Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Abrakadabra, so zaubert man Rhabarber
Er ist rot, sauer – und wird immer gefragter. Eine halbe Tonne Rhabarber erntet der Kaarster Landwirt Herbert Wilms derzeit pro Tag – dabei hat die Freiland-Saison noch gar nicht begonnen. Das liegt an einem Tunnel-System.
KAARST Wer einen dieser dunklen, 100 Meter langen Tunnel betritt, muss hitzeresistent sein. Mehr als 35 Grad sind es an diesem sonnigen Tag unter der schwarzen Folie – aber Goliath mag das so. Nein, dabei handelt es sich nicht um den bekannten biblischen Riesen, der David und seiner Steinschleuder zum Opfer fiel, sondern um eine Rhabarbersorte.
Inmitten des Tunnels steht der Kaarster Landwirt Herbert Wilms und bricht eine der großen Stangen heraus. „Goliath ist eigentlich eine Freiland-Sorte, aber dort ist sie wegen ihrer starken Säure nichts für den Frischmarkt, sondern eher für die Saftindustrie“, erklärt der 57-Jährige. Die Stangen seien normalerweise zum Großteil grün, durch die besonderen Verhältnisse in dem Folientunnel könne er aber eine knallig rote Farbe und eine entsprechende Süße erzeugen. Ein weiterer
„Viele denken, Rhabarber sei Obst, aber es handelt sich um Gemüse“
Herbert Wilms Landwirt Vorteil: Den „Indoor-Rhabarber“erntet Wilms bereits seit Mitte März, während die Stangen vom Freiland erst ab April so langsam in Fahrt kommen. Die Haupterntezeit ist erst im Mai.
Rund eine halbe Tonne der Pflanzenart aus der Familie der Knöterichgewächse ernten Wilms und sein Team derzeit pro Tag. „Die Nachfrage ist sehr groß, vor allem jetzt während der Pandemie, weil die Leute viel zu Hause kochen und backen“, sagt der Landwirt, der seinen Rhabarber am liebsten als Kompott in Kombination mit Vanille-Eis genießt. Bei Vorbestellungen aus dem Großmarkt-Bereich müsse er bereits die Bremse ziehen – trotz der Tatsache, dass der Kaarster über ein Viertel-Hektar Tunnelanlage sowie rund zwei Hektar Freiland für seine Rhabarber-Sorten verfügt.
Das Rheinland ist deutschlandweit Hauptanbaugebiet für die Stangen. Ihr spürbarer Säuregeschmack wird nicht nur für Kompott und Kuchen, sondern gelegentlich auch für andere Rezepte, etwa für Chutneys mit Fleisch, genutzt. 2019 wurde laut Statistischem Landesamt IT.NRW landesweit auf knapp 630 Hektar vor allem in den Regierungsbezirken Köln und Düsseldorf Rhabarber angebaut. Die Anbaufläche ist damit 2019 im Vergleich zum Jahresschnitt 2013 bis 2018 um fast ein Drittel gestiegen. Der Gesamtertrag lag 2020 bei gut 12.700 Tonnen.
Auch wenn sich das Geschäft mit den roten Stangen – die sich laut Wilms beim Verkaufsrang direkt hinter Spargel und Erdbeeren einreihen –, lohnt: Ein einfaches Unterfangen
sei die Ernte in den mit einer Bewässerungsanlage und Hackschnitzel-Heizung ausgestatteten Tunneln nicht. „Es darf nicht zu hell und nicht zu dunkel sein. Auch die Temperatur ist entscheidend“, sagt der Landwirt.
Die eigentliche Rhabarber-Ernte gehe bis zum 24. Juni – allerdings nur auf dem Freiland. Im Tunnel werden die letzten Stangen wegen der starken Strapazen bereits Mitte Juni herausgebrochen. „Aber dann ist ja bereits genug Freiland-Rhabarber
vorhanden“, sagt Wilms. Die Blattstiele werden – je nach Sorte und Alter – geschält und meist geschnitten weiterverarbeitet.
Eine Kultur der ursprünglich aus dem Himalaya stammenden Pflanze dauert meist fünf bis sechs Jahre. „Unsere ist jetzt im fünften Jahr. Wir müssen also in rund zwei Jahren neu pflanzen“, sagt Wilms, der schmunzelnd einen weit verbreiteten Irrtum korrigiert: „Viele denken, Rhabarber sei Obst, aber es handelt sich um Gemüse.“