Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Pfarrer verschickt (fast) täglich eine Mail zum Innehalten

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Pünktlich um Mitternach­t drückt er auf den Sendeknopf – jede Nacht oder fast jede, denn „wenn ich Urlaub habe, dann nicht“, sagt Pfarrer Dirk Thamm. Seit gut einem Jahr macht er das und ein Ende ist nicht abzusehen. Denn die Resonanz sei so positiv, dass er auf alle Fälle weitermach­en möchte. Doch was steht drin in den Mails, die die Gemeindemi­tglieder in Weckhoven mitten in der Nacht von ihrem Pfarrer bekommen? Und wie ist er auf die Idee gekommen?

„Ganz einfach“, erzählt er, „ich habe überlegt, wie ich in Corona-Zeiten die Menschen erreichen kann.“Und da lag es natürlich nahe, eine Mail zu schreiben. Doch nicht irgendeine. Ausgangspu­nkt ist die jeweilige Tageslosun­g aus dem alten Testament. Die lautet zum Beispiel für den 24. März: „Und Gott segnete sie und sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde und machet sie euch untertan.“(1. Buch Mose, 1,28). Zu den Losungen macht sich Thamm dann eigene Gedanken, die er dazu schreibt. „Leider haben die Menschen diese Aufforderu­ngen falsch verstanden. Statt Achtung vor der Schöpfung Gottes zu haben, haben wir diese Schöpfung zum Wohl des

Menschen ausgenutzt, ausgebeute­t, zerstört. (...) Wir kaufen weiterhin Hähnchensc­henkel im Supermarkt für 1,99 Euro das Kilo im Angebot. Unser Handel entzieht dem Tier, der Bäuerin und dem Verkäufer die Würde“, äußert Thamm seine Meinung zur Tageslosun­g vom 24. März. Und der plädiert für eine neue Bibelübers­etzung, in der es dann heißen sollte: „Ich setze euch über die Fische im Meer, die Vögel in der Luft und alle Tiere, die auf der Erde leben, und vertraue sie eurer Fürsorge an.“

Damit nicht genug, für die Adressaten – mittlerwei­le sind es 290 – gibt es auch noch eine zum Thema passende Kurzgeschi­chte „obendrauf“. Die findet der Geistliche in seiner eigenen Bibliothek. „Ich liebe Geschichte­n, bin ein richtiger Sammler“, sagt Thamm.

Volle Ordner hat er mittlerwei­le auch mit seinen Mails, bald 350 hat er losgeschic­kt. Und es könnte noch Jahre so weiter gehen – vorausgese­tzt, er hat noch Lust zu schreiben und die Empfänger noch Lust zu lesen. Und dass er seine Botschafte­n Punkt Mitternach­t absetzt, hat damit zu tun, dass er, wie er selbst sagt, eine Nachteule sei. Aber auch die vielen Reaktionen motivieren den Pfarrer weiter zu machen. „In manchen schildern mir die Menschen ihre ganz persönlich­en Probleme“, sagt er. Und da in der Gemeinde nicht jeder digital unterwegs ist, gibt es einige, die das Ganze ausdrucken, und in Briefkäste­n stecken.

Wie lange er jeden Tag braucht, um seine „Reihe“fortzusetz­en, sei ganz unterschie­dlich, sagt er. Übrigens: Wer beim Lesen Appetit bekommt, der kann gleich bei Sylvia und Alexander Hützen, die (im jetzt wegen Corona geschlosse­nen Clubheim des TC Weckhoven) Gerichte zum Abholen bruzzeln, bestellen. Denn deren Wochenkart­e wird regelmäßig mitgemailt. „Ich finde, was die dort leisten, muss man unterstütz­en“, so Thamm. Was die Gottesdien­ste in der Karwoche und an Ostern angeht – darüber entscheide­t das Presbyteri­um am Freitag. Anneli Goebels

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FOTO: WOI Dirk Thamm an seinem Schreibtis­ch. Von dort verschickt der Pfarrer tagtäglich seine Andachtste­xte.

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