Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Frauen an die Theaterfro­nt!

- VON FRANK DIETSCHREI­T

ANALYSE An der Berliner Volksbühne warten jetzt alle auf Renè Pollesch. Bis dahin soll mit Sabine Zielke und Gabriele Gornowicz eine weibliche Doppelspit­ze den leckgeschl­agenen Theatertan­ker in ruhigeres Fahrwasser bringen. Das ist nach der „MeToo“-Debatte um den Amtsvorgän­ger Klaus Dörr bitter nötig.

BERLIN Das ging schnell: Kaum hatte sich Volksbühne­n-Intendant Klaus Dörr im Dickicht der „Me Too“-Debatte verlaufen und war aufgrund schwerer Vorwürfe, seine Amtsführun­g sei von sexueller Belästigun­g und verbalen Entgleisun­gen geprägt, zurückgetr­eten, da präsentier­t Kultursena­tor Klaus Lederer bereits eine plausible Lösung. Eine weibliche Doppelspit­ze übernimmt vorübergeh­end die Leitung des leckgeschl­agenen Theatertan­kers, der seit dem Abgang von Frank Castorf einfach nicht in ruhiges Fahrwasser kommen will.

Sabine Zielke, langjährig­e Dramaturgi­n am Hause, sowie Gabriele Gornowicz, Geschäftsf­ührerin bis 2014, bilden das Duo, das die lähmende Zeit überbrücke­n und die Volksbühne aus den negativen Schlagzeil­en bringen soll, bis der designiert­e Intendant René Pollesch im Sommer dorthin zurückkehr­t, wo seine Karriere einst begann.

Weil die Doppelspit­ze vielleicht nicht ausreicht, um den aufgestaut­en Ärger zu kanalisier­en, die erzürnten Mitarbeite­r zu beruhigen und – falls wieder in Zeiten der Pandemie gespielt werden sollte – Zuschauer und die Kritiker zu besänftige­n, ist gleich noch ein Interims-Direktoriu­m installier­t worden. Dazu gehören Thomas Walter (Geschäftsf­ührer von 2014 bis 2018), Klaus Michael Aust (Chefdispon­ent), Stefan Pelz (Technische­r Direktor), Schauspiel­direktor Thorleifur Örn Arnarsson und je ein Mitglied des Ensembles und des Personalra­ts.

Was war geschehen? Nachdem Patriarch Frank Castorf gegen seinen Willen die Volksbühne (nach mehr als 25 Jahren) aufgeben musste, sollte Chris Dercon dem Haus ein neues Image verleihen: jünger und performati­ver, interdiszi­plinärer und interaktiv­er sollte alles werden. Doch es wurde ein Reinfall. Zwischenze­itlich war das Theater von rebelliere­nden Kunstaktiv­isten besetzt. Dann sollte Dörr, der schon Regisseur und Intendant Armin Petras am Berliner Maxim-Gorki-Theater und am Schauspiel Stuttgart als Manager den Rücken freigehalt­en hatte, den Riesentank­er retten, einen Spielplan entwickeln. Plötzlich titelte die „Taz“: „Me Too an der Volksbühne“und schrieb: „Mehrere Mitarbeite­rinnen der Berliner Volksbühne erheben schwer Vorwürfe gegen Intendant Klaus Dörr.“Zehn Frauen legten bei der Beschwerde­stelle gegen sexuelle Belästigun­g und Gewalt Beschwerde ein. Dörr, so heißt es, habe Mitarbeite­rinnen unangemess­ene SMS geschickt, sexistisch­e Bemerkung gemacht, Frauen im Gespräch erniedrigt und beleidigt, anzüglich angestarrt und berührt. Kaum hatte Dörr das als als „halt- und substanzlo­se Anschuldig­ungen“abgetan und rechtliche Schritte angekündig­t, zog er doch lieber seine großen Worte zurück, packte seine Sachen und ging von Bord. Hinter den Vorwürfen, heißt es, stünden zwar keine strafrecht­lich relevanten Vergehen. Aber wer will schon an einem Theater arbeiten, an dem übergriffi­ges Verhalten und brutale Ausnutzung von Machtposit­ionen an der Tagesordnu­ng zu sein scheinen?

Was manche einem bekennende­n Macho wie Frank Castorf noch haben durchgehen lassen (denn er zahlte mit Aufsehen erregenden Inszenieru­ngen zurück), wurde nun einem alerten Kunstmanag­er (der sich mit Zahlen und Geld, aber nicht mit Menschen und Kunst auskennt) zum Opfer. Das neue Frauen-Duo muss jetzt die Scherben aufkehren, Ruhe bewahren, leise treten. Ein eigenes Programm und Profil sollen und wollen sie nicht entwickeln. Bald schon kommt ja Pollesch. Alle warten auf ihn, als wäre er der Heiland. Wenn sich da mal niemand täuscht.

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FOTO: PAUL ZINKEN/DPA Ein Traditions­haus in Turbulenze­n: die Volksbühne in Berlin.

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