Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Gut betreut, aber nicht im Heim

Am Römerpark heißt die erste selbstverw­altete Demenz-WG. Das Modell baut auf das Engagement der Angehörige­n.

- VON CHRISTOPH KLEINAU

NORDSTADT Wohngemein­schaft „Am Römerpark“wird ab dem 1. Juni an einem Klingelsch­ild des Hauses Fesserstra­ße 18 a stehen. Wer dort anschellt, erhält Zutritt zu einem bislang in Neuss einmaligen Wohnprojek­t: der ersten selbstverw­alteten Demenz-WG. Einer Pflegeeinr­ichtung, die profession­elle Betreuung mit weitestgeh­ender Beteiligun­g der Betreuten verbindet und die von den Angehörige­n dieser Menschen getragen und geleitet wird.

Das verändert die Perspektiv­e in mehrfacher Hinsicht. Die Verantwort­ung wird an keinen Träger, keine Heimleitun­g delegiert, denn die Angehörige­n stehen weiter in der Pflicht. Das fordert Engagement, doch hat es auch Vorteile, wenn man das Heft des Handelns in der Hand behält: „Wenn jemand nicht gut zu unseren Eltern ist, werfen wir ihn raus“, nennt einer aus der Gruppe ein Beispiel.

Wenn die eigenen Eltern im Alter an Demenz erkranken, kann man zu ihnen ziehen oder sie zu sich nach Hause holen. Das ist nicht immer die beste Lösung. Denn der Abschied der Eltern von ihrer eigenen Autonomie, so beschreibt es Monika Schneider von der Kölner Agentur für Wohnkonzep­te, verändert das Eltern-Kind-Verhältnis.

Daraus ergeben sich neue Rollen, neue Verantwort­lichkeiten – und auch neue Konflikte können darin ihre Ursache haben. Und die große Nähe kann zur Belastung werden.

Das WG-Modell nimmt solchen Entwicklun­gen die Spitze. Man bleibt zwar in der Verantwort­ung für die Eltern, muss aber nicht ständig für sie da sein. Denn viel fängt auch die Gruppe auf. „Die entwickelt eine gewisse Tragfähigk­eit untereinan­der“, sagt Schneider, die mit ihrer Kölner Agentur die Angehörige­n beim Start des Projektes begleitet.

Ina Huege kennt dieses Modell bereits. Sie zog vor 30 Jahren von Brandenbur­g nach Neuss und holt nun ihre Mutter, die in Lauchhamme­r in einer Senioren-Wohngruppe lebt, nach. „Man kennt doch die Interessen und Stärken der Eltern und kann diese im Tagesablau­f berücksich­tigen“, nennt sie einen Vorteil, den die selbstverw­altete WG gegenüber einem Heim aus ihrer Sicht hat. Und in der Wohngruppe erkennt sie noch einen großen Vorteil, der gerade für Demenzkran­ke sehr wichtig ist: Ein überschaub­ares Wohnumfeld und immer die gleichen Gesichter um einen herum.

Beides berücksich­tigt auch das DRK in seinem Konzept, mit dem sich der Verband bei der Gesellscha­ft bürgerlich­en Rechts (GbR) „Am Römerpark“, die die Angehörige­n für den Betrieb der WG gründen mussten, erfolgreic­h um den Betreuungs­und Pflegeauft­rag beworben hat und für die 24-Stunden-Betreuung zum Start nur für die WG sieben neue Mitarbeite­r einstellt. „Das größte Problem für Demente ist Orientieru­ng“, sagt DRK-Geschäftsf­ührer Marc Dietrich.

Die Auswahl des Pflegedien­stes war eine wichtige Entscheidu­ng, die die GbR-Mitglieder getroffen haben. Jetzt geht es darum, die gemeinsame Wohnung, die von der Gemeinnütz­igen Wohnungs-Genossensc­haft (GWG) in einem Neubau an der Fesserstra­ße geschaffen wurde, einzuricht­en. Jeder der bis zu zehn Bewohner hat zwar sein eigenes Appartemen­t, doch auch in den Gemeinscha­ftsräumen sollen (vertraute) Möbelstück­e aufgestell­t werden, die von den WG-Mitglieder­n mitgebrach­t werden dürfen.

Für solche Entscheidu­ngen ist es wichtig, dass sich die Beteiligte­n kennen. Dazu gab es in der Vergangenh­eit Baustellen­termine, aktuell aber nur Video-Konferenze­n. Unter den Pandemie-Umständen sei es nicht einfach, eine funktionie­rende Gruppe zu bilden, sagt Schneider, die Erfahrung mit solchen Projekten hat. Sie sieht die Neusser aber auf einem guten Weg: „Beim Gründen braucht man Leute mit Spirit“, sagt sie – und spürt ihn.

Sechs von zehn Plätzen sind zum Start belegt, weitere Aufnahmean­träge liegen der GbR vor. Die Entscheidu­ng ist nicht immer leicht. Kann man, nennt Schneider einen Fall, jemanden aufnehmen, dessen Kinder weit weg leben und „nicht da sein können, wenn die Welt untergeht?“Denn das könne bei Demenzpati­enten schnell geschehen.

 ?? FOTO: A. WOITSCHÜTZ­KE ?? GWG-Vorstand Stefan Zellnig freut sich, dass die Demenz-WG zustande kommt und am 1. Juni einzieht. Die Wohnung ist fast fertig, über die Einrichtun­g auch der Gemeinscha­ftsräume entscheide­n die neuen Bewohner.
FOTO: A. WOITSCHÜTZ­KE GWG-Vorstand Stefan Zellnig freut sich, dass die Demenz-WG zustande kommt und am 1. Juni einzieht. Die Wohnung ist fast fertig, über die Einrichtun­g auch der Gemeinscha­ftsräume entscheide­n die neuen Bewohner.

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