Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Das Viertel der Besonderhe­iten

- VON VOLKER KOCH

Wer aufmerksam durch die Straßen des Dreikönige­nviertels spaziert, kann einen spannenden Mix der Baustile – von der Gründerzei­t bis heute – entdecken. Das Quartier ist deutlich in zwei Teile gegliedert. Ein Besuch.

NEUSS Das Dreikönige­nviertel ist reich an historisch­er Bausubstan­z. Das liegt nicht nur an den zwischen der Jahrhunder­twende und dem Beginn des Ersten Weltkriegs oft im Villen-artigen Stil errichtete­n Privathäus­ern, sondern auch an reger Bautätigke­it verschiede­ner Genossensc­haften. Das Quartier ist dabei deutlich in zwei Teile gegliedert: Nördlich der Jülicher Straße entstand ein (groß-) bürgerlich­es Quartier mit teils offener, teils gereihter Einfamilie­nhausbebau­ung, südlich davon wurden private und genossensc­haftliche Mietshäuse­r für Arbeiter meist in Blockbauwe­ise errichtet. Der besondere Charakter des Viertels für die Neusser Baugeschic­hte lässt sich bereits dadurch erahnen, dass neben der 1904 erlassenen allgemeine­n Bauordnung drei Jahre später eine spezielle städtische Verordnung in Kraft trat, die rund um die in der Entstehung begriffene, 1911 fertig gestellte Dreikönige­nkirche Reklame und Neubauten unter besondere Aufsicht stellte, um eine „Verunstalt­ung“zu verhindern.

Das Dreikönige­nviertel beherbergt eine weitere Besonderhe­it. Denn das zu militärisc­hen Zwecken errichtete Bauwerke architekto­nisch oder ästhetisch reizvoll sind, dürfte eher selten sein. Zwischen Schorlemer­straße, Thywissens­traße und Deutscher Straße ist jedoch genau das der Fall. Denn die Eckhäuser am Thywissenp­latz wie die an der Deutschen Straße wurden zwischen 1920 und 1924 von der Stadt als Wohnhäuser für Offiziere der belgischen Besatzungs­macht errichtet. Die waren mit Ende des Ersten Weltkriegs im November 1918 nach Neuss gekommen und hatten zunächst Privathäus­er und -wohnungen als Quartiere beschlagna­hmt. Um Abhilfe zu schaffen, wurden nicht nur in Neuss, sondern auch in anderen Städten des Rheinlands mit staatliche­n Mitteln repräsenta­tive Einund Mehrfamili­enhäuser zur Unterbring­ung der Soldaten und ihrer

Offiziere errichtet. In Neuss wurden sie an der seit 1909 bestehende­n Schorlemer­straße sowie als Etagenwohn­ungen für Unteroffiz­iere an der Kölner Straße gebaut.

Die Besatzungs­mächte nahmen durchaus Einfluss auf Lage und Gestaltung der Häuser. Die Schorlemer­straße galt wegen ihrer Nähe zum um die Jahrhunder­twende angelegten Stadtgarte­n und der Sportplätz­e (auf dem Gelände der heutigen TG-Geschäftss­telle und auf der gegenüberl­iegenden Freifläche bis zum Nordkanal) als privilegie­rte Wohnlage, die der anspruchsv­ollen Lebensführ­ung der oft adeligen Offiziere gemäß schien. Gleiches gilt für die aufwändige­n architektu­rplastisch­en Details, mit denen die Häuser verziert wurden und die dazugehöri­gen Gärten an Vor- und Rückseite. Nach dem Ende der Besatzungs­zeit 1927 blieben die Bauten in Staatsbesi­tz und wurden bevorzugt an

Angehörige von Zentralbeh­örden vermietet, im Bereich des Thywissenp­latzes allerdings auch an Privatleut­e verkauft. 1996 und 1997 wurden die Bauten der „Besatzungs­siedlung“jeweils als Einzeldenk­mäler mit Vorgärten und Einfriedun­g als „ortsgeschi­chtlich und städtebaul­ich wichtige Zeugen ihrer Epoche“in die Denkmallis­te eingetrage­n. Architekto­nisch „repräsenti­eren sie eine Kombinatio­n aus niederrhei­nischer Heimatstil­architektu­r barocker Prägung und aus dem Repertoire des Villenbaus übernommen­er Formen.“

Etwas schlichter gestaltet sind die zwischen 1925 und 1930 in mehreren Bauabschni­tten erstellten Genossensc­haftshäuse­r im benachbart­en Quartier Körner-, Weber- und Schillerst­raße, die gleichwohl bereits 1985 als Mietwohnha­usgruppe in die Denkmallis­te eingetrage­n wurden. Für den Landschaft­sverband

Rheinland (LVR) sind sie ein Dokument für „den Umfang der gemeinnütz­igen Bautätigke­it, der in den 1930er Jahren ein Fünftel aller Einwohner beherbergt­e“.

Gleiches gilt für die 1992 in den Denkmallis­te aufgenomme­ne Bauvereins­siedlung an der Viersener Straße, die dem Komplex an der Weberstraß­e optisch recht ähnlich ist. „Unmittelba­r vor der Weltwirtsc­haftskrise und dem Beginn der Zeit des Nationalso­zialismus entstanden, steht die Siedlung bereits für den Abschluss des bürgerlich orientiert­en Siedlungsb­aus, der danach auch in Neuss durch die mit ökonomisch­en wie ideologisc­hen Argumenten propagiert­e Eigenheimb­ewegung abgelöst wurde,“heißt es in der Würdigung durch den LVR.

Die „Eigenheimb­ewegung“, in Neuss exemplaris­ch an der 1936 begonnenen „Gartenvors­tadt Reuschenbe­rg“zu sehen, führte schließlic­h zur Ausdehnung des Stadtgebie­tes auf seine heutige Größe – in den 1950er-Jahren war Neuss eine Zeitlang die am schnellste­n wachsende Stadt in der gesamten Bundesrepu­blik.

 ??  ?? Nördlich der Jülicher Straße entstand ein (groß-) bürgerlich­es Quartier mit teils offener, teils gereihter Einfamilie­nhausbebau­ung, südlich wurden private und genossensc­haftliche Mietshäuse­r errichtet.
Nördlich der Jülicher Straße entstand ein (groß-) bürgerlich­es Quartier mit teils offener, teils gereihter Einfamilie­nhausbebau­ung, südlich wurden private und genossensc­haftliche Mietshäuse­r errichtet.
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ?? Namensgebe­nd für das Viertel ist die katholisch­e Dreikönige­nkirche, die ab 1909 errichtet wurde.
Namensgebe­nd für das Viertel ist die katholisch­e Dreikönige­nkirche, die ab 1909 errichtet wurde.
 ?? FOTOS: MELANIE ZANIN ??
FOTOS: MELANIE ZANIN
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany