des Kanals um, um die „Ever Given“umgehen zu können. Dennoch stauten sich viele Schiffe am nördlichen und südlichen Ende des Kanals zwischen dem Roten Meer und dem Mittelmeer.
Jedes Jahr passieren rund 19.000 Schiffe den Kanal, der den Frachtern auf dem Weg zwischen Europa und Asien eine Runde um den afrikanischen Kontinent erspart. Der 1869 eröffnete Kanal wird derzeit erweitert und soll im Jahr 2023 hundert Schiffen am Tag die Durchfahrt ermöglichen, doppelt so vielen wie bisher. Die Durchfahrtgebühren für den Suezkanal, die mehrere Hunderttausend Euro pro Schiff betragen können, bringen dem ägyptischen Staat jährliche Einnahmen von etwa 4,5 Milliarden Euro.
Selbst bei problemlosem Verkehr auf dem Kanal müssen Schiffe stundenlang auf die Durchfahrt warten. Die Wartezeiten und die hohen Gebühren hatten in jüngster Zeit immer mehr Schiffseigner dazu veranlasst, die Route um Afrika herum zu wählen – dieser Trend könnte sich nach der Havarie der „Ever Given“verstärken. Weil so viele Öltanker auf dem Weg nach Europa vorerst nicht weiterkommen, stiegen die Ölpreise am Mittwoch, nachdem sie in den vergangenen Tagen stark gefallen waren. Der Nachrichtenagentur Reuters zufolge steckten am Mittwoch Tanker mit rund 13 Millionen Barrel Öl (je 159 Liter) an Bord wegen des Schiffsunfalls fest. Das sind mehr als zehn Prozent des täglichen Bedarfs weltweit.
Experten erwarteten jedoch keine dauerhaften Folgen für die Ölpreise, wenn die „Ever Given“bald wieder freikommt. Anders könnte es jedoch bei den Containern aussehen. Als der internationale Handel im vergangenen Jahr wegen der Corona-Pandemie zum Erliegen kam, strandeten viele leere Container in Europa und in den USA, nachdem sie für Exporte aus Asien dorthin benutzt worden waren. Das verknappte beim Neustart des Handels vor einigen Monaten die Zahl der verfügbaren Container und ließ die Preise in die Höhe schnellen.