Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Soll es zu Ostern Geschenke geben?
PRO UND KONTRA Familienfeiern zu Ostern sollen ausfallen. Müssen Präsente nun größer sein, weil Schenken Freude macht und der Wirtschaft hilft? Oder ist das falscher Trost? Unsere Autorinnen sind unterschiedlicher Meinung.
Vieles ist nicht geblieben an Möglichkeiten zur Freizeitgestaltung. Seit Monaten verzichten Menschen auf ihre Hobbys: Ob Mannschaftssport oder der Besuch im Stadion, ob Kino oder Konzerte, Schwimmbad oder Freizeitpark – Corona bremst die Spaßgesellschaft aus wie selten ein Ereignis zuvor. Zum Vergnügen zählt für viele nicht nur ein geselliges Essen, ein Abend in der Kneipe, sondern auch Shopping – allein oder mit Freunden.
Aber wenn es um Konsum geht, ist Kapitalismuskritik meist nicht weit. Konsum ist die Stiefschwester von Bedarf, zeigt sich oft im Überfluss und gilt als Gegenentwurf zu einer ökologisch wertvollen Lebensweise. Das Bild der kaufwütigen Konsumgesellschaft wird besonders gern in der Vorweihnachtszeit gezeichnet und ist auch jetzt zu Ostern ein Thema – dabei ist es einseitig. Nicht jeder ergötzt sich beim Geschenke-Shopping an sinnlosem Plastikspielzeug oder Massen an Kleidungsstücken. Ökologisch schenken ist längst angekommen in Zeiten der Klimakrise.
Krise ist ohnehin das Stichwort: Die Pandemie legt den Vor-Ort-Handel derart lahm, dass jeder Anlass genutzt werden sollte, um Einzelhändler oder Gastronomen zu unterstützen. Warum also nicht einen Restaurant-, Kino- oder Zoogutschein zu Ostern verschenken? Warum nicht eine Kleinigkeit vom Buchhändler, Spielwarenladen oder Herrenausstatter um die Ecke besorgen und einen kleinen Beitrag zum wirtschaftlichen Überleben leisten? Die meisten Menschen haben zwangsläufig weniger Geld ausgegeben und mehr sparen können – durch das Corona-Stillleben. Schließlich fielen Urlaube, Ausflüge und Freizeitveranstaltungen über mehr als ein Jahr weg. Zwar verzeichnete die Wirtschaftsauskunftei
Creditreform zuletzt eine geringere private Verschuldung, wirft in ihrem Schuldner-Atlas 2020 aber einen eher düsteren Blick auf die Zukunft und prognostiziert, dass die Folgewirkungen für Gesellschaft, Wirtschaft und Verbraucher sogar gravierender sein werden als die der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/09.
Aber es geht gar nicht um die ganz große Osterbescherung – auch wenn diese Feiertage aus christlicher Sicht noch vor dem Weihnachtsfest rangieren. Zudem folgt Ostern traditionell auf eine 40-tägige Zeit des Verzichts in einem gefühlten Dauerverzicht seit März vergangenen Jahres. Sie sollte damit enden, sich und anderen etwas zu gönnen – kulinarisch, materiell, ideell.
Ob christliche Geste oder reine Freude am Konsum – kleine Aufmerksamkeiten können besonders jetzt eine große Wirkung haben. Nachbarn, Verwandte oder Freunde, die man monatelang nicht persönlich sehen konnte oder die die Auswirkungen der Corona-Krise vielleicht besonders hart treffen, können eine Aufmunterung sicher gut gebrauchen. Diese Freude kommt zurück. Und sie ist nachhaltiger als der kurze Glückshormonrausch beim Shoppen selbst.
Der Schriftstellerin Ricarda Huch wird der schöne Satz zugeschrieben, Liebe sei das Einzige, was wächst, wenn wir es verschwenden. Bei Geschenken verhält es sich genau umgekehrt: Je mehr man andere mit ihnen überhäuft, desto wertloser werden sie. Die Geschenkeinflation zu Ostern liefert da ein prima Beispiel. Es gab nämlich mal eine Zeit, da lösten Schokoladeneier tatsächlich Freude aus. Im Garten versteckt und ins Henkelkörbchen gesammelt, waren sie nicht die lästige Ouvertüre für viel größere Gaben, sondern selbst schon der ganze Spaß. Das war auch vor der Zeit, als Schokolade plötzlich zum bösen Lebensmittel wurde und schon Kinder Uhren trugen, die schokoladige „Ernährungssünden“in Schritte umrechnen. Aber das nur nebenbei.
Jedenfalls begann irgendwann das große Schenken, erst an Weihnachten, inzwischen auch mehr und mehr zu Ostern. Und weil das Beschenken seiner Liebsten nie im gesellschaftsfreien Raum geschieht, sondern ein sozialer Akt ist, bei dem die Leute sich miteinander vergleichen, werden dem Schokohasen inzwischen immer dollere
Beigaben und Gutscheine ins Nest geschoben. Als gäbe es da eine emotionale Leere, die mit Dingen befüllt werden müsste.
Nun muss man aber gar nicht über die Konsum- und Überflussgesellschaft lamentieren, um übertriebene Geschenke zu Ostern bedenklich zu finden. Das Fest gibt schlicht keinen Anlass dazu. An Weihnachten ist das anders. Zu Jesu Geburt wird immerhin von Weisen aus dem Morgenland berichtet, die mit edlen Gaben ihre höchste Verehrung für das bettelarme, göttliche Kind in der Krippe ausdrücken. Daran anknüpfend seinen Verwandten und Freunden an Weihnachten durch Geschenke zu zeigen, wie glücklich man ist, dass es sie gibt, hat eine gewisse Logik. An Ostern dagegen geht es um das Leiden Christi, seinen Tod und die Überwindung der Finsternis durch die Auferstehung. Auch Ostern bietet also Anlass zur Freude, aber immer verbunden mit der Erinnerung an Schmerz und Leid. Damit muss man Kinder beim Osterkaffee nicht quälen. Man kann fröhlich Eier titschen, Kuchen verputzen und das Leben feiern. Vor allem jetzt! Aber wo läge der tiefere Anlass für die Weitergabe irgendwelcher Wertgegenstände?
Schenken ist nichts Schlechtes. Und niemals sollte man Menschen beschämen, die es vielleicht zu gut gemeint haben. Nichts ist schlimmer, als mit etwas zu Pompösem vor der Tür zu stehen. Aber gerade im Familienkreis kann es das größte Glück sein, einfach Zeit miteinander zu verbringen, ohne dass einer das dem anderen noch durch Materielles beweisen müsste. Gerade Corona lehrt doch, dass in der Krise vor allem menschliche Bindungen zählen. Jetzt, da Familientreffen unmöglich sind, vermissen die Leute doch nicht irgendwelche Präsente, sondern das Beisammensein. Also ist in diesem Jahr der Anruf zu Ostern sicher das tollste Geschenk für jene, die wir nicht treffen können.