Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Papierstau beim Impfen
Bei jeder Impfung fallen mehr als zehn Seiten an, die gelesen und unterschrieben werden müssen. In anderen Ländern reicht dafür ein kleines Pappkärtchen. Hausärzte fordern, die Hürden zu senken.
DÜSSELDORF Nach den ersten Corona-Impfungen bei den Hausärzten zieht der Hausärzteverband Nordrhein eine durchwachsene Bilanz. Die Praxen seien zwar organisatorisch vorbereitet gewesen. „Aber wie so oft in der Pandemie, mussten sie teilweise am Dienstag völlig neu planen“, kritisiert der Verbandsvorsitzende Oliver Funken: „Immer wieder machen uns Politik und Behörden oft völlig praxisfern in letzter Minute neue Vorgaben oder ändern diese.“Im Fokus der hausärztlichen Arbeit stehe das Impfen, doch die Bürokratie nehme immer mehr Überhand.
Ein Hausarzt aus dem Rheinland hat einmal fotografisch dokumentiert, wie viele Formulare beim Impfen anfallen. Der Mediziner hatte an einem der vergangenen Tage mit Kollegen ein Impfzentrum für Lehrerinnen und Erzieherinnen improvisiert; an einem Tag wurden dort 370 Menschen geimpft. Am Ende sah er sich einem Papierstapel von rund 1500 DIN-A4-Seiten gegenüber – die Impfdokumente eines einzigen Tages.
Sowohl in den Praxen als auch in den Impfzentren fallen pro Patient bislang sechs Seiten an, die mehrfach unterschrieben werden müssen, und zwar in doppelter Ausfertigung für Arzt und Patient. Die Kopien kommen in die Patientenakte. Am Abend müssen zudem alle in den Praxen geimpften Personen
an das Robert-Koch-Institut (RKI) gemeldet werden, mit Angaben zum Impfstoff, ob Erstimpfung oder Zweitimpfung sowie die Zahl der über 60-Jährigen. Dazu gibt es mehr als 20 neue Abrechnungsziffern. Auch das Ausfüllen der Rezepte, um den Impfstoff für die Praxis zu bestellen, ist aufwändig.
In anderen Ländern ist der bürokratische Aufwand deutlich geringer und das Impftempo entsprechend höher. So wird die Impfung etwa in Großbritannien auf einer scheckkartengroßen Pappkarte dokumentiert. Vorab wird der Impfling über den National Health Service,
den Nationalen Gesundheitsdienst, online informiert. Bei dem Impftermin beim Hausarzt hakt eine Arzthelferin schließlich fünf Fragen digital ab, fertig. Der Mediziner aus dem Rheinland hat Verwandte in England, die den Nachweis der Impfung fotografiert haben – die etwas zugespitzte Gegenüberstellung der beiden Bilder spricht für sich.
Für die Zukunft wünscht sich daher auch der Bundesvorsitzende des Deutschen Hausärzteverbandes, Ulrich Weigeldt, dass die bürokratischen Hürden deutlich gesenkt werden. „Wir müssen diese Bürokratie, die das begleitet,
Oliver Funken Hausärzteverband Nordrhein runterschrauben. Diese Impfung gegen Covid-19 ist eine Impfung wie jede andere auch: Es wird geimpft, es wird dokumentiert, aber es werden nicht neun oder zehn Seiten Papier ausgefüllt“, forderte Weigeldt im Interview mit dem Fernsehsender Phoenix. Die Erfahrungen aus den Pilotprojekten hätten gezeigt, dass die Hausärzte in Deutschland je nach Größe und Organisation „60, 70, 80 oder 100 Patienten in der Woche impfen“können.
Seit Dienstag dürfen auch Hausärzte in ihren Praxen Corona-Schutzimpfungen verabreichen. In Nordrhein-Westfalen werde die große Mehrheit der rund 11.000 Hausärzte mit an Bord sein, hieß es beim Hausärzteverband Nordrhein. Zunächst soll das Präparat des Herstellers Biontech/Pfizer gespritzt werden, allerdings sind davon nur sehr überschaubare Mengen lieferbar.
Der Verbandsvorsitzende der Hausärzte, Oliver Funken, hofft, dass den Hausarztpraxen schnell größere Impfmengen zur Verfügung gestellt werden. „Wir könnten jetzt schon sehr exakte Impftermine für die nächsten drei Wochen festsetzen, wenn klar und sicher wäre, welche Impfmenge jede Praxis erhält“, sagt er. „Bund und Land müssen jetzt zu ihrer Verantwortung und Zusage stehen. Denn Apotheken, Hausärzte und die Patienten erwarten, dass es jetzt endlich mit der Umsetzung der Impfstrategie klappt.“
„Immer wieder machen uns Politik und Behörden oft völlig praxisfern in letzter Minute neue Vorgaben“