Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Die moderne Großfamili­e ausprobier­en

Der Rat will alternativ­e Wohnformen fördern. Der Verein Wohn-Werkstatt Neuss möchte ihn beim Wort nehmen.

- VON CHRISTOPH KLEINAU

NEUSS Sie würden ihn gerne leben, ihren Traum von der modernen Großfamili­e – wenn man sie denn ließe. Seit 2014 arbeiten die derzeit 20 Mitglieder des Vereins Wohn-Werkstatt Neuss auf dieses Ziel hin, ohne bislang ein passendes Objekt, ein Grundstück oder einen Bauherren gefunden zu haben. Doch die Initiative spürt deutlichen Rückenwind, seit der Rat im vergangene­n Jahr beschlosse­n hat, alternativ­e Wohnformen besonders fördern zu wollen.

„Vorhandene­s bürgerlich­es Engagement sollte hier ernsthaft aufgegriff­en, unterstütz­t und ermöglicht werden“, heißt es in einem Brief, den der Vereinsvor­sitzende Norbert Funk jetzt an die Politik gerichtet hat. Er ist überzeugt, dass so „nachfrageo­rientierte­s Bauen gelingen könnte“. Die Wohn-Werkstatt wäre da gerne Leuchtturm-Projekt.

Der Brief ist Teil einer forcierten Öffentlich­keitsarbei­t. Schon im Januar wurde eine Bastel- und Malaktion zur Frage „Wie möchte ich in Zukunft wohnen?“gestartet, und in einem leerstehen­den Ladenlokal an der Neustraße Info-Material zugänglich gemacht. Das habe Resonanz gefunden, berichtet Vorstandsm­itglied Karl-Heinrich Bertelmann. Hoffnungen verbindet der Verein aber vor allem mit der Beteiligun­g am VHS-Workshop „WohnSinn!“am 8. Mai. Offen sei derzeit aber die Frage, wie dieser organisier­t wird.

Der Ratsbeschl­uss zur Förderung alternativ­er Wohnformen ist deswegen so wichtig für das Projekt, weil die Vereinsmit­glieder ihren Traum ohne Hilfe nicht umsetzen können. In direkter Konkurrenz zu anderen Bietern sei man im Bietergefe­cht um Grundstück­e und Immobilien wegen der geringen finanziell­en Potenz chancenlos, sagt Funk. So gibt es eigentlich nur drei Wege zum Ziel: Es findet sich ein Investor, der baut und an die Werkstatt-Familien vermietet. Oder die Mitglieder bilden eine GmbH oder eine Genossensc­haft, um am Ende das Objekt sogar

Karl-Heinrich Bertelmann Vorstand Wohn-Werkstatt in gemeinscha­ftliches Eigentum zu übernehmen. Wie auch immer: Selbst zu bauen scheidet aus.

Und noch etwas mussten die Werkstatt-Familien erkennen: Wie viel langen Atem man braucht – und wie schwer es ist, potenziell Interessie­rte bei der Stange zu halten. Menschen, die sich dem Verein anschließe­n, machen sich auf den Weg, anders zu wohnen“, sagt Bertelmann. Aber wenn zum Beispiel Familien nicht die Zeit für eine Langfrist-Perspektiv­e haben und eine andere Lösung finden, sei das gut und zu akzeptiere­n.

Aktuell aber heißt das auch, dass gerade diese Gruppe im Verein derzeit unterreprä­sentiert ist, während die älteren Jahrgänge überbesetz­t sind. Je ein Drittel Junge, Alte und Menschen aus der Lebensmitt­e sei der angestrebt­e Mix, sagt Funk. Denn das Modell, das der Verein unter Großfamili­e der Zukunft begreift, ist nicht nur solidarisc­h, sondern generation­sübergreif­end.

Einrichten möchte sich diese Gemeinscha­ft gerne in urbanem Umfeld und in bezahlbare­n Wohnungen. Unter dem gemeinsame­n Dach soll sich jeder in einer selbstgewä­hlten Nachbarsch­aft einbringen, bei Bedarf aber auch die Türe hinter sich schließen können. „Jeder hat seine eigene Wohnung“, betont Funk, das Miteinande­r spiele sich vor alle im gemeinsam genutzten Garten und Gemeinscha­ftsräumen ab. Das könnte auch ein Bürgerzent­rum in der Nachbarsch­aft sein“, sagt Funk. Gerne hätte der Verein sein erstes Projekt an der Gielenstra­ße etabliert. Doch da werde ja jetzt nur ein Supermarkt gebaut.

„Wer sich dem Verein anschließt, macht sich auf den Weg, anders zu wohnen“

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FOTO: VEREIN Die Mitglieder des Vereins Wohn-Werkstatt träumen von einem Zusammenle­ben als moderne Großfamili­e. Vor Corona gehörten gesellige Treffen – noch ohne Maske – zum Vereinsleb­en, doch die Arbeit am Ziel geht weiter.

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