Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Gut betreut, aber nicht im Heim
Am Römerpark heißt die erste selbstverwaltete Demenz-WG. Das Modell baut auf das Engagement der Angehörigen.
NORDSTADT Wohngemeinschaft „Am Römerpark“wird ab dem 1. Juni an einem Klingelschild des Hauses Fesserstraße 18 a stehen. Wer dort anschellt, erhält Zutritt zu einem bislang in Neuss einmaligen Wohnprojekt: der ersten selbstverwalteten Demenz-WG. Einer Pflegeeinrichtung, die professionelle Betreuung mit weitestgehender Beteiligung der Betreuten verbindet und die von den Angehörigen dieser Menschen getragen und geleitet wird.
Das verändert die Perspektive in mehrfacher Hinsicht. Die Verantwortung wird an keinen Träger, keine Heimleitung delegiert, denn die Angehörigen stehen weiter in der Pflicht. Das fordert Engagement, doch hat es auch Vorteile, wenn man das Heft des Handelns in der Hand behält: „Wenn jemand nicht gut zu unseren Eltern ist, werfen wir ihn raus“, nennt einer aus der Gruppe ein Beispiel.
Wenn die eigenen Eltern im Alter an Demenz erkranken, kann man zu ihnen ziehen oder sie zu sich nach Hause holen. Das ist nicht immer die beste Lösung. Denn der Abschied der Eltern von ihrer eigenen Autonomie, so beschreibt es Monika Schneider von der Kölner Agentur für Wohnkonzepte, verändert das Eltern-Kind-Verhältnis.
Daraus ergeben sich neue Rollen, neue Verantwortlichkeiten – und auch neue Konflikte können darin ihre Ursache haben. Und die große Nähe kann zur Belastung werden.
Das WG-Modell nimmt solchen Entwicklungen die Spitze. Man bleibt zwar in der Verantwortung für die Eltern, muss aber nicht ständig für sie da sein. Denn viel fängt auch die Gruppe auf. „Die entwickelt eine gewisse Tragfähigkeit untereinander“, sagt Schneider, die mit ihrer Kölner Agentur die Angehörigen beim Start des Projektes begleitet.
Ina Huege kennt dieses Modell bereits. Sie zog vor 30 Jahren von Brandenburg nach Neuss und holt nun ihre Mutter, die in Lauchhammer in einer Senioren-Wohngruppe lebt, nach. „Man kennt doch die Interessen und Stärken der Eltern und kann diese im Tagesablauf berücksichtigen“, nennt sie einen Vorteil, den die selbstverwaltete WG gegenüber einem Heim aus ihrer Sicht hat. Und in der Wohngruppe erkennt sie noch einen großen Vorteil, der gerade für Demenzkranke sehr wichtig ist: Ein überschaubares Wohnumfeld und immer die gleichen Gesichter um einen herum.
Beides berücksichtigt auch das DRK in seinem Konzept, mit dem sich der Verband bei der Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) „Am Römerpark“, die die Angehörigen für den Betrieb der WG gründen mussten, erfolgreich um den Betreuungsund Pflegeauftrag beworben hat und für die 24-Stunden-Betreuung zum Start nur für die WG sieben neue Mitarbeiter einstellt. „Das größte Problem für Demente ist Orientierung“, sagt DRK-Geschäftsführer Marc Dietrich.
Die Auswahl des Pflegedienstes war eine wichtige Entscheidung, die die GbR-Mitglieder getroffen haben. Jetzt geht es darum, die gemeinsame Wohnung, die von der Gemeinnützigen Wohnungs-Genossenschaft (GWG) in einem Neubau an der Fesserstraße geschaffen wurde, einzurichten. Jeder der bis zu zehn Bewohner hat zwar sein eigenes Appartement, doch auch in den Gemeinschaftsräumen sollen (vertraute) Möbelstücke aufgestellt werden, die von den WG-Mitgliedern mitgebracht werden dürfen.
Für solche Entscheidungen ist es wichtig, dass sich die Beteiligten kennen. Dazu gab es in der Vergangenheit Baustellentermine, aktuell aber nur Video-Konferenzen. Unter den Pandemie-Umständen sei es nicht einfach, eine funktionierende Gruppe zu bilden, sagt Schneider, die Erfahrung mit solchen Projekten hat. Sie sieht die Neusser aber auf einem guten Weg: „Beim Gründen braucht man Leute mit Spirit“, sagt sie – und spürt ihn.
Sechs von zehn Plätzen sind zum Start belegt, weitere Aufnahmeanträge liegen der GbR vor. Die Entscheidung ist nicht immer leicht. Kann man, nennt Schneider einen Fall, jemanden aufnehmen, dessen Kinder weit weg leben und „nicht da sein können, wenn die Welt untergeht?“Denn das könne bei Demenzpatienten schnell geschehen.