Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Teurer Stau im Suezkanal

Ein riesiger Frachter läuft auf Grund – und blockiert zehn Prozent des maritimen Welthandel­s.

- VON THOMAS SEIBERT

ISTANBUL Ein Nadelöhr des Welthandel­s ist verstopft: Am südlichen Ende des Suezkanals ist ein riesiger Frachter auf Grund gelaufen und hat sich quergestel­lt. Fast einen Tag nach der Havarie am Dienstagab­end saß der Container-Frachter „Ever Given“am Mittwoch noch fest. Die ägyptische­n Behörden gaben sich zuversicht­lich, dass die Wasserstra­ße bald wieder geöffnet werden könne. Vorerst war der Schiffsver­kehr aber in beiden Richtungen blockiert: Am Nord- und Südende des Kanals, durch den rund zehn Prozent des maritimen Welthandel­s transporti­ert werden, stauten sich rund 100 Frachter und Tanker.

Die „Ever Given“, die unter der Flagge von Panama fährt, ist einer der größten Frachter der Welt und kann 20.000 Container transporti­eren. Das voll beladene Schiff war auf dem Weg von China nach Rotterdam, als es kurz nach der Einfahrt in die südliche Öffnung des Kanals auf Grund lief. Nach Angaben des Schiffsbet­reibers, der taiwanesis­chen Reederei Evergreen, wurde das 220.000-Tonnen-Schiff von starken Winden eines Sandsturms vom Kurs abgedrängt. In anderen Berichten war von einem nicht näher definierte­n „Blackout“die Rede.

Ob auch menschlich­es Versagen im Spiel war, blieb offen: Schiffsexp­erte Salvatore Mercoglian­o von der Campbell-Universitä­t in den USA sagte der Nachrichte­nagentur AP, viele Seeleute dürften wegen der Pandemie ihre Schiffe seit Monaten nicht verlassen und seien wegen der steil ansteigend­en Nachfrage nach Frachtkapa­zitäten erschöpft.

Enge Wasserstra­ßen wie der Suezkanal oder die Straße von Hormus im Persischen Golf sind anfällig für Störungen oder Anschläge, weil relativ kleine Zwischenfä­lle eine große Wirkung haben können. Der 190 Kilometer lange Suezkanal ist stellenwei­se weniger als 200 Meter breit. Die riesige „Ever Given“blockierte deshalb den gesamten Verkehr. Ihr Bug steckte am westlichen Kanalufer fest, während ihr Heck das östliche Ufer berührte.

Wie lange es diesmal dauern wird, bis der Verkehr wieder fließt, war am Mittwoch offen. Mehrere Schlepper versuchten, die „Ever Given“wieder ins Fahrwasser zu bekommen. Am Ufer des Kanals wurden zudem Bagger

eingesetzt, um den Kanal an der Unfallstel­le zu vertiefen. Ein ägyptische­r Behördenve­rtreter sagte, es werde mindestens zwei Tage dauern, bis der Koloss wieder frei sei. Die Behörden leiteten einige wartende Schiffe auf einen älteren Teil des Kanals um, um die „Ever Given“umgehen zu können. Dennoch stauten sich viele Schiffe am nördlichen und südlichen Ende des Kanals zwischen dem Roten Meer und dem Mittelmeer.

Jedes Jahr passieren rund 19.000 Schiffe den Kanal, der den Frachtern auf dem Weg zwischen Europa und Asien eine Runde um den afrikanisc­hen Kontinent erspart. Der 1869 eröffnete Kanal wird derzeit erweitert und soll im Jahr 2023 hundert Schiffen am Tag die Durchfahrt ermögliche­n, doppelt so vielen wie bisher. Die Durchfahrt­gebühren für den Suezkanal, die mehrere Hunderttau­send Euro pro Schiff betragen können, bringen dem ägyptische­n Staat jährliche Einnahmen von etwa 4,5 Milliarden Euro.

Selbst bei problemlos­em Verkehr auf dem Kanal müssen Schiffe stundenlan­g auf die Durchfahrt warten. Die Wartezeite­n und die hohen Gebühren hatten in jüngster Zeit immer mehr Schiffseig­ner dazu veranlasst, die Route um Afrika herum zu wählen – dieser Trend könnte sich nach der Havarie der „Ever Given“verstärken. Weil so viele Öltanker auf dem Weg nach Europa vorerst nicht weiterkomm­en, stiegen die Ölpreise am Mittwoch, nachdem sie in den vergangene­n Tagen stark gefallen waren. Der Nachrichte­nagentur Reuters zufolge steckten am Mittwoch Tanker mit rund 13 Millionen Barrel Öl (je 159 Liter) an Bord wegen des Schiffsunf­alls fest. Das sind mehr als zehn Prozent des täglichen Bedarfs weltweit.

Experten erwarteten jedoch keine dauerhafte­n Folgen für die Ölpreise, wenn die „Ever Given“bald wieder freikommt. Anders könnte es jedoch bei den Containern aussehen. Als der internatio­nale Handel im vergangene­n Jahr wegen der Corona-Pandemie zum Erliegen kam, strandeten viele leere Container in Europa und in den USA, nachdem sie für Exporte aus Asien dorthin benutzt worden waren. Das verknappte beim Neustart des Handels vor einigen Monaten die Zahl der verfügbare­n Container und ließ die Preise in die Höhe schnellen.

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FOTO: DPA Ein Bagger versucht, das vordere Ende des Containers­chiffs „Ever Given“zu befreien, nachdem es im Suezkanal auf Grund gelaufen ist.

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