Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Dieser Sonntag verändert Lateinamerika
In Ecuador, Peru und Bolivien stehen an diesem Wochenende wichtige Wahlen an.
DÜSSELDORF Ganz gleich ob der künftige Präsident Ecuadors nun Guillermo Lasso (62) oder Andres Arauz (35) heißt: Dem Sieger der völlig offenen Stichwahlen um die Nachfolge von Präsident Lenin Moreno, dem die Verfassung eine erneute Kandidatur verbietet, wird heftiger Gegenwind ins Gesicht wehen. Verantwortlich dafür ist Yaku Perez (52), Anführer einer grünen indigenen Bewegung, die sich bei der Auszählung des ersten Durchganges um ihre Stimmen betrogen fühlt und eine harte Opposition ankündigt. Perez hatte mit rund 20 Prozent um Haaresbreite die Qualifikation für die Stichwahlen verpasst und wittert ein Komplott der etablierten Kräfte, die nach seiner Lesart mit den Erdöl- und Bergbaukonzernen kooperieren.
Hinter Perez stehen Ecuadors Ureinwohner, die nicht bereit sind, ihre Territorien oder Kultur einer sozialistischen oder kapitalistischen Politik unterzuordnen. „Beide im Rennen verbliebenen Kandidaten haben angekündigt, ihr Wirtschaftsmodell der Ölförderung, Rohstoffgewinnung und Zerstörung der Natur zu unterwerfen“, sagt die Umweltschützerin Patricia Gualinga.
Völlig offen ist das Rennen auch in Peru, wo gleich eine Handvoll Kandidaten und Kandidatinnen eine Chance auf das Erreichen einer Stichwahl haben. Das Wahlvolk, das sechs nachweislich korrupte Präsidenten in Folge zu verkraften hatte, hat das Vertrauen in die Politik verloren. Hinzu kommt, dass Peru wie Ecuador hart von den wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie getroffen ist. Davon profitieren könnte die aufstrebende Linkspolitikerin Veronika Mendoza (40), die laut Umfragen mit rund zehn Prozent hinter dem Mitte-Rechts-Kandidaten Yonhy Lescano (elf Prozent) auf Rang zwei liegt.
Bemerkenswert ist an Mendoza, dass sie – anders als andere ältere linke Führungspersönlichkeiten in
Lateinamerika – den Mut hat, sich klar vom sozialistischen Regime in Venezuela zu distanzieren und die Maduro-Regierung in Caracas eine Diktatur nennt. Sollte sie es in den Präsidentenpalast schaffen, wäre das eine Zäsur für Peru. In jedem Fall wird Mendoza eine prägende Figur der nächsten Jahre, gegen die nur schwer politische Mehrheiten zu organisieren sein werden.
Jung, weiblich und links ist auch Eva Copa (34), strahlende Siegerin der Regionalwahlen in Bolivien. Sie wagte es als eine der wenigen aus dem eigenen Lager, sich von der älteren Männerclique aus dem sozialistischen Bündnis MAS um Ex-Präsident Evo Morales abzuseilen und wurde in der Millionenstadt El Alto mit einem Erdrutschsieg zur neuen linken Bürgermeisterin gewählt. Copa gilt als unverbraucht, selbstbewusst und authentisch. Sie unterstützt die Partei „Jallala“, die jene linken Wähler anspricht, denen der MAS zu radikal und zu tief verstrickt in Vorwürfe um die umstrittenen Wahlmanipulationen 2019 scheint. Die linke Regierungspartei MAS bangt bei den Stichwahlen am Sonntag auf Regionalebene um wichtige Mehrheiten und fürchtet die jüngere, frischere linke Alternative.
Der Urnengang ist von der Opposition zudem zu einer Art Referendum über die Verhaftung der ehemaligen Interimspräsidentin Jeanine Anez ausgerufen worden. Ihr werfen die Sozialisten Terrorismus und Staatsstreich vor, das löste heftige Proteste aus. Nur Monate nach seinem strahlenden Wahlsieg könnte Präsident Luis Arce (MAS) kräftige Schrammen davontragen. Schon jetzt beginnt sich die Linke, neu zu organisieren und von ihrem ewigen Übervater Evo Morales zu emanzipieren. Der Ausgang der Regionalwahlen wird entscheiden, welche Ansprechpartner bei Verhandlungen über das reichhaltige und zur Produktion von Elektronik wichtige Lithium-Vorkommen in Bolivien zuständig sind.