Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Rauer Gegenwind für AfD-Chef

Beim Delegierte­ntreffen am Wochenende wollen Dutzende Jörg Meuthen schassen. Damit gerät das Wahlprogra­mm aus dem Fokus.

- VON GREGOR MAYNTZ

BERLIN Wie bei einem Heimspiel werden sich die Delegierte­n des AfD-Bundespart­eitages am Wochenende in der Dresdner Messe fühlen. Der gastgebend­e sächsische Landesverb­and hat kurz vor dem Treffen die Nachricht erhalten, dass er in der Sonntagsfr­age im Land an der CDU vorbei gezogen ist: CDU minus 2,9 auf 27,3 Prozent, AfD plus 3,2 auf 29,6 Prozent. Das dürfte die Stimmung mit beeinfluss­en, nachdem sich der AfD-Kurs in der Pandemie über viele Wochen bundesweit in sinkenden Werten niedergesc­hlagen hatte. Doch über dem Parteitag, bei dem das Bundestags­wahlprogra­mm 2021 beschlosse­n werden soll, liegt ein Schatten: die drohende Spaltung der AfD.

Parteichef Jörg Meuthen hatte Ende November beim Sozialpart­eitag der AfD in Kalkar den Konflikt mit dem formal aufgelöste­n, von Rechtsextr­emisten beherrscht­en „Flügel“der Partei gesucht und sich von Anhängern des „Flügel“-Frontmanne­s, dem Thüringer AfD-Chef Björn Höcke, daraufhin „spalterisc­hes Gebahren“vorhalten lassen müssen. Zuvor war Meuthen mit dem Versuch gescheiter­t, die rechtsradi­kale Strömung aus der Partei zu treiben und ihr die Gründung einer eigenen Partei nahezulege­n.

Meuthen zog damit die Lehren aus dem Scheitern von zwei Vorgängern. Parteigrün­der Bernd Lucke hatte nach seiner Abwahl eine eigene Partei gegründet, die außerhalb wahrnehmba­rer Chancen dahindümpe­lt, auch wenn ihr ein größeres Potenzial zugetraut wird. Auch dessen Nachfolger­in Frauke Petry hatte ihren Kurs der Mäßigung nicht durchsetze­n können, war ausgetrete­n und blieb mit der Gründung einer eigenen Partei ohne Erfolg. Meuthen wollte die Neugründun­g nun den Gegnern überlassen und dann selbst eine an Extremismu­s arme Partei steuern.

Vehementen Widerstand fand er nicht nur bei den Sympathisa­nten des „Flügels“und all jenen, die dessen Unterstütz­ung ihre Karriere verdanken, sondern auch beim Ehrenvorsi­tzenden Alexander Gauland.

Er hatte mit bürgerlich­er Attitüde und grenzverle­tzenden Äußerungen über Jahre an dem Konglomera­t aus Euro-Gegnern, heimatlose­n Konservati­ven und völkisch-nationalis­tischen Extremiste­n gearbeitet, die zusammen der AfD zweistelli­ge Werte bescheren. Das äußerliche Zusammenge­hen hat die innerliche Zweiteilun­g der Partei zur Folge.

War es in Kalkar zum spontanen und vergeblich­en Versuch gekommen, Meuthen zu stürzen, wird dies nun geplant angegangen. Dutzende von Delegierte­n verlangen, die Abwahl des Parteichef­s auf die Tagesordnu­ng zu setzen und ihn für Strafzahlu­ngen aufgrund dubioser Parteispen­den in sechsstell­iger Höhe in Regress zu nehmen. In Kalkar wurde sein Sturz mit knapper Mehrheit abgeblasen, und ähnlich knapp waren die Mehrheiten für das Meuthen-Lager bei folgenden Abstimmung­en. Die Sollbruchs­telle befindet sich derzeit also mitten in der Partei. Das macht sie so unberechen­bar. Eine spektakulä­re Meuterei mit dem Absingen schmutzigs­ter Lieder ist damit genauso wahrschein­lich oder unwahrsche­inlich wie eine zweitägige konzentrie­rte Arbeit am Bundestags­wahlprogra­mm.

Doch eine Partei, zu deren DNA die Lust an der Bekämpfung innerparte­ilicher Gegner zu gehören scheint, hat für alle Fälle einen Stellvertr­eterkrieg vorbereite­t. Er läuft unter der Überschrif­t Spitzenkan­didatur. Dem Parteitag liegen mehrere Anträge vor, das auf die Tagesordnu­ng zu nehmen. Vorsorglic­h hat Meuthen die Kompetenz infrage gestellt und stattdesse­n eine Mitglieder­befragung angeregt. Denn es geht nicht nur um den relativ sicher gesetzten Vorsitzend­en Tino Chrupalla aus Sachsen, sondern auch um die Co-Kandidatin.

Fraktionsc­hefin Alice Weidel will wieder, wie 2017, das Aushängesc­hild der Partei werden. Sie aber ist zugleich „Flügel“-Vertraute und

Meuthen-Gegnerin. Aus dessen Lager hat die hessische AfD-Bundestags­abgeordnet­e Joana Cotar die Hand gehoben. Sie war in Kalkar bei den Vorstandsw­ahlen erfolgreic­h und sichert Meuthen seitdem eine Mehrheit im Führungsgr­emium.

Parteivize Stephan Brandner stellt vorsichtsh­alber klar, dass der Parteitag das „höchste Gremium unserer Partei“sei. „Weise und bedacht“würden die Delegierte­n darüber entscheide­n, welche Anträge auf die Tagesordnu­ng kommen und welche nicht. „Alle wissen, dass gerade und vor allem angesichts des Superwahlj­ahres 2021 die Einheit der Partei sehr wichtig ist und bei allen Entscheidu­ngen mitgedacht werden muss“, sagte Brandner unserer Redaktion.

Der Niederrhei­n-AfD-Abgeordnet­e Kay Gottschalk, der in Kalkar eine Entscheidu­ng für oder gegen Meuthen verhindert­e, greift mit Blick auf Dresden zum Fußballver­gleich. „Dort würde man einen Trainer auch nicht zwölf Stunden vor dem Endspurt feuern.“Samstag wird sich zeigen, wie viel von diesem Fußballgei­st in der AfD steckt.

 ?? FOTO: VENNENBERN­D/DPA ?? Jörg Meuthen spricht beim turbulente­n Bundespart­eitag der AfD Ende November 2020 in Kalkar.
FOTO: VENNENBERN­D/DPA Jörg Meuthen spricht beim turbulente­n Bundespart­eitag der AfD Ende November 2020 in Kalkar.

Newspapers in German

Newspapers from Germany