Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Pflanzensamen aus der Stadtbibliothek
Claudia Neufurth ist Nachhaltigkeitsbeauftragte der Bücherei am Neumarkt und hat deren Angebot erweitert.
NEUSS Die Stadtbibliothek hat ein neues, unerwartetes Angebot: Ab sofort verleiht sie auch Saatgut. In der ersten Etage finden die Nutzer rechts neben der „Info“mehrere der alten Katalogkästen, in denen kleine Tütchen mit Samen stehen. Sortiert nach Blühpflanzen, Kräutern und Heilpflanzen sowie Gemüse finden sich dort Sonnenhut, Petersilie, Hokaido-Kürbis, Johanniskraut und andere bekannte Pflanzen, ebenso wie unbekanntere wie der Palmkohl Negro Romano, Braunwurz oder rote Gartenmelde.
Saatgut und Bibliothek – wie passt das zusammen, mag man sich nun fragen. „Eigentlich ganz gut“, meint Claudia Neufurth, Initiatorin der Saatgut-Ausleihe und erklärt das Prinzip: „Jeder Bibliotheksbesucher kann sich ein Tütchen kostenlos mitnehmen.“Zu Hause werde das Saatgut dann ausgesät und die wachsende Pflanze gehegt und gepflegt. „Am Ende des Wachstumszyklus wird aus einem kleinen Teil Saatgut gewonnen und das wird uns dann zurückgebracht“, so Neufurth. Dadurch würden sich die Hobbygärtner die Samen im Prinzip also nur ausleihen. „Nur die Leihfrist ist etwas länger als bei einem Buch oder Film“, sagt die Initiatorin.
Das funktioniert allerdings nur, weil es sich bei dem Saatgut um sogenanntes „samenfestes“Saatgut handelt. „Das heißt, dass aus den selbst gesammelten Samen Pflanzen wachsen, die die gleichen Eigenschaften haben wie die Elternpflanzen“, erklärt die Bibliothekarin. Bei dem meist verkauften Saatgut mit der Bezeichnung „F1-Hybride“funktioniere das dagegen nicht. „Insofern passt der Name Mehrwegsaatgut für unsere Samen“, sagt Neufurth.
Claudia Neufurth Stadtbibliothek
Sie ist in der Bücherei für das Thema Nachhaltigkeit zuständig. „Im Zuge meiner Recherchen zur Agenda 2030 bin ich immer wieder auf Saatgutbibliotheken gestoßen“, erzählt sie. Unter anderem in Hamburg laufe das Projekt schon seit mehreren Jahren und würde immer besser angenommen. „Jedesmal habe ich dann gedacht, was für eine gute Idee, das ist. Und in diesem Jahr wollte ich es endlich selbst in die Tat umsetzen“, sagt Neufurth.
Ende Januar rief sie über diverse Kanäle dazu auf, Saatgut-Spenden bei der Stadtbibliothek abzugeben. Der Verein zur Erhaltung der Nutzpflanzenvielfalt brachte daraufhin umgehend eine Großspende mit verschiedensten Samen. Aber auch Hobbygärtner kamen und spendeten ihr Saatgut. Etwa 70 verschiedene Sorten sind dabei zusammengekommen. „Manche hatten es schon einzeln verpackt, bei anderen mussten wir das Saatgut noch portionsweise abpacken“, berichtet die Bibliothekarin. Dazu wurden die Samen in Butterbrottüten gefüllt und mit einem Etikett zugeklebt.
Neufurth hat sich zudem die Mühe gemacht, nicht nur den Namen der Pflanze zu notieren. Überall ist vermerkt, ob die Pflanze einen sonnigen oder schattigen Standort braucht, welcher Boden – lehmig oder sandig – besser geeignet ist, ob ein Balkon ausreicht und ob Bienen und Co. die Pflanze besonders schätzen. Ebenso ist auf jedem dieser Tütchen aufgelistet, wie groß die Pflanze voraussichtlich wird, wann sie ausgesät und geerntet werden sollte und ob es sich beispielsweise um eine regionale Besonderheit handelt. Selbst wer noch keine große Gartenerfahrung hat, oder die teilweise seltenen Pflanzen nicht kennt, kann also getrost zugreifen.
Zwei Bitten hat Neufurth allerdings an die Nutzer: „Jeder soll nur ein Tütchen mitnehmen, damit möglichst viele unser Angebot nutzen können“, lautet die erste. Die zweite: Machen sie Fotos von den Pflanzen. „Wir würden uns riesig freuen, wenn wir diese Bilder dann veröffentlichen können“. Sie hofft, dass sich daraus ein Wissens- und Erfahrungsaustausch rund um die Pflanzen und den Anbau im eigenen Garten entsteht. „Davon könnten dann auch wieder alle profitieren“, ist sie überzeugt.
Wie dieser Erfahrungsaustausch aussehen soll, ist noch offen. „Mein Wunsch ist, dass wir, wenn endlich wieder Veranstaltungen möglich sind, zu Vorträgen mit Fachleuten einladen können und danach Fragen gestellt und eigene Kenntnisse ausgetauscht werden können“, so Neufurth. Bis dahin bleibt nur der Austausch über die sozialen Kanäle – von Twitter über Facebook bis Instagram. Die Initiatorin ist aber überzeugt, dass sich die Hobbygärtner davon nicht abhalten lassen.
Eine Vorstellung, wie viele Neusser bei der Aktion mitmachen werden, habe sie nicht, gibt die Initiatorin zu. „Die Tütchen liegen seit dem 18. März aus, bisher sind etwa zehn Prozent weg, aber die Aussaat beginnt ja auch gerade erst“, erzählt sie.
Samenspenden können daher auch noch weiterhin in der Bibliothek abgegeben werden.
„Nur die Leihfrist ist bei den Samen etwas länger als bei einem Buch oder Film“