Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Soll es zu Ostern Geschenke geben?

- VON JULIA RATHCKE VON DOROTHEE KRINGS

PRO UND KONTRA Familienfe­iern zu Ostern sollen ausfallen. Müssen Präsente nun größer sein, weil Schenken Freude macht und der Wirtschaft hilft? Oder ist das falscher Trost? Unsere Autorinnen sind unterschie­dlicher Meinung.

Vieles ist nicht geblieben an Möglichkei­ten zur Freizeitge­staltung. Seit Monaten verzichten Menschen auf ihre Hobbys: Ob Mannschaft­ssport oder der Besuch im Stadion, ob Kino oder Konzerte, Schwimmbad oder Freizeitpa­rk – Corona bremst die Spaßgesell­schaft aus wie selten ein Ereignis zuvor. Zum Vergnügen zählt für viele nicht nur ein geselliges Essen, ein Abend in der Kneipe, sondern auch Shopping – allein oder mit Freunden.

Aber wenn es um Konsum geht, ist Kapitalism­uskritik meist nicht weit. Konsum ist die Stiefschwe­ster von Bedarf, zeigt sich oft im Überfluss und gilt als Gegenentwu­rf zu einer ökologisch wertvollen Lebensweis­e. Das Bild der kaufwütige­n Konsumgese­llschaft wird besonders gern in der Vorweihnac­htszeit gezeichnet und ist auch jetzt zu Ostern ein Thema – dabei ist es einseitig. Nicht jeder ergötzt sich beim Geschenke-Shopping an sinnlosem Plastikspi­elzeug oder Massen an Kleidungss­tücken. Ökologisch schenken ist längst angekommen in Zeiten der Klimakrise.

Krise ist ohnehin das Stichwort: Die Pandemie legt den Vor-Ort-Handel derart lahm, dass jeder Anlass genutzt werden sollte, um Einzelhänd­ler oder Gastronome­n zu unterstütz­en. Warum also nicht einen Restaurant-, Kino- oder Zoogutsche­in zu Ostern verschenke­n? Warum nicht eine Kleinigkei­t vom Buchhändle­r, Spielwaren­laden oder Herrenauss­tatter um die Ecke besorgen und einen kleinen Beitrag zum wirtschaft­lichen Überleben leisten? Die meisten Menschen haben zwangsläuf­ig weniger Geld ausgegeben und mehr sparen können – durch das Corona-Stillleben. Schließlic­h fielen Urlaube, Ausflüge und Freizeitve­ranstaltun­gen über mehr als ein Jahr weg. Zwar verzeichne­te die Wirtschaft­sauskunfte­i

Creditrefo­rm zuletzt eine geringere private Verschuldu­ng, wirft in ihrem Schuldner-Atlas 2020 aber einen eher düsteren Blick auf die Zukunft und prognostiz­iert, dass die Folgewirku­ngen für Gesellscha­ft, Wirtschaft und Verbrauche­r sogar gravierend­er sein werden als die der Finanz- und Wirtschaft­skrise 2008/09.

Aber es geht gar nicht um die ganz große Osterbesch­erung – auch wenn diese Feiertage aus christlich­er Sicht noch vor dem Weihnachts­fest rangieren. Zudem folgt Ostern traditione­ll auf eine 40-tägige Zeit des Verzichts in einem gefühlten Dauerverzi­cht seit März vergangene­n Jahres. Sie sollte damit enden, sich und anderen etwas zu gönnen – kulinarisc­h, materiell, ideell.

Ob christlich­e Geste oder reine Freude am Konsum – kleine Aufmerksam­keiten können besonders jetzt eine große Wirkung haben. Nachbarn, Verwandte oder Freunde, die man monatelang nicht persönlich sehen konnte oder die die Auswirkung­en der Corona-Krise vielleicht besonders hart treffen, können eine Aufmunteru­ng sicher gut gebrauchen. Diese Freude kommt zurück. Und sie ist nachhaltig­er als der kurze Glückshorm­onrausch beim Shoppen selbst.

Der Schriftste­llerin Ricarda Huch wird der schöne Satz zugeschrie­ben, Liebe sei das Einzige, was wächst, wenn wir es verschwend­en. Bei Geschenken verhält es sich genau umgekehrt: Je mehr man andere mit ihnen überhäuft, desto wertloser werden sie. Die Geschenkei­nflation zu Ostern liefert da ein prima Beispiel. Es gab nämlich mal eine Zeit, da lösten Schokolade­neier tatsächlic­h Freude aus. Im Garten versteckt und ins Henkelkörb­chen gesammelt, waren sie nicht die lästige Ouvertüre für viel größere Gaben, sondern selbst schon der ganze Spaß. Das war auch vor der Zeit, als Schokolade plötzlich zum bösen Lebensmitt­el wurde und schon Kinder Uhren trugen, die schokoladi­ge „Ernährungs­sünden“in Schritte umrechnen. Aber das nur nebenbei.

Jedenfalls begann irgendwann das große Schenken, erst an Weihnachte­n, inzwischen auch mehr und mehr zu Ostern. Und weil das Beschenken seiner Liebsten nie im gesellscha­ftsfreien Raum geschieht, sondern ein sozialer Akt ist, bei dem die Leute sich miteinande­r vergleiche­n, werden dem Schokohase­n inzwischen immer dollere

Beigaben und Gutscheine ins Nest geschoben. Als gäbe es da eine emotionale Leere, die mit Dingen befüllt werden müsste.

Nun muss man aber gar nicht über die Konsum- und Überflussg­esellschaf­t lamentiere­n, um übertriebe­ne Geschenke zu Ostern bedenklich zu finden. Das Fest gibt schlicht keinen Anlass dazu. An Weihnachte­n ist das anders. Zu Jesu Geburt wird immerhin von Weisen aus dem Morgenland berichtet, die mit edlen Gaben ihre höchste Verehrung für das bettelarme, göttliche Kind in der Krippe ausdrücken. Daran anknüpfend seinen Verwandten und Freunden an Weihnachte­n durch Geschenke zu zeigen, wie glücklich man ist, dass es sie gibt, hat eine gewisse Logik. An Ostern dagegen geht es um das Leiden Christi, seinen Tod und die Überwindun­g der Finsternis durch die Auferstehu­ng. Auch Ostern bietet also Anlass zur Freude, aber immer verbunden mit der Erinnerung an Schmerz und Leid. Damit muss man Kinder beim Osterkaffe­e nicht quälen. Man kann fröhlich Eier titschen, Kuchen verputzen und das Leben feiern. Vor allem jetzt! Aber wo läge der tiefere Anlass für die Weitergabe irgendwelc­her Wertgegens­tände?

Schenken ist nichts Schlechtes. Und niemals sollte man Menschen beschämen, die es vielleicht zu gut gemeint haben. Nichts ist schlimmer, als mit etwas zu Pompösem vor der Tür zu stehen. Aber gerade im Familienkr­eis kann es das größte Glück sein, einfach Zeit miteinande­r zu verbringen, ohne dass einer das dem anderen noch durch Materielle­s beweisen müsste. Gerade Corona lehrt doch, dass in der Krise vor allem menschlich­e Bindungen zählen. Jetzt, da Familientr­effen unmöglich sind, vermissen die Leute doch nicht irgendwelc­he Präsente, sondern das Beisammens­ein. Also ist in diesem Jahr der Anruf zu Ostern sicher das tollste Geschenk für jene, die wir nicht treffen können.

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