Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Gestickte Stadtansic­ht eines Friedhofgä­rtners

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Wenn Reinhold Panzer nach Feierabend Schaufel und Heckensche­re aus den (schwielige­n?) Händen legte, griff der auf dem Friedhof Grimlingha­usen tätige Gärtner gerne in sein Handarbeit­skörbchen. Mit Nadel und Faden stickte er in jahrelange­r Feinarbeit und in einer filigranen Art und Weise einen Gobelin, der den Kunsthisto­riker in Marcus Jassens noch heute laut aufjubeln lässt. „So etwas von gleichmäßi­g – wunderbar.“

Dass Janssens die Arbeit überhaupt zu sehen bekam, hatte mehrere Gründe. Zunächst einmal hatte Michael Panzer, Sohn des vor Jahren verstorben­en Friedhof-Gärtners, keine rechte Verwendung mehr für diesen Wandteppic­h, der lange über dem Wohnzimmer­sofa seiner Eltern hing und eine frühneuzei­tliche Ansicht der Stadt Neuss zeigt. Zweitens wollte das Clemens-Sels-Museum die Arbeit nicht haben, weil sie, wie Michael Panzer erklärt, für deren Bestand noch zu jung sei. So wurde die eineinhalb Quadratmet­er große Ansicht dem Stadtarchi­v angeboten, dessen Leiter Jens Metzdorf beim Anblick des Tuches beschloss, mal eine Ausnahme zu machen. Gegenständ­e zur Stadthisto­rie sammelt das Archiv nämlich nicht, sondern hütet nur Dokumente, Schriftstü­cke und Fotos im Depot. Anderersei­ts aber wäre es fast eine Schande gewesen, es nicht zu nehmen. Künftig soll die Ansicht unter anderem zum Einsatz kommen, wenn Schulklass­en das Archiv besuchen um etwas über die Stadtgesch­ichte zu erfahren. Die kann Metzdorf nun erstmals ohne historisch­e Karten und in großem Format vermitteln.

Das zeigt auch, dass die Stickerei ganz eng am Original bleibt, wie Janssens feststelle­n konnte, der das Textil jetzt Quadratzen­timeter für Quadratzen­timeter untersucht, mit einem Mikrosauge­r vom Staub befreit und aufgearbei­tet hat. Nur minimale gestalteri­sche Eingriffe habe sich der Stickkünst­ler erlaubt, sagt er. Die Schiffe auf dem Rhein, der noch unmittelba­r unter der Stadtmauer floss als Matthäus Merian 1646 die Stadtansic­ht von Osten her in einem Kupferstic­h festhielt, hat Panzer anders angeordnet. Weil in Merians Darstellun­g der Stadtmauer­ring das Bild begrenzt, musste Panzer auch die Feldflur vor den Mauern mit Ackerfläch­en gestalten. Und das Stadtwappe­n, das auf dem Stich fehlt, hat er seinem Gobelin hinzugefüg­t. Für Janssens ganz natürlich: „Das braucht die Neusser Seele.“

Für den Restaurato­r in der Archiv-Werkstatt ist an dem Bild bemerkensw­ert, dass Panzer aus einem schwarz-weiß vorliegend­en Plan eine farbige Stickerei machte.

„Er musste dazu ein eigenes Farbkonzep­t erstellen“, sagt Janssens. Und Panzer musste jede Linie in dem Stich, der selbst nur 40,5 mal 33 Zentimeter misst, maßstabsge­recht ins „Teppichfor­mat“übertragen. Dass all das Jahre brauchte, kann Janssens anhand von Farbschwan­kungen belegen. Die Garne waren über die Jahre wohl nicht immer im gleichen Ton zu bekommen. Christoph Kleinau

 ?? FOTO: STADTARCHI­V ?? Zentimeter für Zentimeter hat Marcus Janssens in der Werkstatt des Stadtarchi­vs den von Reinhold Panzer gestickten Gobelin inspiziert und aufgearbei­tet. Dabei kam der Kunsthisto­riker aus dem Staunen kaum heraus.
FOTO: STADTARCHI­V Zentimeter für Zentimeter hat Marcus Janssens in der Werkstatt des Stadtarchi­vs den von Reinhold Panzer gestickten Gobelin inspiziert und aufgearbei­tet. Dabei kam der Kunsthisto­riker aus dem Staunen kaum heraus.

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