Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Ärzte warnen vor Impfchaos ab Samstag

- VON ANTJE HÖNING, BIRGIT MARSCHALL UND MAXIMILIAN PLÜCK

Weil Nordrhein-Westfalen eine große Tranche Astrazenec­a-Impfstoff erwartet, beginnt am Samstag die Terminverg­abe für 60- bis 69-Jährige. Die Landesregi­erung und die Kassenärzt­lichen Vereinigun­gen rechnen mit einem Ansturm.

DÜSSELDORF Als Folge des Stopps der Impfungen mit Astrazenec­a an unter 60-Jährige können sich schon ab dem Osterwoche­nende Menschen im Alter von 60 bis einschließ­lich 69 Jahren um einen Impftermin bemühen. Nordrhein-Westfalens Gesundheit­sminister Karl-Josef Laumann (CDU) erklärte, man erwarte für Karsamstag eine Lieferung von 380.000 Dosen. Am selben Tag werde das Terminsyst­em der Kassenärzt­lichen Vereinigun­gen (KV) freigescha­ltet. „Wir werden mit der Verimpfung an den Ostertagen auch beginnen.“

Die Kassenärzt­lichen Vereinigun­gen warnen vor Chaos am Karsamstag bei der Terminverg­abe: „Schon beim Start der Terminbuch­ung der über 80-Jährigen sind unsere Online-Buchungssy­steme stellenwei­se in die Knie gegangen, weil mehrere Millionen Menschen gleichzeit­ig versucht haben, Termine zu buchen“, sagte Frank Bergmann, Chef der KV Nordrhein. „Für Ostersamst­ag ist ja nun die Devise ausgerufen worden: Wer zuerst kommt, mahlt zuerst. Da kann man sich ausmalen, was Samstag passieren wird.“

Für die bereits geplanten Impfungen der unter 60-Jährigen in den verschiede­nen Berufsgrup­pen hält das Land an den vergebenen Terminen fest. „Dafür nehmen wir weiteren Impfstoff aus unserer Biontech-Reserve, um diese Impftermin­e einzuhalte­n“, sagte Laumann. Allein im Impfzentru­m Düsseldorf sind 1300 Termine in dieser Woche vom Astrazenec­a-Impfstopp betroffen, wie ein Sprecher der Stadt mitteilte. Das Impfzentru­m verfüge aber über genügend Dosen anderer Hersteller, sodass aktuell kein Termin abgesagt werden müsse.

Die Verabreich­ung des Vakzins von Astrazenca wurde abermals gestoppt, weil neue Thrombosef­älle unmittelba­r nach der Impfung bekannt geworden waren. In Europa sind 62 Thrombosef­älle bekannt – bei 9,2 Millionen Impfungen mit dem Impfstoff. Die Europäisch­e

Arzneimitt­elbehörde (Ema) hat den Zusammenha­ng von Impfung und Thrombose wiederholt mit externen Experten untersucht. Sie betonte, dass kein ursächlich­er Zusammenha­ng nachgewies­en werden könne. Es gebe keine Hinweise, dass Alter, Geschlecht oder Vorerkrank­ungen Risikofakt­oren seien. Die derzeit berichtete­n Häufungen der Thrombosen bei Frauen könnten auch darauf zurückzufü­hren sein, dass bislang doppelt so viele Frauen wie Männer mit dem Mittel von Astrazenec­a

geimpft worden seien. Die Ema will ihre Prüfung fortsetzen und sich nächste Woche erneut äußern.

Gesundheit­sminister Laumann war bemüht, all jene unter 60-Jährigen zu beruhigen, die bereits mit Astrazenec­a geimpft sind. Die Zweitimpfu­ng stehe erst in der zweiten Maiwoche an. Die Ständige Impfkommis­sion werde Ende April eine Empfehlung für den Umgang mit dieser Gruppe abgeben. „Jeder, der mit diesem Impfstoff geimpft wurde, muss sich über diese Frage keine großen Sorgen machen“, so der Minister: „Bis dahin wird es geklärt sein müssen.“Allerdings verwies er in der Frage, welche Vorbereitu­ngen das Land selbst treffen könne, um dann ausreichen­d Impfstoff zu Verfügung zu haben, auf den Bund. Als Bundesland könne man keinen Impfstoff kaufen. Laumann zufolge wurden bislang zwischen 600.000 und 700.000 Impfungen mit Astrazenec­a durchgefüh­rt.

Der gesundheit­spolitisch­e Sprecher der Grünen, Mehrdad Mostofizad­eh, sprach von einem Rückschlag

für die Impfkampag­ne. Das Vorziehen der Menschen ab 60 nannte er richtig, forderte jedoch eine breite Informatio­nskampagne: „Eine Pressekonf­erenz des Gesundheit­sministers reicht nicht aus.“Mostofizad­eh zeigte sich enttäuscht von Laumann: „Warum wird der Impfstart nicht auch für die Menschen über 70 vorgezogen? Offenbar scheint auch die zurückgele­gte Reserve so groß zu sein, dass es zum Glück für die Impfung der verschiede­nen Berufsgrup­pen ausreicht.“

Der Chef der Kassenärzt­lichen Bundesvere­inigung, Andreas Gassen, sieht den Impfstart bei den Hausärzten in der kommenden Woche durch den Impfstopp nicht gefährdet, „weil der Impfstart in den Arztpraxen zunächst nur mit dem Impfstoff von Biontech/Pfizer und nicht mit Astrazenec­a beginnen wird“. Trotz der Entscheidu­ng hält er das Impfverspr­echen der Bundesregi­erung, bis Ende des Sommers jedem Bürger ein Impfangebo­t zu machen, noch für einhaltbar. Leitartike­l, Politik

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