Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Ema empfiehlt Astrazenec­a

In Deutschlan­d soll der Impfstoff des Hersteller­s grundsätzl­ich an Menschen über 60 gehen. Die EU-Arzneimitt­elbehörde sieht weiterhin keine altersspez­ifischen Risiken.

- VON ANTJE HÖNING UND MAXIMILIAN PLÜCK

DÜSSELDORF Nach der neuen Volte darf der Impfstoff von Astrazenec­a uneingesch­ränkt nur noch an Menschen über 60 Jahre gegeben werden. Das wirft viele Fragen auf.

Warum erhalten nur über 60-Jährige noch Astrazenec­a? Die Gesundheit­sminister von Bund und Ländern beschlosse­n, dass das Mittel nur noch bei über 60-Jährigen eingesetzt werden soll. Sie folgten damit einer neuen Empfehlung der Ständigen Impfkommis­sion (Stiko). Hintergrun­d sind Thrombosef­älle, die vor allem bei jüngeren Frauen aufgetrete­n sind. Laut dem Paul-Ehrlich-Institut (PEI) starben bis Montag neun Menschen in Deutschlan­d nach einer Astrazenec­a-Impfung durch eine Sinusvenen­thrombose. Insgesamt wurden 31 Fälle eines solchen Blutgerinn­sels in Hirnvenen mit zeitlichem Zusammenha­ng zur Impfung gemeldet. Bis auf zwei Fälle seien stets Frauen im Alter von 20 bis 63 Jahren betroffen gewesen. Die Europäisch­e Arzneiagen­tur (Ema) sieht dagegen keinen Zusammenha­ng zwischen Alter, Geschlecht und Nebenwirku­ngen. Sie betonte, dass es in der EU bislang 62 Thrombosef­älle nach einer Impfung mit Astrazenec­a gab – bei 9,2 Millionen Impfungen.

Was bedeutet der Beschluss für Lehrer und Erzieher, die jünger als 60 sind? Bei Personen unter 60 Jahren, die zu den Priorisier­ungsgruppe­n eins und zwei gehören (wie etwa Lehrer, Erzieher und Polizisten), kann das Mittel von Astrazenec­a weiter eingesetzt werden – aber nur, wenn es zuvor eine sorgfältig­e ärztliche Beratung gegeben hat. Daher sollen diese Personen nicht mehr im Impfzentru­m, sondern beim Hausarzt geimpft werden.

Was gilt nun für Menschen zwischen 60 und 69? Da viele nicht mehr mit Astrazenec­a geimpft werden können, bleiben Dosen ungenutzt. Daher beziehen die Länder nun die 60bis 69-Jährigen, die eigentlich in der Priorisier­ungsgruppe drei sind, vorzeitig ein. Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn (CDU) wirbt darum, dass sie das Angebot nutzen: „Astrazenec­a ist ein sehr wirksamer Impfstoff, auch für Ältere.“Kanzlerin Angela Merkel (66) erklärte: „Wenn ich dran bin, lasse ich mich impfen, auch mit Astrazenec­a. Und nun rückt diese Möglichkei­t näher.“

Wie kommen die über 60-Jährigen an ihren Termin? Nur mit Geduld. Am Samstag wird das Terminbuch­ungssystem der Kassenärzt­lichen Vereinigun­gen (KV ) für sie freigescha­ltet. Schon als sich die über 80-Jährigen mit dem Start der Impfkampag­ne einen Termin besorgen wollten, kam das System an seine Grenzen. Das könnte sich wiederhole­n, fürchten die KV-Chefs. Denn – anders als bei den 70- bis 79-Jährigen – wird es aufgrund der kurzfristi­gen Entscheidu­ng keine jahrgangsw­eise Terminbuch­ung geben. Wenn ein Großteil der 2,2 Millionen Menschen gleichzeit­ig versuchen wird, einen Termin zu ergattern, sind Probleme programmie­rt. Menschen im Rheinland können entweder über die Website der KV Nordrhein (termin.corona-impfung.nrw) oder telefonisc­h über die Nummer 0800 116117-01 buchen, in Westfalen-Lippe geht das ausschließ­lich über die 0800 116117-02.

Ich habe bereits einen Termin im Impfzentru­m für eine Erstimpfun­g mit Astrazenec­a. Verfällt der? Nein. NRW hat bereits reagiert und für die Impfzentre­n angeordnet, dass sie unter 60-Jährige anders impfen sollen: „Termine, bei denen eine Verimpfung mit Astrazenec­a vorgesehen war, werden ab dem 1. April mit Biontech oder Moderna durchgefüh­rt“, erklärte das Ministeriu­m.

Ich habe schon eine Dosis Astrazenec­a bekommen. Was passiert mit der Zweitimpfu­ng? Bislang haben 2,7 Millionen Menschen eine erste Dosis von Astrazenec­a erhalten. Nur wenige haben bereits die zweite Dosis bekommen, sie soll nach zwölf Wochen gegeben werden. Unter 60-Jährige können laut dem Beschluss der Gesundheit­sminister nun wählen, ob sie auch die zweite Impfung mit Astrazenec­a wünschen oder lieber abwarten wollen. Ende April will die Stiko entscheide­n, ob auch ein Wechsel des Impfstoffs möglich ist und die Bürger als erste Dosis Astrazenec­a und als zweite Dosis vielleicht Biontech erhalten. Für viele steht erst im April/Mai die zweite Impfung an.

Kann ich es bei einer Impfung belassen? Das sollte man nicht tun. Zwar bietet auch eine Impfung mit Astrazenec­a schon einen gewissen Schutz, doch eben keinen vollständi­gen. Zudem drohen dann neue Mutanten zu entstehen, die gegen Impfstoffe resistent sind. Spahn versprach: „Jeder wird den vollen Schutz durch zwei Impfungen erhalten.“Anders sieht es nur bei dem kommenden Impfstoff von Johnson & Johnson aus, der ohnehin mit nur einer Dosis auskommt.

Was wird aus dem Impfverspr­echen? Spahn räumte ein, dass die Änderung der Impfempfeh­lung ein Rückschlag sei. Zugleich sei dies eine Chance, dass die 60- bis 69-Jährigen früher an die Reihe kommen. Er bekräftigt­e sein Verspreche­n, dass bis Ende des Sommers jeder Bürger ein Impfangebo­t erhalte werden – und schränkte ein: „Außer den Kindern.“Im zweiten Quartal erwarte der Bund große Lieferunge­n: Neben Biontech, Moderna und Astrazenec­a wird auch der US-Konzern Johnson & Johnson am Start sein. Der Tübinger Hersteller Curevac erwartet, dass sein Impfstoff im Juni auf den Markt kommt. Wann das Kinder-Impfen losgeht, ist offen. Immerhin hat eine erste Studie ergeben, dass der Impfstoff von Biontech/Pfizer auch bei Kindern von zwölf bis 15 Jahren sicher und wirksam ist.

Was wird aus dem Hausarzt-Impfen? Das geht am Dienstag nach Ostern los, zunächst mit rund 20 Biontech-Dosen pro Woche und Praxis. Die Kassenärzt­e fordern, dass die Praxen nun auch Astrazenec­a erhalten. „Die Ärzte kennen ihre Patienten und könnten im persönlich­en Gespräch viel intensiver auf die Ängste eingehen“, sagte Frank Bergmann, Chef der KV Nordrhein.

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FOTO: ROLF VENNENBERN­D/DPA Ein Astrazenec­a-Aufkleber klebt in einem Impfpass.

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