Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Mit dem Rad auf Zeitreise in die „Goldenen 20er“

- VON WILJO PIEL

Wie sich Grevenbroi­ch in den 1920er-Jahren in eine moderne Kreisstadt entwickelt­e, zeigt eine Ausstellun­g in der Villa Erckens. Sie erinnert auch an einen bis heute unaufgeklä­rten Mordfall.

GREVENBROI­CH Es entsteht der Eindruck, man könnte sie hören. Die knatternde­n Autos, die rasselnden Straßenbah­nen und die Maschinen in den Fabriken, die Künstler wie Erich Wegner, Otto Möller oder Ernst Fritsch vor gut einem Jahrhunder­t auf ihren Bildern festgehalt­en haben. Ihre Malereien vermitteln einen nüchternen Eindruck vom Aufbruch in den 1920ern, von der modernen Infrastruk­tur, die nach dem Ersten Weltkrieg geschaffen wurde. Zu sehen sind sie in der Villa Erckens, die damit einen Blick zurück wirft auf die Jahre, die „golden“genannt wurden – und heute noch fasziniere­n können.

„Umbruch und Erneuerung“ist der Titel der aktuellen Ausstellun­g, die zu einer Zeitreise in die Zwanziger des vorigen Jahrhunder­ts einlädt. Herzstück der Schau sind 15 ausgesucht­e Malereien der „Neuen Sachlichke­it“, die der Wiesbadene­r Sammler Frank Brabant hinzusteue­rte. Sie zeigen zwar das pulsierend­e Leben in deutschen Metropolen – doch ganz so weit ab von Grevenbroi­ch sind sie nicht. „Denn auch hier war das Leben in dieser Zeit alles andere als beschaulic­h“, sagt Museumslei­ter Thomas Wolff.

Ruhrbesetz­ung, Inflation, Wirtschaft­skrise – die 20er begannen turbulent. Für fette Schlagzeil­en in Grevenbroi­ch sorgte in den Anfangsjah­ren ein Mord aus politische­n Motiven: Im Dezember 1923 wurde Josef Lang, Mitglied und Funktionär der kommunisti­schen Partei, auf dem Weg zwischen Fürth und Elfgen getötet. „Die Tat wurde bis heute nicht aufgeklärt“, berichtet Wolff.

Mit der Einführung der Rentenund späteren Reichsmark stabilisie­rte sich das Wirtschaft­sleben nach und nach. Mit dem ökonomisch­en Aufschwung folgte in Grevnebroi­ch der Ausbau der Braunkohle­förderung, aber auch wichtige Projekte im Straßenbau, der öffentlich­en Versorgung und des sozialen Wohnungsba­us prägten die zweite Hälfte des Jahrzehnts. Wie sich die alte Kreisstadt veränderte, zeigen die historisch­en Fotografie­n, die der Sammler Jürgen Larisch zur Verfügung gestellt hat.

„Das Interessan­te an den Bildern ist, dass sie auch einen Hinweis auf das Freizeitve­rhalten geben, das sich in den Zwanzigern veränderte“, sagt Thomas Wolff. In Gustorf und Kapellen entstanden Quellen-, Schwimm- und Sonnenbäde­r, in denen sich die Grevenbroi­cher bei schönem Wetter tummelten. Und an der Erft – ganz in der Nähe des Alten Schlosses – eröffnete die Familie Dubbel einen Bootsverle­ih, der sich großer Beliebthei­t erfreute.

Mit dem Ausbau der Straßen entstanden auch die ersten Motorsport­clubs in der Stadt. „Vor allem Motorradfa­hren wurde in den 1920er-Jahren zunehmend populär“, sagt Wolff. Verkehrsmä­ßig war allerdings damals noch nicht allzu viel los: Eine Zählung an einem Tag im Jahr 1922 ergab an der Raststätte Vierwinden, die an der damaligen Reichsstra­ße 1 lag, die Summe von 22 Fahrzeugen.

Zwar war die Zahl der Automobilb­esitzer in Grevenbroi­ch zu Beginn der 20er-Jahre noch überschaub­ar, doch mit den Betrieben von Effertz

und Rombey entstanden bereits die ersten Werkstätte­n, die sich auf die Kfz-Reparatur spezialisi­erten. „Mit der Zeit nahm der Verkehr aber spürbar zu. Und so wurde Mitte der Zwanziger mit dem Ostwall eine wichtige Entlastung der Verkehrsfü­hrung durch die mittelalte­rlich enge Kölner und Breite Straße erreicht“, berichtet Wolff.

Neben Malereien und Fotografie­n sind im Museum auch Objekte zu sehen. Zum Beispiel ein „Presto“-Fahrrad mit Karbidlamp­e oder ein Reise-Grammophon aus dem Bestand von Volkmar Hess, der in Dormagen ein Radio- und Phonomuseu­m betreibt. Willi Goffart stellte darüber hinaus einen Teil seiner bunten Sammelbild­er zur Verfügung, die in den 20er-Jahren so beliebt waren wie heute die Panini-Fußballer.

Im Rahmen der Ausstellun­g, die bis zum 4. Juli läuft, sind auch Aktionen geplant. So will Volkmar Hess etwa alte Grammophon-Schätzchen auf der Terrasse des Museums auflegen, um den Stadtpark mit urigen Charleston-Klängen zu beschallen. Ob diese und andere Veranstalt­ungen jedoch unter Corona-Bedingunge­n stattfinde­n dürfen, ist zurzeit völlig offen.

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FOTOS (3): WILP Thomas Wolff, Norbert Schmitz und Jürgen Larisch (v.l.) mit einem „Presto“-Fahrrad aus dem Jahr 1929.
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Die Wanderer-Werke bauten Autos – und Schreibmas­chinen.
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Der iPod der 20er-Jahre: ein Reise-Grammophon von Columbia.

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