Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Viren gegen Bakterien
Eines der größten Probleme der Medizin sind Keime, gegen die Antibiotika resistent sind. Hoffnung setzt die Fachwelt auf Bakteriophagen. Leider mangelt es an Studien. Verzweifelte Patienten suchen Hilfe in Georgien.
schädlich sein können, etwa für die Leber. Weil sie potenziell giftig sind, nennt man das Problem Lebertoxizität. Manche Antibiotika sind sogar in Verruf geraten, etwa die sogenannten Fluorchinolone. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte weiß das genauer: „Antibiotika aus der Gruppe der Fluorchinolone können in sehr seltenen Fällen Nebenwirkungen im Bereich der Sehnen, Muskeln, Gelenke und des Nervensystems hervorrufen, die schwerwiegend und anhaltend die Lebensqualität beeinträchtigend und möglicherweise dauerhaft sind. Betroffen davon sind alle Fluorchinolone, die über den Mund eingenommen, injiziert oder inhaliert werden.“
Das Problem für Resistenzen in westlichen Ländern ist die häufige Verordnung sogenannter Breitband-Antibiotika. Man haut mit der großen Keule auf einen Keim, vernichtet dadurch nicht nur wichtige Keime (etwa im Darm), sondern sorgt auch dafür, dass andere Keime unter einen erhöhten Selektionsdruck geraten, sich zurückziehen, mutieren und gleichsam unangreifbar werden. Dann helfen nicht selten nur noch sogenannte
Reserve-Antibiotika – oder gar keine mehr. Phagen dagegen sind nicht toxisch. Sie wirken nur an Bakterien. Wenn die sich zersetzen, entstehen zwar sogenannte Endotoxine, „aber die gibt es bei jedem Kampf gegen Bakterien. Deshalb entstehen ja auch Fieberschübe.“
In Deutschland steckt die Behandlung mit Phagen noch in den Kinderschuhen, doch gibt es ermutigende Ansätze. Ziehr: „Wir haben viel mit dem Keim Pseudomonas aeruginosa herumexperimentiert, der sehr gefährlich ist, weil er oft resistent gegen Antibiotika ist. Oft ist er bei Patienten zu finden, die an Mukoviszidose leiden und eine Lungenentzündung bekommen.“Für sie hat Ziehr mit seinem Team einen Phagen-Cocktail entwickelt, der 80 Prozent aller Pseudomonaden erfasst.
Es gibt mittlerweile auch eine Braunschweiger Kooperation mit den Bundeswehrkrankenhäusern. Ziehr: „Die Bundeswehr-Apotheke mischt dann Phagen für eine individuelle Behandlung chronischer Infektionen.“Auch die Medizinische Hochschule in Hannover arbeitet im Bereich der Transplantationsmedizin mit Phagen. „Das geht, weil Ärzte unter dem Siegel der Therapiefreiheit hierzulande Medikamente selbst herstellen dürfen. Oder denken Sie nur an einen Menschen, der einen Schrittmacher bekommt: Da stellt sich in seltenen Fällen schon einmal eine chronische Sepsis ein, die auf Antibiotika nicht mehr reagiert.“
Ziehr ist sich sicher: „Man wird bei uns im Kampf gegen resistente Erreger zusätzliche Wege gehen müssen.“Natürlich gibt es noch unklare Aspekte zu lösen. Zum Beispiel gibt es Möglichkeiten einer Resistenzbildung von Bakterien gegenüber Phagen. Am häufigsten ist eine Resistenz durch Veränderung des Erbguts, sodass die bakteriellen Rezeptoren mutieren und die Phagen nicht mehr andocken können. Allerdings wird dadurch oft auch die Aggressivität der Bakterien verringert. Das Bundesinstitut für Risikobewertung sagt: „Grundsätzlich gibt es eine quasi gemeinsame Weiterentwicklung von Bakterien und Phagen. Das bedeutet, dass bei einer Resistenzbildung der Bakterien die Phagen durch Verändern ihres Erbmaterials dieser Resistenz entgegenwirken.“
Viele schauen derzeit jedenfalls nach Braunschweig. Auch Herr Emsfeld hat dort angerufen. Leider konnte Holger Ziehr ihm nicht helfen. Erst müsse die Phagentherapie zugelassen sein. Die Not der Menschen spüre Ziehr deutlich: „Solche Telefonate tun mir weh.“Jetzt spart Herr Emsfeld für ein Flugticket nach Tiflis.