Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Die letzte Bilanz

- VON ANTJE HÖNING

Nach 32 Jahren im Unternehme­n geht Eon-Chef Johannes Teyssen in den Ruhestand. Er hat den größten deutschen Energiekon­zern durch viele Wirren geführt und neu aufgestell­t. Insgesamt 10.000 Stellen sollen dafür wegfallen.

DÜSSELDORF Ein bisschen wehmütig ist Johannes Teyssen schon, als er am Mittwoch zum letzten Mal eine Eon-Bilanz vorlegt. 32 Jahre hat der Jurist in der Eon-Welt gearbeitet – beim Vorgänger Veba, bei Preußenele­ktra und seit Mai 2010 als Konzernche­f. Nun übergibt der 61-Jährige das Steuer an Leonhard Birnbaum und will selbst erst mal die „Festplatte neu formatiere­n“, wie er sagt. Heißt: aussteigen und Abstand gewinnen. Eine „Sünde“habe er allerdings schon begangen und beim Ölkonzern BP im Board angeheuert, sagt der Düsseldorf­er Manager.

Bei Eon geht er mit einer gemischten Bilanz: Teyssen hat den Konzern, der aus der Fusion von Veba und Viag entstanden und durch die Ruhrgas-Übernahme noch größer geworden war, immer wieder umgebaut und aus dem tiefen Tal geführt, in das der Atomaussti­eg und die verschlafe­ne Energiewen­de die ganze Branche gestürzt hatten. Er erlitt Schiffbruc­h in Brasilien. Erfolgreic­h spaltete Teyssen dagegen die Kraftwerke in Uniper ab, übernahm Innogy von RWE und ordnete zusammen mit dem Wettbewerb­er die Energiewel­t neu: RWE ist seither Ökostromko­nzern, Eon ein Netzriese mit 50 Millionen Kunden.

An der Börse aber hat der alte Erzrivale RWE das Rennen gemacht. Eon konnte seinen Kurs seit Ankündigun­g der Neuordnung nur um zehn Prozent steigern. „Natürlich hätte ich mir einen höheren Kurs zum Abschied gewünscht“, sagte Teyssen. Aber es komme auf die langfristi­ge Perspektiv­e an: „Eon ist die Drehscheib­e der Energiewen­de, jetzt gilt es, den Märkten die neue Stärke des Konzerns zu vermitteln.“

Manche sagen, Eon sei zu einem langweilen Netzkonzer­n mit einem größtentei­ls regulierte­n Geschäft geworden. Das sieht der scheidende Chef anders: „Die Infrastruk­tur ist das eigentlich attraktive Geschäft, denn durch unsere Netze geht alles – konvention­eller und Ökostrom.“

Tatsächlic­h steuerte das Netzgeschä­ft im vergangene­n Jahr mit 3,3 Milliarden Euro den größten Teil des Gewinns (vor Zinsen und Steuern)

von 3,8 Milliarden Euro bei. Aus dem Stromverka­uf kommen nur rund 450 Millionen Euro. Teyssen freute sich, dass er für 2020 einen kräftigen Gewinnanst­ieg verkünden konnte – nämlich um 17 Prozent. Und das, obwohl der Winter so warm wie nie war, was für einen Stromkonze­rn keine gute Nachricht ist. „Unser neues Geschäftsm­odell ist pandemie- und wetterfest“, so Teyssens Fazit. Die Dividende soll für 2020 von 46 auf 47 Cent je Aktie steigen.

Auch habe man zwei Sorgenkind­er in den Griff bekommen: erstens das britische Geschäft, das Innogy zum großen Teil in die Ehe eingebrach­t hatte. Zwar steuerte es 2020 nochmal einen auf 129 Millionen Euro gestiegene­n Verlust bei, Hunderttau­sende Kunden gingen verloren. Doch nun sei das Geschäft in der Spur, versichert­e Teyssen. Zweitens habe man den Märkten die Sorge vor der hohen Verschuldu­ng genommen: Eon weist eine

Nettoversc­huldung von 40,7 Milliarden Euro aus.

Auch soll der Umbau wie versproche­n 780 Millionen Euro Einsparung­en bringen. Dazu will Eon wie geplant bis zu 5000 Arbeitsplä­tze abbauen. Derzeit hat der Konzern 78.000 Beschäftig­te. Jeweils 800 Stellen sollen in Essen und Dortmund wegfallen. Näheres zu den Standorten will der Konzern nicht sagen. Zudem hat Eon in Großbritan­nien Tausende Stellen gestrichen. „Mittelfris­tig wird Eon 10.000 Mitarbeite­r weniger haben“, erwartet Teyssen. Tatsächlic­h gibt es noch Unwuchten: Obwohl das Vertriebsg­eschäft nur einen kleinen Anteil am Gewinn hat, sind hier doch 30.000 Mitarbeite­r tätig.

Am 1. April übernimmt Leonhard Birnbaum das Steuer, der 2013 von RWE gekommen war. Der 54-Jährige bedankte sich bei seinem langjährig­en Chef: „Ich übernehme von dir ein wohlbestel­ltes Haus, wir wollen dich stolz machen, wenn du künftig von außen auf Eon schaust.“Birnbaum will den Konzern nun stärker auf Nachhaltig­keit ausrichten und die Digitalisi­erung vorantreib­en. Da Stromerzeu­gung immer dezentrale­r wird, ist hier viel zu holen.

Beim Thema Diversity hat Eon noch einiges vor sich: Zwar kommt mit Victoria Ossadnik nun eine Frau in den Vorstand, die für Digitales zuständig sein wird. Doch in einem kleinen Abschiedsf­ilm, den der Konzern Teyssen zum Abschluss der letzten Pressekonf­erenz schenkte, kamen zahlreiche Wegbegleit­er zu Wort – darunter nur eine Frau. Die überwiegen­d männlichen Wegbereite­r aus Politik und Wirtschaft lobten Teyssens Klugheit, seine Innovation­sfreude und klaren Worte. Tatsächlic­h waren leere Managerphr­asen seine Sache nie. Womöglich hat ihn davor auch seine Familie bewahrt: Teyssen hat vier erwachsene Kinder. Seinem Nachfolger versprach er: „Ich werde nicht wie ein Geist durch die Kulisse schweben.“

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QUELLE: UNTERNEHME­N FOTO: DPA | GRAFIK: FERL

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