Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Sorge vor Covid-Spätfolgen bei Kindern
Kinder überstehen eine Corona-Infektion meist gut, doch Wochen danach tritt immer öfter eine Erkrankung mit schweren Folgen auf. Darauf bereitet sich die Kinderklinik vor. Ihr Leiter appelliert: „Auch Kinder impfen!“
NEUSS Mit den steigenden Corona-Zahlen steigt auch die Zahl der infizierten Kinder und Jugendlichen. Über sie werde wenig gesprochen, da ihre Erkrankung – falls sie überhaupt Symptome zeigen – in der Regel einen milden Verlauf nimmt, sagt Professor Guido Engelmann. Der Chefarzt der Kinderklinik des Klinikverbundes Rheinland Klinikum Neuss hat seit Ausbruch der Pandemie nur zehn Covid-Patienten unter 18 Jahren in seinem Haus an der Preußenstraße stationär behandelt und nur einen Fall in seine Intensivstation aufnehmen müssen. Trotzdem schlägt er jetzt Alarm. Seine Sorge hat einen Namen: PIMS. Sein Appell: Kinder beim Impfen nicht vergessen.
PIMS ist die Abkürzung für Pediatric Inflammatory Multisystem Syndrome und meint die Spätfolge einer Covid-Erkrankung. „Das Immunsystem spielt verrückt“, übersetzt Engelmann, die im Körper des Kindes gebildeten Antikörper würden sich gegen das eigene Immunsystem wenden. Das Phänomen tritt in der Regel vier bis sechs Wochen nach der Infektion auf – und das mit schweren Folgen. „Dieses spezifische pädiatrische Phänomen wird uns die meisten Schwierigkeiten machen“, sagt der Kinderarzt.
Die meisten der bekannt gewordenen PIMS-Fälle – Jungen sind dabei häufiger betroffen als Mädchen – sind nach Angaben der Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie schnell auf einer Kinderintensivstation gelandet. Tödliche Verläufe seien zwar noch nicht eingetreten, ein Teil der Kinder behalte aber
„Wir sehen zunehmend, dass die Kinder bei uns ausgelaugt ankommen“
Folgeschäden zurück, vor allem im Herz-Kreislauf-System.
Ein bisher mit PIMS registriertes Problem ist, dass die Aufnahmediagnose in fast allen Fällen eine andere ist. „Die Kinder klagen über Bauchschmerzen, weshalb oft erst an eine Blinddarmerkrankung gedacht wird“, nennt Engelmann ein Beispiel. Fieber, Luftnot, Hautausschlag oder eine Bindehautentzündung sind andere Beschwerden, die bei PIMS auftreten und Ärzte oft zunächst auf eine falsche Fährte führen würden.
In der Kinderklinik am Standort Lukaskrankenhaus richtet man sich darauf ein, es schon bald mit solchen Patienten zu tun zu bekommen. „Nicht nur statistische Modelle sagen das voraus“, sagt der Chefarzt, der auf der Kinderintensivstation über 18 Betten verfügt. Die meisten sind für Neugeborene vorgesehen, nur vier stehen für etwas ältere Kinder bereit. Und die Situation verschärfe sich, weil die Augustinus-Gruppe ihre Kinderklinik am Krankenhaus Neuwerk in Mönchengladbach schließt. „Seit Donnerstag
Guido Engelmann Chefarzt
werden Fälle, die nicht akut sind, abgewiesen“, bestätigt Unternehmenssprecher Christian Herrmanny. „Damit fehlt ein Player in der Region“, sagt Engelmann.
Impfung sei in der Pandemie die einzige Rettung, auch für Kinder. „Sie nicht zu impfen, macht keinen Sinn“, sagt Engelmann, der bei einer Abwägungsentscheidung immer dafür plädieren würde, Kindergärten und Schulen unbedingt offen zu halten. Denn was Schließungen für Folgen haben, erlebt er täglich in der Ambulanz der Kinderklinik. „Wir sehen zunehmend, dass die Kinder hier ausgelaugt ankommen, weil sie nicht mehr können“, sagt er. Bewegungsmangel, fehlende Kontakte einerseits und ein steigender Medienkonsum andererseits hinterlassen in der Altersgruppe U18 Spuren. Depression ist eine davon, sinkende Konzentrationsfähigkeit eine andere. Engelmann: „Homeschooling ist oft nur ,Rumhocking'.“