Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Papierstau beim Impfen

- VON JÖRG ISRINGHAUS

Bei jeder Impfung fallen mehr als zehn Seiten an, die gelesen und unterschri­eben werden müssen. In anderen Ländern reicht dafür ein kleines Pappkärtch­en. Hausärzte fordern, die Hürden zu senken.

DÜSSELDORF Nach den ersten Corona-Impfungen bei den Hausärzten zieht der Hausärztev­erband Nordrhein eine durchwachs­ene Bilanz. Die Praxen seien zwar organisato­risch vorbereite­t gewesen. „Aber wie so oft in der Pandemie, mussten sie teilweise am Dienstag völlig neu planen“, kritisiert der Verbandsvo­rsitzende Oliver Funken: „Immer wieder machen uns Politik und Behörden oft völlig praxisfern in letzter Minute neue Vorgaben oder ändern diese.“Im Fokus der hausärztli­chen Arbeit stehe das Impfen, doch die Bürokratie nehme immer mehr Überhand.

Ein Hausarzt aus dem Rheinland hat einmal fotografis­ch dokumentie­rt, wie viele Formulare beim Impfen anfallen. Der Mediziner hatte an einem der vergangene­n Tage mit Kollegen ein Impfzentru­m für Lehrerinne­n und Erzieherin­nen improvisie­rt; an einem Tag wurden dort 370 Menschen geimpft. Am Ende sah er sich einem Papierstap­el von rund 1500 DIN-A4-Seiten gegenüber – die Impfdokume­nte eines einzigen Tages.

Sowohl in den Praxen als auch in den Impfzentre­n fallen pro Patient bislang sechs Seiten an, die mehrfach unterschri­eben werden müssen, und zwar in doppelter Ausfertigu­ng für Arzt und Patient. Die Kopien kommen in die Patientena­kte. Am Abend müssen zudem alle in den Praxen geimpften Personen

an das Robert-Koch-Institut (RKI) gemeldet werden, mit Angaben zum Impfstoff, ob Erstimpfun­g oder Zweitimpfu­ng sowie die Zahl der über 60-Jährigen. Dazu gibt es mehr als 20 neue Abrechnung­sziffern. Auch das Ausfüllen der Rezepte, um den Impfstoff für die Praxis zu bestellen, ist aufwändig.

In anderen Ländern ist der bürokratis­che Aufwand deutlich geringer und das Impftempo entspreche­nd höher. So wird die Impfung etwa in Großbritan­nien auf einer scheckkart­engroßen Pappkarte dokumentie­rt. Vorab wird der Impfling über den National Health Service,

den Nationalen Gesundheit­sdienst, online informiert. Bei dem Impftermin beim Hausarzt hakt eine Arzthelfer­in schließlic­h fünf Fragen digital ab, fertig. Der Mediziner aus dem Rheinland hat Verwandte in England, die den Nachweis der Impfung fotografie­rt haben – die etwas zugespitzt­e Gegenübers­tellung der beiden Bilder spricht für sich.

Für die Zukunft wünscht sich daher auch der Bundesvors­itzende des Deutschen Hausärztev­erbandes, Ulrich Weigeldt, dass die bürokratis­chen Hürden deutlich gesenkt werden. „Wir müssen diese Bürokratie, die das begleitet,

Oliver Funken Hausärztev­erband Nordrhein runterschr­auben. Diese Impfung gegen Covid-19 ist eine Impfung wie jede andere auch: Es wird geimpft, es wird dokumentie­rt, aber es werden nicht neun oder zehn Seiten Papier ausgefüllt“, forderte Weigeldt im Interview mit dem Fernsehsen­der Phoenix. Die Erfahrunge­n aus den Pilotproje­kten hätten gezeigt, dass die Hausärzte in Deutschlan­d je nach Größe und Organisati­on „60, 70, 80 oder 100 Patienten in der Woche impfen“können.

Seit Dienstag dürfen auch Hausärzte in ihren Praxen Corona-Schutzimpf­ungen verabreich­en. In Nordrhein-Westfalen werde die große Mehrheit der rund 11.000 Hausärzte mit an Bord sein, hieß es beim Hausärztev­erband Nordrhein. Zunächst soll das Präparat des Hersteller­s Biontech/Pfizer gespritzt werden, allerdings sind davon nur sehr überschaub­are Mengen lieferbar.

Der Verbandsvo­rsitzende der Hausärzte, Oliver Funken, hofft, dass den Hausarztpr­axen schnell größere Impfmengen zur Verfügung gestellt werden. „Wir könnten jetzt schon sehr exakte Impftermin­e für die nächsten drei Wochen festsetzen, wenn klar und sicher wäre, welche Impfmenge jede Praxis erhält“, sagt er. „Bund und Land müssen jetzt zu ihrer Verantwort­ung und Zusage stehen. Denn Apotheken, Hausärzte und die Patienten erwarten, dass es jetzt endlich mit der Umsetzung der Impfstrate­gie klappt.“

„Immer wieder machen uns Politik und Behörden oft völlig praxisfern in letzter Minute neue Vorgaben“

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FOTOS: PRIVAT Im Vergleich: Die Scheckkart­e nach einer Impfung in England.
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Aufklärung­sbögen nach der Impfung von 370 Patienten im Rheinland.

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