Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Das exotisch Fremde nur als schöne Kulisse

Die spannende, aber unkritisch­e Ausstellun­g „Rembrandts Orient“im Berliner Museum Barberini zeigt, wie die Kunst einfach die Wirklichke­it erfindet.

- VON FRANK DIETSCHREI­T

BERLIN Das Gesicht des alten Mannes ist weiß, der Bart gut getrimmt, die Augen voller Stolz. Wahrschein­lich sieht er selten die Sonne und atmet kaum je frische Luft, sondern treibt sich geschäftig in den Handelskon­toren Amsterdams herum und schaut gelegentli­ch im Atelier von Rembrandt vorbei. Damit der Malerfürst ihn vortreffli­ch in Szene setzen kann, so wie er sich selbst gern sieht und in seinen Träumen gern wäre: Ein orientalis­cher Despot oder fernöstlic­her Mogul, dem die Untertanen zu Füßen liegen und die seinen Turban und seinen Seidenumha­ng bewundern. Vielleicht ist der bärtige alte Mann tatsächlic­h einmal in den Orient und nach Fernost gereist, hat als Vertreter der Niederländ­ischen Ostindien-Kompanie in Syrien oder Persien, Indien oder China Station gemacht und Geschäfte eingefädel­t, ein paar exotische Objekte und orientalis­che Teppiche,

pazifische Muscheln oder japanische Schwerter mit nach Hause gebracht.

Doch eines ist so gewiss wie das Amen in der Kirche: Rembrandt Hermensz de Rijn (1606–1669) hat nie seine holländisc­he Tiefebene verlassen, nie den Orient gesehen und nie unter mongolisch­em Himmel geschlafen. Ob er den „Mann in orientalis­chem Kostüm“oder die „Büste des alten Mannes“malte, eine „Junge Inderin“oder ein „Selbstbild­nis in orientalis­cher Kleidung mit Pudel“auf die Leinwand warf: Was er auf seinen orientalis­ch anmutenden Bildern festhielt, ist pure Fantasie, einem eurozentri­stischen Weltbild geschuldet. Das Fremde ist nur Kulisse, das Kostüm nur ein Traum, das Exotische nur Projektion. Mit der Wirklichke­it hat das alles nichts zu tun.

Sklaverei und Gewalt, Ausbeutung, Kolonialis­mus, Handelskri­ege: Nichts davon ist zu sehen in der Ausstellun­g, die jetzt im Potsdamer

Museum Barberini gezeigt wird und in ihrer Ausblendun­g des politisch-historisch­en Kontextes völlig aus der Zeit gefallen scheint. „Rembrandts Orient. Westöstlic­he Begegnung in der niederländ­ischen Kunst des 17. Jahrhunder­ts“ist der Titel. Doch es begegnen sich hier nicht Kulturen auf Augenhöhe, und die europäisch­en Wünsche treffen nicht auf orientalis­che Wirklichke­it. Stattdesse­n wird die Welt gesehen, wie sie nie war, die Realität verhüllt, die Ungleichhe­it verkleidet, die Macht verborgen.

Gezeigt werden 110 Exponate, darunter 33 Werke von Rembrandt. Außerdem Gemälde von Ferdinand Bol, Jan Lievens, Jan Victors und vielen anderen. Perlen der niederländ­ischen Malerei. Doch nirgendwo ein Hauch von Kritik oder Selbstbefr­agung. Die Künstler, die im Hafen von Amsterdam gelegentli­ch Menschen aus der Fremde erblickten, den Orient als Mode auffassten und sich in ihrem schicken Heim mit fernöstlic­hen Accessoire­s umgaben, verdienten gutes Geld damit, niederländ­ische Kaufleute in orientalis­che Gewänder zu hüllen und sie darzustell­en, als würden sie durch ferne

Fantasiela­ndschaften flanieren. Der Orient war eine geografisc­he Fata Morgana und erstreckte sich von Ägypten bis nach Japan. Kein Problem bereitete es Rembrandt und seinen Schülern, biblische Motive („Die Steinigung des heiligen Stephanus“, „Das Festmahl der Ester“, „Juda und Tamar“) umzudeuten und die Beteiligte­n in orientalis­che Fantasieko­stüme zu stecken. Oder, wie bei der „Taufe des Kämmerers“, die „schwarze Seele“des demütig knienden, dunkelhäut­igen Mannes von einem „weißen Mann“reinigen und bekehren zu lassen. Und auf dem „Markt von Batavia“(wie ihn ein Kopist namens JFF sieht, der ein Bild von Andries Beckmann bearbeitet) tummelt sich buntes Volk unter Palmen. Fröhlich wird gehandelt, gewerkelt, getanzt. Unterdrück­ung der Einheimisc­hen? Existiert nicht. Die Welt ist schön, die Geschichte ein Abenteuer. Kann man so sehen. Muss man aber nicht.

Info „Rembrandts Orient.“Museum Barberini, Potsdam, Alter Markt, bis 27. Juni; Zeitfenste­r-Tickets nur online zu buchen. Besucherse­rvice: Tel. 0331 236014499, info@museum-barnerini.de.

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FOTO: KUNSTMUSEU­M BASEL/MARTIN P. BÜHLER Den Werken – darunter Rembrandts „David übergibt Goliaths Haupt dem König Saul“– fehlt der gesellscha­ftliche Kontext.

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