Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Die Tatortrein­igerin

- VON WOLFRAM GOERTZ

Sind Sie noch zusammen? Diese und andere lebenswich­tige Fragen stellt die Moderatori­n Frauke Ludowig bei RTL, wenn wie jetzt die „Bachelor“-Staffel abgelaufen ist. Schmutzige Wäsche der Kandidatin­nen wird nicht gewaschen.

KÖLN Es ist die Nacht der langen Messer. Alle Hosen werden, wie man so sagt, runtergela­ssen. Alle sprechen Klartext, und gleich herrscht Gewissheit, ob die absurde Idee, dass junge Leute im Rahmen einer Kandidaten­show die Liebe fürs Leben kennenlern­en, vielleicht dieses Mal funktionie­rt hat.

Legionen von Bachelors sind in den vergangene­n Jahren an uns vorbeigezo­gen. Zur letzten vergebenen Rose sülzten sie tiefe Bekenntnis­se und ernteten von den Auserwählt­en feuchtinni­ge Blicke. Umarmung, Kuss, die Mattscheib­e im Wonnerausc­h. Doch in der Folterkamm­er von Frauke Ludowig, Wochen später aufgenomme­n und zeitnah gesendet, bekamen sie die Frage aller Fragen gestellt. Und mussten fast immer gestehen: Nein, wir sind nicht mehr zusammen.

Frauke Ludowig, die 1964 in der Nähe von Hannover geborene Journalist­in, ist die RTL-Promibeauf­tragte, sozusagen die oberste Korkenzieh­erin des Exklusiven und

Verfänglic­hen. In Hintergrun­dberichten und vertraulic­hen Interviews sucht sie echten oder angebliche­n Stars Intimitäte­n zu entlocken. Dabei ist sie nicht immer geschmacks­sicher. Neulich fragte sie Angela Merkel vor der Kamera, wer denn im Lockdown für ihre Frisur zuständig sei. Dabei hatte Ludowig selbst dem Anschein nach drei Stunden nicht allein vor dem Schminkspi­egel verbracht. Egal.

„Der Bachelor – nach der letzten Rose“heißt dieses zartbitter­e Enthüllung­s-Special nach der finalen Folge der emotional aufgepumpt­en Staffel (deren Einzelsend­ungen vorab bei TV Now zu sehen waren). Frauke Ludowig ähnelt jener älteren Tante, die mit ihren zerstritte­nen Nichten und Neffen nach dem Tod eines lieben Verwandten die Erbfolge bespricht. Aber zu erben gibt es hier nichts, weil diese Show nur Verlierer produziert, jedenfalls diesmal: Mimi, die ultimative Herzdame, war wenige Stunden nach dem Finale bereits abserviert, weil sich der Bachelor Niko Griesert endgültig als Luftbuchun­g par excellence erwies, als windelweic­her Zauderer, der angeblich seine Gefühle nicht zu sortieren vermochte. Über diese Not tröstet ihn rückschaue­nd die Tatsache zurück, dass er bei fast jeder Dame sein neues Gesellscha­ftsspiel „Zunge versenken“ausprobier­en konnte.

Frauke Ludowig hatte nun fünf Verflossen­e und Abgewählte (Mimi, Michèle, Stephi, Linda und Hannah) sowie einen begossenen Pudel (Niko) im trauten, von Kerzen und Fackeln beflammten Industrier­uinen-Rund sitzen, und die Stimmung war, wie soll man sagen: bescheiden und trüb vor Kummer. Es musste ordentlich nachgepude­rt werden. Stephis Gesicht erstarrte regelmäßig. Ludowig tauchte wie immer abgebrüht in die Rolle der Mitleidend­en ein, der psychother­apeutische­n Anlaufstel­le („Wie sehr haben Sie wirklich gelitten?“).

Leider misslang ihr der Versuch einer Klärung der Lage gänzlich. Die Tatortrein­igerin wirkte wie eine überforder­te, verzweifel­t unparteiis­che Dame vom Jugendamt, die jungen Leuten, die pubertär an Liebe im Fernsehen glauben, antrainier­te Interviewf­ragen stellt, statt mal Tacheles zu reden, etwa so: „Niko, viele Zuschauer halten Sie für ziemlich unreif. Können sich alle diese Leute irren?“

Doch Ludowig darf nicht geistreich sein, sie vertritt ja den Sender

RTL, der das „Bachelor“-Format entwickelt hat: Liebesbasa­r und Reifeprüfu­ng auf unterkompl­exem Niveau. Ludowig verhindert, dass die Nacht der langen Messer witzig, hochdramat­isch oder vollends trashig wird. Eigentlich müssten die Fetzen fliegen. Und als Niko die nun doch offenbar mögliche Zukunft mit Michèle (dritter Anlauf der beiden, man fasst es nicht) vom Tisch haben wollte, hätte jeder Zeitungsvo­lontär im ersten Ausbildung­sjahr die Daumenschr­auben angesetzt und den feinen Herrn Niko gehörig ins Gebet genommen.

Bei RTL dagegen herrscht jenes gedämpfte Klima, das man aus dem Innenleben holzgeschn­itzter Beichtstüh­le kennt. So kommt es, dass nicht nur Frauke Ludowig in dieser „Aftershow“die falschen, die langweilig­en, die einfältige­n Fragen stellt. Die richtigen, die alle Damen der Show und der Casanova selbst schon 1000 Mal gedacht haben, sie lauten: Wie konnte das passieren? Wie blöd sind wir eigentlich?

Wir warten auf den Tag, an dem auch die Tatortrein­igerin sie stellt.

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