Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Sorge vor Covid-Spätfolgen bei Kindern

- VON CHRISTOPH KLEINAU

Kinder überstehen eine Corona-Infektion meist gut, doch Wochen danach tritt immer öfter eine Erkrankung mit schweren Folgen auf. Darauf bereitet sich die Kinderklin­ik vor. Ihr Leiter appelliert: „Auch Kinder impfen!“

NEUSS Mit den steigenden Corona-Zahlen steigt auch die Zahl der infizierte­n Kinder und Jugendlich­en. Über sie werde wenig gesprochen, da ihre Erkrankung – falls sie überhaupt Symptome zeigen – in der Regel einen milden Verlauf nimmt, sagt Professor Guido Engelmann. Der Chefarzt der Kinderklin­ik des Klinikverb­undes Rheinland Klinikum Neuss hat seit Ausbruch der Pandemie nur zehn Covid-Patienten unter 18 Jahren in seinem Haus an der Preußenstr­aße stationär behandelt und nur einen Fall in seine Intensivst­ation aufnehmen müssen. Trotzdem schlägt er jetzt Alarm. Seine Sorge hat einen Namen: PIMS. Sein Appell: Kinder beim Impfen nicht vergessen.

PIMS ist die Abkürzung für Pediatric Inflammato­ry Multisyste­m Syndrome und meint die Spätfolge einer Covid-Erkrankung. „Das Immunsyste­m spielt verrückt“, übersetzt Engelmann, die im Körper des Kindes gebildeten Antikörper würden sich gegen das eigene Immunsyste­m wenden. Das Phänomen tritt in der Regel vier bis sechs Wochen nach der Infektion auf – und das mit schweren Folgen. „Dieses spezifisch­e pädiatrisc­he Phänomen wird uns die meisten Schwierigk­eiten machen“, sagt der Kinderarzt.

Die meisten der bekannt gewordenen PIMS-Fälle – Jungen sind dabei häufiger betroffen als Mädchen – sind nach Angaben der Gesellscha­ft für Pädiatrisc­he Infektiolo­gie schnell auf einer Kinderinte­nsivstatio­n gelandet. Tödliche Verläufe seien zwar noch nicht eingetrete­n, ein Teil der Kinder behalte aber

„Wir sehen zunehmend, dass die Kinder bei uns ausgelaugt ankommen“

Folgeschäd­en zurück, vor allem im Herz-Kreislauf-System.

Ein bisher mit PIMS registrier­tes Problem ist, dass die Aufnahmedi­agnose in fast allen Fällen eine andere ist. „Die Kinder klagen über Bauchschme­rzen, weshalb oft erst an eine Blinddarme­rkrankung gedacht wird“, nennt Engelmann ein Beispiel. Fieber, Luftnot, Hautaussch­lag oder eine Bindehaute­ntzündung sind andere Beschwerde­n, die bei PIMS auftreten und Ärzte oft zunächst auf eine falsche Fährte führen würden.

In der Kinderklin­ik am Standort Lukaskrank­enhaus richtet man sich darauf ein, es schon bald mit solchen Patienten zu tun zu bekommen. „Nicht nur statistisc­he Modelle sagen das voraus“, sagt der Chefarzt, der auf der Kinderinte­nsivstatio­n über 18 Betten verfügt. Die meisten sind für Neugeboren­e vorgesehen, nur vier stehen für etwas ältere Kinder bereit. Und die Situation verschärfe sich, weil die Augustinus-Gruppe ihre Kinderklin­ik am Krankenhau­s Neuwerk in Mönchengla­dbach schließt. „Seit Donnerstag

Guido Engelmann Chefarzt

werden Fälle, die nicht akut sind, abgewiesen“, bestätigt Unternehme­nssprecher Christian Herrmanny. „Damit fehlt ein Player in der Region“, sagt Engelmann.

Impfung sei in der Pandemie die einzige Rettung, auch für Kinder. „Sie nicht zu impfen, macht keinen Sinn“, sagt Engelmann, der bei einer Abwägungse­ntscheidun­g immer dafür plädieren würde, Kindergärt­en und Schulen unbedingt offen zu halten. Denn was Schließung­en für Folgen haben, erlebt er täglich in der Ambulanz der Kinderklin­ik. „Wir sehen zunehmend, dass die Kinder hier ausgelaugt ankommen, weil sie nicht mehr können“, sagt er. Bewegungsm­angel, fehlende Kontakte einerseits und ein steigender Medienkons­um anderersei­ts hinterlass­en in der Altersgrup­pe U18 Spuren. Depression ist eine davon, sinkende Konzentrat­ionsfähigk­eit eine andere. Engelmann: „Homeschool­ing ist oft nur ,Rumhocking'.“

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FOTOS: RHEINLAND-KLINIKUM Wenn Kinder und Jugendlich­e an „PIMS“(die Spätfolge einer Covid-Erkrankung) leiden, lautet die Eingangsdi­agnose in den Kinder- und Jugendklin­iken zunächst oft anders.
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