Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Wo die Ethik-Experten der Städtischen Kliniken Mitarbeiter und Patienten jetzt unterstützen
Ein Komitee aus Ärzten, Pflegern, Seelsorgern und Juristen berät Mitarbeiter, Patienten und Angehörige in medizinethischen Fragen. Sie legen nicht nur die gemeinsamen ethischen Leitlinien für das Krankenhaus fest, sondern kommen auch kurzfristig zusammen, um konkrete Fälle zu erörtern. Wie bedeutsam ihre Arbeit ist, zeigt sich während der Covid-Pandemie einmal mehr.
Ein Arzt will Patienten heilen. Doch seine Fürsorgepflicht kann an Grenzen stoßen. Nicht jeder medizinisch mögliche Eingriff zum Beispiel bei Frühchen oder Schwerstkranken ist sinnvoll, nur weil es die technischen Möglichkeiten dafür gibt. Nach welchen Kriterien entscheiden Ärzte und Pflegende, welche Behandlung dem Willen von Patienten am ehesten gerecht wird? Und vielleicht sogar, welche Patienten werden zuerst behandelt, sollte es zu einem Engpass kommen? Und in diesen Pandemie-Wochen: Kann man Schwerstkranken den Besuch von Angehörigen verweigern?
Antworten auf diese Fragen finden Beate Welsch, Pflegedirektorin der Städtischen Kliniken und Vorsitzende des Klinischen Ethik-Komitees, ihre beiden Stellvertreter, Chefarzt PD Dr. Heiko Röpcke und Pfarrer Peter Brischke, sowie elf weitere Mitstreiter. Zum Komitee gehören Ärzte und Pflegekräfte, Mitarbeiter vom Sozialdienst und aus der Verwaltung, aber mit einem Patientenvertreter, zwei Pfarrern und einem Juristen auch externe Mitglieder. „In unserem Gremium diskutieren wir ohne Hierarchiegrenzen und auf Augenhöhe“, sagt Welsch, die ausgebildete Beraterin für Ethik im Gesundheitswesen ist. Einmal pro Monat
tagt das Komitee turnusmäßig. Dazu kommen immer wieder kurzfristige ethische Fallbesprechungen. Egal ob ein Arzt, Patient oder Mitarbeiter bei ethischen Fragen um Unterstützung bittet – binnen 24 Stunden kommt der Kreis der Ethik-Experten zusammen, berät und gibt eine Empfehlung. „Wir entscheiden nicht, wie die Behandlung konkret verlaufen soll. Aber wir sprechen eine Empfehlung aus, die die wesentlichen ethischen Aspekte einbezieht und auch in der Patientenakte dokumentiert wird“, erklärt Beate Welsch. Dass Vertreter verschiedener Berufe gemeinsam diskutieren, hält Chefarzt Röpcke für wesentlich: „Wenn ich als Arzt in einer ethischen Frage unsicher bin, hilft mir der Blick von außen am meisten. Das erweitert meine Perspektive.“
Pfarrer Brischke erklärt, welches Schema bei den Abwägungen hilft: „Die Fürsorge des Arztes, die Autonomie des Patienten, die Balance zwischen Wohltun und zugleich Abwenden von Schaden für die Patienten und die Gerechtigkeit sind für die Bewertung wesentlich. Wichtig ist, dass wir jeden Fall aus jedem dieser fünf Blickwinkel betrachten.“Dabei geht es in so einer großen Klinik oft um die ganz großen Fragen von Leben und Tod – aber auch ganz pragmatisch darum, den Willen des Patienten möglichst genau zu treffen. „Das geht am besten, wenn Ärzte und Pflegende sich austauschen. Es kann auch helfen, zusätzliche Quellen
wie den Hausarzt einzubeziehen“, sagt Beate Welsch.
Gemeinsam mit den Angehörigen unter ethischen Gesichtspunkten das weitere Vorgehen zu besprechen, hält PD Dr. Röpcke für besonders zielführend. „So ist es nicht der Arzt, der eine folgenreiche Entscheidung alleine trifft, sondern die Entscheidung wächst im gemeinsamen Gespräch.“
Längst hat das Gremium Spuren im Haus hinterlassen. Das zeige sich in den Pandemie-Monaten einmal mehr, sagt Beate Welsch. Als im Kampf gegen die Verbreitung von Covid deutschlandweit ein Besucherstopp in Krankenhäusern verhängt wurde, diskutierte die Covid-Steuerungsgruppe der Städtischen Kliniken sofort über nötige Ausnahmen
von diesen Regeln. „Diese Diskussion anzustoßen, wäre eine klassische Aufgabe für ein Klinisches Ethik-Komitee. Das war in diesem Fall bei uns nicht nötig, weil solche Fragen inzwischen hier sofort von vielen mitgedacht werden“, sagt die Vorsitzende. Schließlich entschied man sich für unbürokratische Ausnahmen bei Schwerstkranken, Dementen, Kindern und Wöchnerinnen, aber trotzdem eingebettet in das Sicherheitskonzept des Eli. „Alles andere hätte ich aus ethischer Sicht auch nicht für vertretbar gehalten“, sagt Pfarrer Brischke.
Covid wirft für die Mediziner und Pfleger eine Reihe von ethischen Fragen auf. Wie trägt man Sorge dafür, dass außer den von Covid Betroffenen
auch alle anderen Kranken die nötige Behandlung bekommen? Welche Patienten werden als erstes behandelt? Für zu großes Patientenaufkommen gibt es unabhängig von Covid natürlich Regeln: Akut lebensbedrohlich Erkrankte haben Priorität. Ist die Dringlichkeit gleich, wird die Überlebenswahrscheinlichkeit der Patienten mit berücksichtigt. „Eine solche Auswahl ist in unserem Gesundheitssystem normalerweise nicht nötig. Durch Covid rückte sie aber plötzlich in die Nähe des Möglichen“, sagte Beate Welsch. Man habe sich mit dieser sehr vielschichtigen Frage grundlegend beschäftigt, sagt PD Dr. Röpcke – ohne bisher tatsächlich die gefundenen Kriterien anwenden zu müssen. Pfarrer Brischke
sagt: „Ich bin sehr froh, dass wir bislang solche Abwägungen nicht an konkreten Fällen machen mussten.“
Mitarbeiter und Patienten nehmen das Angebot des Ethik-Komitees gerne an. „Wir sind kein Feigenblatt, sondern werden für unsere Hilfe in schwierigen Fragen gewertschätzt“, sagt die Pflegedirektorin. Zudem wirke die Auseinandersetzung mit ethischen Fragen über den Umgang mit Patienten und Angehörigen hinaus. Beate Welsch: „Letztlich geht es um Haltung. Und damit auch um die Frage, wie wir als Ärzte und Pflegende miteinander umgehen und miteinander kommunizieren wollen.“
„Wir als Ethik-Komitee wollen nicht den Behandlern, Patienten oder Angehörigen die Entscheidungen abnehmen, sondern wir wollen sie zu einem ethisch reflektierten Handeln hinführen. Wenn uns das gelingt, und irgendwann einmal das Klinische Ethik-Komitee durch seine gute Beratungsarbeit alle dahin geführt hat, würden wir uns theoretisch sogar selbst überflüssig machen“, sagt Dr. Röpcke. „Aber praktisch wird das wohl nicht passieren. Wie wir gerade bei Covid wieder gesehen haben: Es tauchen immer wieder neue Fragestellungen auf.“