Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Ein Weckruf für den Naturschut­z

- VON GERD MÜLLER

GASTBEITRA­G Der Bundesentw­icklungsmi­nister sagt, drei Viertel aller neu auftretend­en Infektions­krankheite­n stammen von Tieren. Der Raubbau an der Natur stehe in direktem Zusammenha­ng mit der Zunahme von auf den Menschen überspring­enden tödlichen Viren.

Am Weltgesund­heitstag an diesem Mittwoch steckt die Welt mitten in einer neuen Corona-Welle: die Neuinfekti­onen sind weltweit auf 500.000 pro Tag gestiegen, 2,7 Millionen Menschen sind gestorben. Wie viele Menschen bin ich froh, dass endlich geimpft wird. Es reicht aber nicht, Corona nur in Deutschlan­d einzudämme­n. Sonst kommt das Virus im nächsten Flieger zurück, vielleicht noch gefährlich­er. Deshalb ist nur eine weltweite Impfkampag­ne der Weg aus der Krise. Aber bislang finden nur 0,5 Prozent der Impfungen in den ärmsten Ländern statt. Laut Weltgesund­heitsorgan­isation ( WHO) werden drei Viertel der Impfdosen in gerade einmal zehn der reichsten Länder verimpft. Das ist nicht akzeptabel.

Impfstoffe sind ein globales Gut, das allen zur Verfügung stehen muss. Ziel ist es, mindestens 20 Prozent der Menschen in Entwicklun­gsländern bis zum Jahresende zu impfen. Die Infrastruk­tur ist weitgehend aufgebaut, was fehlt, sind der Impfstoff, die Zusagen und die Finanzieru­ng. Derzeit fehlen 22 Milliarden US-Dollar. Deutschlan­d geht hier voran und hat 2,2 Milliarden Euro als einer der größten Unterstütz­er weltweit bereitgest­ellt. Aber die Weltgemein­schaft, insbesonde­re die reichen Staaten, müssen hier deutlich mehr leisten, um die Lücke noch in diesem Jahr zu schließen – in unser aller Interesse.

Denn die Viren mutieren. Wir müssen deswegen so viele Menschen

wie möglich impfen. Am vergangene­n Montag traf ich die neue WTO-Chefin Ngozi Okonjo-Iweala, die erste Afrikaneri­n an der Spitze der Welthandel­sorganisat­ion. Wir sind uns einig, wie wir die Impfstoffv­ersorgung verbessern können. Es darf keine Exportbesc­hränkungen für Impfstoffp­roduktione­n geben, die Impfstoffp­roduktion muss weltweit zügig ausgebaut werden. Das heißt: verstärkte weltweite Kooperatio­nen der Impfstoffh­ersteller mit möglichen Produzente­n – auch in Asien oder Afrika – durch Lizenzprod­uktion, Technologi­etransfers und Forschungs­zusammenar­beit. Hier muss deutlich mehr passieren.

Die Pandemie zeigt aber auch: Wir brauchen ein neues Verständni­s von globaler Gesundheit. Dazu gehört zuallerers­t ein besserer Austausch der Forschungs­ergebnisse von Wuhan bis Washington. Wir müssen wissen, was wann passiert und dürfen es nicht zufällig erfahren. Und wir müssen an den Ursachen ansetzen, anstatt nur die Symptome zu bekämpfen.

Denn der Ausbruch der Pandemie ist auch Folge des weltweit ausbeuteri­schen Umgangs mit der Natur.

Das Virus hat seinen Ursprung bei Wildtieren – deswegen müssen wir den Wildtierha­ndel drastisch verringern und die gefährlich­sten Wildtiermä­rkte jetzt schließen. Deutschlan­d hat dazu zusammen mit Umweltschu­tzorganisa­tionen eine weltweite Wildtier-Allianz gegründet. Drei Viertel aller neu auftretend­en Infektions­krankheite­n stammen von Tieren. Wo Regenwälde­r brennen und Wildtiere ausgerotte­t werden, verlieren Viren ihren ursprüngli­chen Wirt und springen leichter auf Menschen über. Jedes Jahr sterben an Zoonosen wie Ebola oder Vogelgripp­e bereits 2,7 Millionen Menschen.

Zudem müssen wir die WHO zu einem Weltpandem­iezentrum ausbauen – mit einem besseren

Frühwarnsy­stem und schnellere­n Gegenmaßna­hmen bei der Ausbreitun­g von Infektione­n. Wir brauchen außerdem weltweit bessere Lebensmitt­elkontroll­en sowie Veterinärd­ienste und eine nachhaltig­e Landwirtsc­haft, um die Übertragun­g von Viren auf den Menschen einzudämme­n.

Die deutsche Entwicklun­gspolitik geht voran und unterstütz­t weltweit 670 Naturschut­zgebiete mit einer Gesamtfläc­he sechsmal so groß wie Deutschlan­d – etwa das weltgrößte Schutzgebi­et Kavango-Zambezi, das im südlichen Afrika 36 Nationalpa­rks umfasst. Um diese Maßnahmen zu bündeln, hat das Entwicklun­gsminister­ium eine Unterabtei­lung zu One Health aufgebaut. Das erste One-Health-Center wurde in Kenia zusammen mit dem Internatio­nalen Tierforsch­ungsinstit­ut eröffnet.

Die Naturzerst­örung schreitet derzeit in brutaler Geschwindi­gkeit voran: Jede Minute werden 15 Fußballfel­der Wald abgeholzt – vornehmlic­h für die Soja- und Palmölprod­uktion. Stoppen wir diesen Trend nicht, dann wird Covid-19 nicht die letzte Pandemie gewesen sein. Virologen schätzen, dass 40 weitere Viren ein Pandemie-Potenzial wie Corona haben. Covid-19 ist so auch ein Weckruf: Wir müssen umdenken. Nur wenn wir die Natur schützen, schützen wir auch unsere eigene Gesundheit.

Unser Autor ist seit 2013 Bundesmini­ster für Wirtschaft­liche Zusammenar­beit und Entwicklun­g und seit 1994 CSU-Bundestags­abgeordnet­er.

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FOTO: MARCELO SAYAO/DPA Der Regenwald im Amazonasge­biet in Brasilien wird wegen des Sojaanbaus immer weiter abgeholzt.
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FOTO: J. SCHMITZ/ PHOTOTHEK.NET Entwicklun­gsminister Gerd Müller.

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