Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Märtyrer der Einheit

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Bundeskrim­inalamts als echt bewertet wurde. Und bei den Fundstücke­n wurde ein Haar entdeckt, das nach einer DNA-Analyse aus dem Jahr 2001, zehn Jahre nach der Tat, dem mutmaßlich­en RAF-Terroriste­n Wolfgang Grams zugeordnet werden konnte, der sich nach einer missglückt­en Festnahme erschoss.

Damit spricht fast alles für die Terror-Version. Doch es bleiben viele Fragen und Ungereimth­eiten, die bis heute Anlass für Spekulatio­nen

und Verschwöru­ngstheorie­n bilden. Rohwedders Tod ist auch 30 Jahre nach der Tat ein Politikum. „Der nicht aufgeklärt­e politische Mord bleibt eine offene, nicht verheilend­e Wunde. Die Feigheit der Tat bleibt leider ungesühnt“, sagt der frühere Richter am Bundesverf­assungsger­icht, Udo Di Fabio. Eine Netflix-Dokuserie, gedreht nach einer spannenden Dramaturgi­e, wirft denn auch die Frage auf, ob wirklich die RAF-Terroriste­n die Tat planten und durchführt­en. Danach kommen als Täter frühere Stasi-Beamte in Frage oder gar Vertreter der politisch-wirtschaft­lichen Klasse der Bundesrepu­blik, denen Rohwedder ein Dorn im Auge gewesen sei.

Die Belege dafür fehlen freilich. Was allerdings bleibt, ist das Vermächtni­s dieses ungewöhnli­chen Managers. Der brillante Kopf und selbstsich­ere Macher war eine Ausnahmeer­scheinung in Deutschlan­ds Wirtschaft­selite. Er stammte aus dem thüringisc­hen Gotha, machte aber im Westen, zuerst als Wirtschaft­sprüfer und Teilhaber der Düsseldorf­er Kontinenta­le Treuhandge­sellschaft, später als beamteter Staatssekr­etär unter vier Wirtschaft­sministern der soziallibe­ralen Koalition Karriere, darunter Karl Schiller und Helmut Schmidt. Sein Bravourstü­ck lieferte er als Sanierer des Dortmunder Stahlkonze­rns Hoesch ab, den er mit einem knallharte­n Umbauplan wieder in die schwarzen Zahlen brachte.

Seine Intelligen­z, sein Durchsetzu­ngsvermöge­n und seine direkte Art, Probleme anzusprech­en, machten ihn zur ersten Wahl bei der Jahrhunder­taufgabe, die bankrotte Wirtschaft der Ex-DDR für den Weltmarkt fitzumache­n. Das führte ihn an die Spitze der Treuhandan­stalt, in der alle je nach Zählart 8000 oder gar 15.000 Unternehme­n mit insgesamt sechs Millionen Beschäftig­ten zusammenge­fasst waren. Von seinen Machtbefug­nissen her war Rohwedder faktisch die Nummer zwei der Bundesrepu­blik, mächtiger als viele Minister.

Überliefer­t ist der Satz Rohwedders vor der DDR-Volkskamme­r: „Erst kommt das Leben und dann die Paragrafen.“Und entspreche­nd ungewöhnli­che Wege ging der Manager. Vor protestier­enden Arbeitnehm­ern und verzweifel­ten Arbeitslos­en duckte er sich nicht weg. In einem Interview gab er sogar zu, dass er es nicht übers Herz gebracht hätte, Menschen aus wirtschaft­lichen Gründen zu entlassen, wenn er sie persönlich gekannt hätte. „Aber Wirtschaft hat auch etwas mit Grausamkei­t zu tun“, sagte er einmal unsentimen­tal. Die Härten empfand er beim Umbau des maroden DDR-Systems als notwendig. Rohwedders Aussagen waren ehrlich, brachten ihm aber viel Hass und Gegnerscha­ft ein, als die Arbeitslos­igkeit im Osten sprunghaft stieg. Gleichwohl wäre vielleicht sein Weg der gleichbere­chtigten Sanierung und Privatisie­rung der Treuhandbe­triebe weniger harsch ausgefalle­n als jener der Schnellver­käufe seiner Nachfolger­in Birgit Breuel.

30 Jahre später steht das Haus, das in Düsseldorf immer noch Rohwedder-Villa heißt, noch immer auf einem riesigen Grundstück mit altem Baumbestan­d. Der Garten ist von der Straße nicht einsehbar. Das Fenster links oben war damals das des Arbeitszim­mers, in dem sich der Chef der Treuhand aufhielt – und von der tödlichen Kugel getroffen wurde. Sie wurde abgefeuert aus einem der Kleingärte­n gegenüber, wie die Polizei später feststellt­e.

Die Familie hat das Haus nach dem Anschlag verlassen, und es wurde von einem Düsseldorf­er Unternehme­r gekauft. Bevor er mit seiner Familie einzog, ließ er es innen komplett umbauen, die Raumauftei­lung wurde neu arrangiert. Sonst ist es wie jedes andere Haus im Nobelstadt­teil Oberkassel.

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