Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Kirchenreformer Hans Küng stirbt mit 93 Jahren
TÜBINGEN (los) Hans Küng war einer, dem man gerne zuhörte. Wegen seines Schweizer Dialekts, vor allem aber wegen seines Temperaments, seiner so viele Jahre ungebrochenen Bereitschaft zur Auseinandersetzung. Weil Küng partout nicht einsehen wollte, dass Kirche so blieb wie sie eben war und doch so lebendig sein könnte, wie er sie sich wünschte. Am Dienstag ist Hans Küng im Alter von 93 Jahren gestorben, in seinem Wahlheimatort Tübingen. Über sechs Jahrzehnte lebte er dort, war eng befreundet mit Walter Jens. Mit ihm zusammen schrieb er ein Buch als Plädoyer für das Recht auf die letzte Selbstverantwortung des Menschen. Sterbehilfe sagt man dazu auch. In Anspruch genommen aber hat er sie für sich nicht, wie es hieß.
Küng war so vieles: Kirchenreformer und frommer Rebell, Visionär und Katholik mit Haut und Haar, dem Johannes Paul II. 1979 die Lehrerlaubnis entzog, weil er es gewagt hatte, die Unfehlbarkeit des Papst anzuzweifeln. Küng war in Rom als Störenfried bekannt, doch sah man von drakonischen Maßnahmen zunächst ab. Papst Paul VI. ließ in Küngs Akte noch „Procedere con carita“vermerken – mit Liebe vorgehen. Küng hat der Kirche zugesetzt: mit seiner Kritik am päpstlichen Absolutismus und am Zölibat, den er als unbiblisch kurzerhand abtat. In die Ecke drängen konnte man ihn nicht, dafür war er als Theologe viel zu groß und mit rund zwei Millionen verkauften Büchern obendrein viel zu populär.
Küng war schon früh aufgefallen, als Berater beim Zweiten Vatikanischen Konzil Mitte der 1960er-Jahre – und mit ihm ein anderer junger Theologe: Joseph Ratzinger. Seit 1957 kannten und schätzen sie einander. Weggefährten waren sie viele Jahre, bis zur großen Gabelung: Ein Weg führte bis ins Papstamt; der andere an den Rand der Kirche. Eine solche Distanz ist zu groß für eine Aussöhnung, aber spannend genug für eine letzte Begegnung der beiden 2005 in der päpstlichen Sommerresidenz. Freundschaftlich soll die Atmosphäre gewesen sein.