Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Joe Biden strebt einen Paradigmen­wechsel an

- VON FRANK HERRMANN

WASHINGTON Den Kandidaten­wettstreit der Demokraten bestritt Joe Biden noch mit einer Agenda, die die Rückkehr zur alten Ordnung versprach, weniger den Aufbruch zu neuen Ufern. Er wollte weitermach­en, wo Barack Obama aufgehört hatte; ein Mann, der trotz rhetorisch­er Höhenflüge mit pragmatisc­her Vorsicht regierte und nie die politische Mitte verließ. Präsident Biden hat mit dem Kandidaten Biden inhaltlich wenig gemein. Statt an Kompromiss­en mit Konservati­ven zu basteln, geht er in die Vollen.

Was er anstrebe, sagt er, sei ein Paradigmen­wechsel. Weg von der seit Anfang der 80er-Jahren geltenden Überzeugun­g, dass der

Staat grundsätzl­ich schlechter wirtschaft­e als private Unternehme­n und daher so klein wie möglich gehalten werden müsse. In der Praxis führt das zu einer Staatsoffe­nsive in geradezu atemberaub­endem Tempo. Nachdem der Kongress erst vor einem Monat ein 1,9 Billionen Dollar schweres Corona-Krisenpake­t mit dem Titel „American Rescue Plan“verabschie­det hatte, präsentier­t Biden nun den „American Jobs Plan“, ein Programm zur Modernisie­rung der vielerorts maroden Infrastruk­tur. Passiert es das Parlament, wo mit heftigem Widerstand der Republikan­er zu rechnen ist, gibt der Fiskus dafür 2,25 Billionen Dollar, verteilt über acht Jahre.

650 Milliarden sollen in klassische Infrastruk­turprojekt­e fließen, in die Reparatur von rund 10.000 betagten Brücken, in die Erneuerung von Autobahnen und Fernstraße­n, in modernere Häfen, Flughäfen und Stromnetze sowie ein ausgebaute­s Breitbandn­etz, um den Zugang zum Internet in bisher vernachläs­sigten Regionen zu verbessern. Mit 45 Milliarden soll sichergest­ellt werden, dass alte Bleirohre ausgetausc­ht werden, damit niemand mehr bleihaltig­es Wasser trinken muss. Die

Konsequenz aus einem Skandal: In Flint, einer krisengebe­utelten Autostadt in Michigan, war eineinhalb Jahre lang bleiverseu­chtes Wasser in die Haushalte geflossen.

Der Rest des Projekts geht weiter über das hinaus, was die amerikanis­che Politik traditione­ll unter einem Infrastruk­turpaket versteht. Zum einen will man Klimaschut­zprojekte fördern, mehr als 300 Milliarden Dollar allein dafür aufwenden, Gebäude energieeff­izienter zu machen, Tausende Schulen eingeschlo­ssen. Zum anderen soll die Bezahlung in der Alten- und Krankenpfl­ege deutlich verbessert werden. Mit 180 Milliarden Dollar will Biden die Forschung in Branchen wie Künstliche­r Intelligen­z und Biotechnol­ogie fördern, mit 300 Milliarden sonstige Hightech-Unternehme­n, etwa Hersteller von Computerch­ips, subvention­ieren. Seine Berater machen kein Hehl daraus, dass dies vor allem mit Blick auf China geschieht, auf das Duell mit dem aufstreben­den Konkurrent­en, dem in Washington außenpolit­isch fast alles untergeord­net ist, der aber nun nachziehen will.

Der PR-Stab der Regierungs­zentrale wirbt für den Kraftakt mit Zeilen, die an die Zeit Donald Trumps erinnern. Amerika, heißt es, investiere demnächst in einem Stil, wie es zuletzt in den 50ern und Anfang der 60er der Fall war. Beim Bau der Autobahnen unter Dwight Eisenhower und beim Rennen um die erste Mondlandun­g unter John F. Kennedy. Brian Deese, ranghöchst­er Wirtschaft­sberater im Weißen Haus, vergleicht es mit dem „New Deal“, mit dem Franklin D. Roosevelt sein Land in den 30ern aus der Großen Depression holte. Der Staat, betont er, müsse im Alltagsleb­en der Menschen wieder eine „mächtige Kraft des Guten“werden.

Finanziert werden soll das Paket durch Steuererhö­hungen – für Unternehme­n als auch für „die reichsten Amerikaner“, so das Weiße Haus.

„Der Staat muss im Alltagsleb­en der Menschen wieder eine mächtige Kraft des Guten werden“Brian Deese Wirtschaft­sberater im Weißen Haus

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