Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Plötzlich obdachlos

- VON BEATE BERRISCHEN

Durch verschiede­ne Umstände verliert eine junge Frau zuerst ihren Job und dann die Wohnung. Mit dem „Wohnprojek­t für Frauen in schwierige­n Lebenslage­n“gelingt es ihr, die Abwärtsspi­rale zu durchbrech­en.

NEUSS Es begann damit, dass Sarah ihren Job verlor. Zwei Jahre ist das her. Danach ging es im Eiltempo bergab: Sie brach zu den meisten Freunden den Kontakt ab, weil sie sich schämte, arbeitslos zu sein. Eine Familie, die ihr Rückhalt bot, gab es nicht. Sie wurde antriebslo­s. Anträge, die sie hätte stellen müssen, blieben liegen. Briefe wurden nicht mehr geöffnet. Schulden häuften sich an und schließlic­h war die Wohnung weg. Obdachlos.

„Einzelne Nächte war ich draußen, aber meistens habe ich es geschafft, irgendwo unter zu kommen“, erzählt sie. Nach mehreren Monaten erhält sie vom Sozialamt ein Zimmer im Kolpinghau­s am Burggraben. Der erste Schritt aufwärts. Der zweite: Ihr zuständige­r Sozialarbe­iter merkt, dass Sarah allein mit einem Zimmer nicht geholfen ist und er schafft es, für sie einen Platz im „Wohnprojek­t für Frauen in schwierige­n Lebenslage­n“zu ergattern.

Seit Juli 2020 stehen dort elf möblierte Einzimmera­partments, eine Gemeinscha­ftsküche und ein Gemeinscha­ftsraum

„Wir erstellen zusammen mit den Frauen einen Hilfeplan“

Constanze Schackert Diplom-Sozialarbe­iterin

obdachlose­n Frauen zur Verfügung. Das Entscheide­nde aber ist: drei Sozialarbe­iterinnen und zwei Pflegekräf­te betreuen die Frauen und helfen ihnen, einen Weg aus der Obdachlosi­gkeit zu finden. „Wir erstellen mit den Frauen einen Hilfeplan“, erklärt Constanze Schackert, Diplom-Sozialarbe­iterin und Leiterin des Projekts. Darin werden individuel­le Ziele vereinbart. Sarahs Hilfeplan sieht vor, dass sie wieder Herr über das Chaos rund um Sozialhilf­e, Versicheru­ngen, Gläubigern und Co. wird und dazu Hilfe annimmt. Letzteres fällt ihr besonders schwer. „Meine Betreuerin hat viele Anläufe gebraucht“, erzählt sie. Doch dadurch, dass man ihr Zeit gelassen und sie nicht bedrängt habe, war sie schließlic­h bereit, sich helfen zu lassen.

Gemeinsam mit ihrer Betreuerin machte sie Termine beim Amt, bei der Schuldnerb­eratung, beim Arzt und ließ sich jeweils auch dorthin begleiten. „Gestern bin ich zu einem Gespräch sogar erst allein reingegang­en“, erzählt sie stolz. Irgendwann musste die Betreuerin zwar wieder dazu kommen, trotzdem war es ein wichtiger Schritt. Auch andere Ziele aus ihrer Vereinbaru­ng hat sie schon erreicht. „Bei der Schuldnerb­eratung ist alles geklärt“, so die Neusserin. Einkäufe erledigt sie alleine, Briefe werden wieder geöffnet und regelmäßig bespricht sie mit ihrer Betreuerin, welche Aufgabe als nächstes ansteht und wie dieses Ziel zu erreichen ist.

Spezielle Regeln für die Apartments gibt es dagegen nicht. „Hier dürfen die Frauen alles, was auch in einer ganz normalen Mietwohnun­g erlaubt ist“, betont Schackert. Zwar

Die Personalko­sten Diese werden von der St.-Augustinus-Gruppe, der Stadt Neuss und dem LVR getragen. Die Mietkosten werden in der Regel vom Sozialamt oder dem Jobcenter übernommen.

Auslastung Aktuell sind alle Apartments belegt und es gibt zahlreiche Anfragen. Wer einen Platz erhält, regelt die Fachstelle Wohnen des Sozialamte­s. haben die Betreuerin­nen einen Zweitschlü­ssel, aber der sei nur für Notfälle. „Ansonsten ist das komplett ihr eigenes Reich.“Für die Gemeinscha­ftsräume dagegen gibt es einen Putzplan, der von den Frauen selbst aufgestell­t wurde. Sie sind alle gerne dort und verbringen Zeit miteinande­r. „Wir haben eine Nähgruppe, an der sich viele beteiligen, eine Kochgruppe, andere malen zusammen“, listet die Leiterin des Projekts auf.

In acht Monaten läuft Sarahs Mietvertra­g aus. „Bei Bedarf kann er aber um ein Jahr verlängert werden“, so Schackert. Und: Wenn die 26-Jährige es möchte, betreuen die Sozialarbe­iterinnen sie auch nach ihrem Auszug eine Zeitlang weiter. Sarah nickt eifrig. Wieder ganz auf eigenen Beinen zu stehen, traut sie sich noch nicht zu. Aber sie ist sicher: Das Wohnprojek­t war das Beste was Ihr passieren konnte, um die Abwärtsspi­rale zu durchbrech­en.

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FOTO: WOI „Einzelne Nächte war ich draußen, aber meistens habe ich es geschafft, irgendwo unter zu kommen“, sagt Sarah über ihre Zeit als Obdachlose.

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