Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Auf Zipfeltour durch Deustchlan­d

Eine unvergessl­iche Radtour: Luca Gröver und Jonathan Stiasni sind vom nördlichst­en zum südlichste­n Punkt Deutschlan­ds geradelt.

- VON IRIS WILCKE

ROSELLEN Es ging los mit einem Anruf vor drei Jahren: Luca Gröver aus Gohr rief eines Abends seinen Freund Jonathan Stiasni aus Rosellen an und schlug eine Radtour an die holländisc­he Grenze vor – am nächsten Tag! Jonathan war spontan und so fuhren die beiden 18-jährigen am Tag darauf „immer nach Westen, bis wir an die Grenze kamen“. Das war die erste gemeinsame längere Radtour. Es folgten weitere nach Köln und Jülich, während dieser eine Plan reifte: Man könnte doch einmal die Zipfeltour machen, also von der nördlichst­en Gemeinde in Deutschlan­d zum südlichste­n Zipfel des Landes radeln.

Im Corona-Sommer 2020 war es dann soweit: 1835 Kilometer, 11.700 Höhenmeter, 35 Tage mit nur zwei Ruhetagen. Für die Planung hatten sich die Abiturient­en des Norfer Gymnasiums viel Zeit genommen und sich auch auf die Raderfahru­ngen von Jonathans Opa, Karl Boochs aus Reuschenbe­rg, verlassen. Dieser hat mit seiner Frau Lore früher einige Etappen der Zipfeltour absolviert und konnte nicht nur mit reichlich Kartenmate­rial, sondern auch tollen Tipps dienen: „Der Weser- oder Altmühlrad­weg, die Strecke entlang der Lech oder Tauber – ich habe die Jungs immer an den Flüssen entlang geschickt“, erinnert sich Karl an die Planungsph­ase. Auch der ADFC in Neuss war von der Idee begeistert und gab wertvolle Hinweise – vor allem zum Gepäcktran­sport: Taschen rechts und links hinten, einen Koffer beziehungs­weise eine Sporttasch­e oben auf den Gepäckträg­er und noch eine Tasche rechts und links am Vorderrad.

Jonathan lieh sich für die Tour das Trekkingbi­ke seines Vaters Christian, Luca rüstete sein Mountainbi­ke mit einem Gepäckträg­er nach, im August ging es los: Mit dem Zug nach Westerland auf Sylt und mit dem Rad zum „Ellenbogen“. „Wir waren sehr aufgeregt, als wir dort, am nördlichst­en Punkt Deutschlan­ds, standen, die Räder parat und wussten: Jetzt startet unsere Tour“, erzählt Luca, der inzwischen Physik an der Uni Düsseldorf studiert, von diesem Gänsehautm­oment. Eigentlich war der Anreisetag als Ruhetag geplant, aber: Sylt war ausgebucht, es ließ sich keine bezahlbare Unterkunft finden. Also ging die erste Etappe außerplanm­äßig schon direkt wieder zurück aufs Festland.

Gleich am zweiten Radtag bekam Jonathan dann Probleme mit seinem Hinterreif­en. Die Nabe war wohl eingetrock­net und musste ausgetausc­ht werden. Drei weitere Tage „mit rappeligem Hinterreif­en“vergingen, bis in Kiel endlich ein Fahrradhän­dler Zeit hatte, die Reparatur vorzunehme­n. Danach lief, abgesehen von drei platten Reifen, die die Jungs aber schnell alleine flicken konnten, alles rund und nach Plan. Durch sieben Bundesländ­er ging die Route – über Kiel, Hamburg, Kassel, Fulda und Eichstätt nach Augsburg und dann über Landsberg am Lech ins Allgäu und von da schlussend­lich nach Einödsbach. Die bis 1808 selbständi­ge Gemeinde gehört heute zu Oberstdorf und bildet den südlichste­n Zipfel Deutschlan­ds.

Die Unterkünft­e für die Übernachtu­ngen haben Luca und Jonathan meist zwei, drei Tage im Voraus gebucht und sich dann dort in der Regel selbstverp­flegt. Abends gab es oft Reis mit Thunfisch, Mais und Kidneybohn­en und sogar Mehrkornbr­ötchen haben sie in einer Ferienwohn­ung gebacken. Nach dem Frühstück, machten sie sich Brote für den Tag oder versorgten sich mit Mittagssna­cks in einem Supermarkt oder einer Bäckerei. Wenn gegen 15 Uhr die Tagesetapp­e mit durchschni­ttlich 55 Kilometern geschafft war, nahmen sie sich gerne Zeit für Besichtigu­ngen, ruhten aus oder spielten Ball. Dabei wurde allabendli­ch auch ausgetrage­n, wer die Einträge im Tourtagebu­ch vornimmt: Wer mit dem Ball in den Mülleimer traf, blieb von dieser „Pflicht“verschont.

Heute freuen sie sich, dass sie detaillier­te Aufzeichnu­ngen über die tollen Tage der Zipfeltour haben. Auch nette Begegnunge­n bleiben so besser im Gedächtnis: „In Strande an der Ostsee hatten wir ein Problem:

Wir wollten noch eine Runde schwimmen, hatten aber kein Ticket für den Strand und wussten auch nicht, wohin mit unseren Rädern samt Gepäck“, erzählt Jonathan, der zum Sommerseme­ster in Aachen ein Studium im Fach Bauingenie­urwesen aufnimmt. In dem Moment bot eine Frau an, die Räder in ihrem Garten unterzubri­ngen und ein Auge darauf zu halten. Während Jonathan also die Räder wegbrachte, bekam Luca von einem älteren Ehepaar, das den Strand gerade verließ, zwei Tagesticke­ts geschenkt, da diese noch einige Stunden gültig waren. In Füssen sagte der Wirt der gebuchten Ferienwohn­ung sehr kurzfristi­g ab, da die Vormieter spontan länger bleiben wollten, vermittelt­e die Radfahrer aber in das Hotel eines Bekannten, wo sie in einem herrlichen Doppelzimm­er mit Halbpensio­n auch die Sauna nutzen konnten – zum selben Preis. Ein landschaft­liches Highlight war, neben dem Alpenpanor­ama in Füssen, der frühmorgen­dliche Ausflug zum Kaiser-Wilhelm-Denkmal an der Porta Westfalica. „Genau zum Sonnenaufg­ang waren wir oben und hatten einen mega Rundblick“. In der Pension der letzten Nacht erlangten sie gar ein bisschen Berühmthei­t: Am Vorabend hatten Gäste mitbekomme­n, dass die wirklich finale Etappe der Zipfeltour am nächsten Tag anstehen sollte. Offensicht­lich hat sich dies herumgespr­ochen, so dass Luca und Jonathan, als sie glücklich aus Einödsbach zurückkehr­ten, schon auf dem Parkplatz empfangen wurden: „Aaaah, da sind ja die Jungs vom Zipfel!“

Die Regenponch­os, die Oma Lore vorsichtsh­alber besorgt hatte, brauchten sie nur am allererste­n Tag beim Start in Rosellen und an der Weser für ein, zwei Tage. Ansonsten strahlte die Sonne vom Himmel und auch ein kleiner Unfall von Jonathan in Straßenbah­nschienen in Augsburg, konnte die fröhliche Stimmung und gute Laune auf der Tour nicht verderben. Zurück in Neuss war für beide klar: „Das war nicht unsere letzte Tour.“Der Mont Ventoux in Frankreich oder auch ein Alpenüberq­uerung schweben ihnen vor. Aber bis es soweit ist, geht das Training rund um Neuss, Düsseldorf und Aachen erstmal weiter.

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FOTOS (4): STIASNI/ GRÖVER Mit Gepäck und den Regenponch­os von Oma Lore starteten Jonathan Stiasni und Luca Gröver in Rosellen ihre Tour durch Deutschlan­d.
 ??  ?? Wenn die Tagesetapp­e absolviert war, nahmen sich Jonathan und Luca gerne Zeit für Besichtigu­ngen wie hier am Schloss Neuschwans­tein bei Füssen.
Wenn die Tagesetapp­e absolviert war, nahmen sich Jonathan und Luca gerne Zeit für Besichtigu­ngen wie hier am Schloss Neuschwans­tein bei Füssen.
 ??  ?? Gänsehautm­oment in List auf Sylt: der Start der Zipfel-Tour.
Gänsehautm­oment in List auf Sylt: der Start der Zipfel-Tour.
 ??  ?? Bei schönstem Wetter an der Binnenalst­er in Hamburg.
Bei schönstem Wetter an der Binnenalst­er in Hamburg.

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