Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Wenig Flächen? – Verdichtung in der Höhe!
Der 1891 gegründete Neusser Bauverein feiert runden Geburtstag. Das Vorstandsduo spricht über Perspektiven.
Herr Lubig, Herr Reimann, die Neusser Bauverein AG wird 130 Jahre alt. Kein klassisches Jubiläum, aber ein stolzer runder Geburtstag. Damals wie heute ist es ihre Aufgabe, bezahlbaren Wohnraum für breite Bevölkerungsschichten zu schaffen. Wie aber haben sich die Schwerpunkte in dieser langen Zeitspanne verschoben?
FRANK LUBIG Am Grundgedanken hat sich nichts verändert. Das Kerngeschäft war, ist und wird auch künftig der Bau von Wohnungen und die Pflege beziehungsweise die Modernisierung des Bestandes sein. Dabei war der städtische Bauverein besonders nach den Zerstörungen des Ersten und Zweiten Weltkrieges eine Säule des Wiederaufbaus.
DIRK REIMANN Heute sind wir weiterhin als Bauherr gefordert, aber wir müssen auch Antworten auf gesellschaftliche Veränderungen und Bedürfnisse geben. Es geht um Beiträge zum nachhaltigen Klimaschutz. Energetische Optimierungen müssen beim Neubau und bei der Sanierung mit Vorrang umgesetzt werden. LUBIG Früher lebten die Eltern mit den Kindern und den Großeltern unter einem Dach. Dieser Generationenvertrag ist weggebrochen. Für uns als Wohnungsbaugesellschaft der Daseinsvorsorge bedeutet das: Wir geben Hilfestellungen zum sozialen Miteinander – Nachbarschaftstreffs, unser Fachpersonal begleitet Familien, Kinder und Jugendliche, aber auch Senioren. Eine Siedlung wird sich nicht allein überlassen, sondern wir geben Impulse für die sogenannte Quartiersarbeit.
Aktuell hat der Bauverein mehr als 1100 Wohnungen in Bau oder konkret geplant. Geht es um Quantität oder Qualität?
LUBIG Der Druck auf dem Wohnungsmarkt ist groß, die Liste der Wohnungssuchenden ist auch bei uns sehr lang. Sie umfasst rund 1400 Namen. Darum müssen wir zeitnah bauen. Das tun wir. Letztlich geht es aber immer um Qualität. Energetische Anforderungen und Sozialarbeit gehören ebenso dazu wie durchdachte Grundrisse und wertige Materialien und Ausstattung. Der Kunde sucht das Rundum-Sorglos-Paket. Die Einkommensgrenzen haben sich derart verschoben, dass heute jeder zweite Haushalt über einen Wohnberechtigungsschein verfügt. Das heißt: Er kann in einer mit öffentlichen Geldern geförderten Wohnung einziehen. Andersherum bedeutet das aber auch: Jeder zweite Haushalt muss eine freifinanzierte Wohnung suchen. Auch für diese Klientel müssen wir bezahlbaren Wohnraum schaffen.
Warum baut der Bauverein günstiger als andere?
REIMANN Wir besitzen die Kompetenz, günstiger zu finanzieren und wir haben mit der Stadt Neuss eine Eigentümerin, die nicht auf Gewinnmaximierung aus ist. Hier kann auf Zwischenfinanzierungsinstrumente zurückgegriffen werden.
Große Projekte erfordern viel Geld. Wie finanziert der Bauverein sein Engagement? Wurde das Eigenkapital
aufgestockt? Welche Kreditinstitute – auch aus der Region – sind Ihre Partner?
REIMANN Wir sind sehr, sehr stolz, dass wir im Geschäftsjahr 2019 erstmals mit unserer Bilanzsumme die 500-Millionen-Euro-Marke geknackt haben. Unser Jahresergebnis von 6,5 Millionen Euro konnten wir im Unternehmen belassen, da die Stadt auf eine Ausschüttung verzichtete. Damit kletterte die Eigenkapitalquote von 11,4 auf 12,2 Prozent. Das Eigenkapital ist aber nicht so entscheidend für uns, da wir zum Konzern Stadt Neuss gehören. Als Neusser Unternehmen arbeiten wir naturgemäß eng mit den örtlichen Instituten wie der Sparkasse Neuss und der Volksbank Düsseldorf Neuss zusammen, die unsere Geschäftsfelder kennen. Wir schreiben aber generell am Markt Finanzierungen aus und da kommen auch auswärtige Institute zum Zug. Voraussetzung für die Zusammenarbeit für örtliche oder andere Institute aber ist, dass die angebotenen Konditionen wettbewerbsfähig sind. Grundsätzlich sind wir für Banken und Sparkassen ein großer Partner – die kommen auf uns zu und nicht umgekehrt.
Große Bau- und Planungstätigkeit bindet Ressourcen – reicht Ihr Personal beziehungsweise mussten zusätzliche Mitarbeiter eingestellt werden?
REIMANN Unser Personalstamm liegt unverändert bei 119 Beschäftigten. Der Neusser Bauverein besitzt damit eine optimale Betriebsgröße, mit der wir alle Aufgaben abarbeiten konnten. Auch für die Bewältigung der zukünftigen Herausforderungen sind wir sehr gut aufgestellt.
Wer übermorgen bauen will, muss morgen planen und heute Grundstücke akquirieren – was kommt nach Augustinus-Park, Sauerkrautfabrik
und Nievenheimer Straße in Norf?
LUBIG Schwer zu beantworten, weil es an Flächen fehlt. Die Regie für die aktuell großen Baugebiete wie Schraubenfabrik (Whitesell/Inbus), ehemaliges Pierburg-Gelände oder auch das frühere Etex-Areal am Berghäuschensweg liegt bei privaten Investoren. Die haben aber nur bedingt Interesse am sozialen Wohnungsbau. Wenn private Investoren mit Blick auf den öffentlich geförderten Wohnungsbau auf uns zu kommen, sind wir gesprächsbereit. Voraussetzung dafür ist, dass die angebotenen Flächen und die darauf zu realisierenden Bauvorhaben wirtschaftlich darstellbar sind.
Was bleibt dann für den Bauverein zu tun?
REIMANN Der Bauverein hat rund 60 Hektar bebauten Grund und Boden in seinem Besitz. Dort ist eine sogenannte Nahverdichtung möglich. Die betreiben wir derzeit zum Beispiel an der Willi-Graf-Straße in Weckhoven, wo wir 43 öffentlich geförderte Wohnungen errichten. Wir gehen auch ungewohnte Wege und leisten dabei einen Beitrag zur Stadtreparatur: Der Weltkriegsbunker an der Gielen-/ Ecke Adolf-Flecken-Straße wird in einer Metamorphose diese Projekte gibt der Bauverein mit 500 Millionen Euro an.
Mieter 21.000 bezahlen durchschnittlich 5,51 Euro pro Quadratmeter und Monat; sie bleiben rechnerisch elf Jahre wohnen. Vorstand Frank Lubig und Dirk Reimann sowie der städtische Beigeordnete Christoph Hölters. Aufsichtsrat SPD-Ratsherr Heinrich Thiel wurde im Herbst zum neuen Vorsitzenden gewählt.
zu einem Wohnhaus mit 29 Einheiten. So ein Projekt ist für uns ein Novum.
Wenn innerstädtische Flächen nicht vorhanden sind, aber Wohnraum gebaut werden muss, dann bleibt doch nur, Siedlungen vor den Toren der Stadt zu errichten, oder?
LUBIG Das ist eine Frage, in der Wohnungsbau in eine Werteabgrenzung zur Ökologie gerät. Die Antwort kann nur die Politik, also der Stadtrat geben. Ich gebe zum Beispiel zu, dass ich den Grünzug zwischen Eselspfad und Autobahn A 57 – also auch das nicht mehr benötigte Erweiterungsland für den Friedhof – als interessant betrachte. Der Neusser Architekt Horst Hanrath hat für diesen Bereich sehr spannende Ideen entwickelt – aber wie gesagt: Das muss die Politik entscheiden.
REIMANN Hand aufs Herz: Einen Tod müssen wir doch sterben. Hier steht Städtebau versus Wohnungsbau. Die Lösung aus meiner Sicht: Verdichtung auch in der Höhe. Aber es gibt hier auch anschauliche, städtebaulich ansprechende Kombinationsmöglichkeiten.
Und was tun Sie, was tut der Neusser Bauverein konkret in dieser für Bauträger schwierigen Situation?
LUBIG Ich sehe eher, dass wir neben der Nahverdichtung in unseren Bestand investieren. Da sind wir sehr pragmatisch unterwegs, um ältere Gebäude zu revitalisieren, energetisch fit zu machen und qualitativ hohe Standards einzuziehen.
Was sind dann die Trends und Zukunftsthemen für ein kommunales Wohnungsbauunternehmen wie die Neusser Bauverein AG?
LUBIG Wir werden unseren Beitrag leisten, damit die Stadt Neuss bis 2035 ihre Klimaschutzziele erreicht. Dazu zählen neben der energetischen Sanierung auch Photovoltaikanlagen auf den Dächern. Das Haus am Pegel, in dem die Bauverein-Zentrale sitzt, könnte zum Beispiel 80 Prozent seines Stromverbrauchs selbst erzeugen. Bei unseren großen Neubauvorhaben setzen wir auf energieoptimierte, zentrale Heizungsanlagen. Bei unseren beiden Projekten Augustinus-Park und Leuchtenberg wird beispielsweise eine Anlage die Wärme für rund 700 Haushalte liefern. Bis 2022 wollen wir unsere gesamte Autoflotte auf Elektrofahrzeuge umgestellt haben. Das sind Zukunftsthemen, die wir gern forcieren.
Warum sehen Sie den Neusser Bauverein mit seiner Kompetenz nicht als starken Partner für eine wie auch immer gestaltete kreisweit operierende Wohnungsgesellschaft? REIMANN Neuss ist noch nicht fertig gebaut. Es ist nicht unsere Aufgabe oder Auftrag in den Randgemeinden Bauprojekte zu realisieren. Wenn wir rund 1400 Wohnungsgesuche auf unserer Liste haben, dann sehen diese Wohnungssuchenden ihre Perspektive nicht in Jüchen und Rommerskirchen, auch nicht in Dormagen und Grevenbroich, sondern in Neuss.