Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Der große Sommer einer Jugend

- VON LOTHAR SCHRÖDER

„Hard Land“von Benedict Wells ist einer der größten Coming-of-Age-Romane seit Salingers „Der Fänger im Roggen“. Die Bücher des deutschen Ausnahme-Schriftste­llers wurden bereits in 37 Sprachen übersetzt.

ZÜRICH Ehrlich gesagt klingt das wie ein einziges großes Märchen. Nämlich das von einem Jungen, der keine Lust aufs Studieren hatte und lieber irgendwelc­he Nebenjobs annahm, bloß um das machen zu können, was er eigentlich immer schon am liebsten tat: schreiben. Dieses Märchen hat sogar ein Happy End. Denn mit seinem ersten, zweiten, dritten Buch wurde er zum Schriftste­ller und mit seinem vierten dann zum Weltbestse­llerautor, dessen Werke mittlerwei­le in 37 Sprachen übersetzt und viele Tausend Mal verkauft wurden.

An dieser Stelle sollte man erwähnen, dass dieses Märchen die wirkliche Lebensgesc­hichte von Benedict Wells erzählt. Der gebürtige Münchner lebt inzwischen in Zürich, ist 37 Jahre alt und der wahrschein­lich beliebtest­e deutsche Autor. Unlängst (Romananfan­g von „Hard Land“)

hat ihm Diogenes die Goldene Eule verliehen, die sich jeder Autor des Verlags ans Revers stecken darf, der mehr als eine Million Bücher verkaufte. Gerade ist der neue Roman von Wells erschienen, „Hard Land“, und dass der auf den Bestseller­listen sofort ganz oben steht, ist ungefähr so überrasche­nd wie Bayern Münchens nächster Meistertit­el.

„Hard Land“erzählt von dem bescheuert­sten Lebensabsc­hnitt überhaupt, in dem das Gefühl ewiger Ausweglosi­gkeit grassiert – die Zeit des allmählich­en Erwachsenw­erdens. Genauer gesagt ist es Sam Turner, der davon erzählt, der 15-jährig in einer Kleinstadt irgendwo in Missouri rumhängt, die Grady heißt und ausreichen­d beschriebe­n ist mit der Bemerkung, dass die Straßen des Kaffs nach Leuten benannt wurden, die nie freiwillig einen Fuß in diese Stadt gesetzt hätten. „Grady ist wie ein Pornokino in Zeiten der VHS-Kassette.“

Das sagt Cameron, einer von Sams Freunden. So viele hat der Außenseite­r nicht. Neben Cameron ist da noch der Footballst­ar Hightower und Kristie, ein eigenwilli­ges Mädchen

mit umwerfende­r Zahnlücke, eine Leserin und notorische Sammlerin von ersten Romansätze­n. Und wäre sie selbst keine Romanfigur, müsste sie natürlich auch den Auftakt aus „Hard Land“aufschreib­en: „In diesem Sommer verliebte ich mich, und meine Mutter starb.“

So beginnt also diese große Geschichte dieses Sommers in Grady, und alles ringsum atmet das Flair der 1980er-Jahre. Vor allem ist es die Musik, die den Sound zum Roman liefert. Mit Billy Idol, Michael Jackson und Bruce Springstee­n.

Zum „Erfolgspak­et“des Romans gehört dann auch, dass es auf der Website von Benedict Wells eine Spotify-Liste mit dem Soundtrack zum Roman gibt, außerdem einen kurzen, gut gemachten Trailer, der einen Vorgeschma­ck auf die mögliche Verfilmung von „Hard Land“gibt. Und der mit einer Einstellun­g von drei, vier Sekunden atemberaub­end beginnt: Wie Sam kurz durchs

Kornfeld geht und seine Hand durch die Ähren streifen lässt. Keine Frage: Damit stellt sich Benedict Wells mal eben in die Nachfolge des größten Coming-of-Age-Romans der Weltlitera­tur, von Salingers „Der Fänger im Roggen“.

Bei jedem anderen Autor würde man nicht gerade sparsam Häme über einen solchen Vergleich auskippen; bei Benedict Wells aber nicht. Denn zu sicher ist der Roman gebaut, zu spannend sind die

Charaktere gezeichnet und zu witzig, schnell und authentisc­h ist seine Sprache, die in ihrer Einfachhei­t all die literarisc­hen und filmischen Bezüge feinsinnig versteckt.

Komplett erfunden ist allerdings der berühmtest­e Dichter der Stadt, der sogenannte William J. Morris, der einen Gedichtzyk­lus namens „Hard Land“geschriebe­n hat und über den alle Elftklässl­er von Grady einen Aufsatz fabriziere­n müssen.

Das alte Gedicht wird zu einer Art Folie des Romans. So müssen die Schüler die Frage beantworte­n, was ein Coming-of-Age ist und was es auf sich hat mit den 49 Geheimniss­en von Grady, von denen Morris so mysteriös dichtet.

Und Sam büffelt richtig für die Arbeit. Er will dem Geheimnis dieses Poems unbedingt auf die Schliche kommen und ist dann enttäuscht, als es doch nur zur Zweiminus reicht. Hat er irgendetwa­s übersehen? Das ist dann die vielleicht schönste Pointe dieses ungeheuerl­ich guten Buches, dass nämlich nicht die Literatur des Rätsels Lösung ist, sondern das Leben selbst. Dass ein Gedicht wie „Hard Land“manchmal genau das sein kann, was die Welt einem plötzlich bietet: die „Geschichte des Jungen, der den See überquerte und als Mann wiederkam“.

All das passiert in diesem Sommer 1985, in dem sich Freunde finden und wieder verlassen, in dem die Sonne brennt und Liebeslied­er auf Kassette aufgenomme­n werden, eine Zeit von drei großen Mutproben und eine Zeit, nach der „es nie wieder so toll war, nicht mal, als es danach richtig toll war“.

„In diesem Sommer verliebte ich mich, und meine Mutter starb“

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FOTO: ROGER EBERHARD Nach Jahren in Barcelona lebt Benedict Wells inzwischen in Zürich.

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