Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

„Viele haben Lust, Vegan auszuprobi­eren“

Thomas Schwarz forscht zum Veganismus. Diese Lebensweis­e wird immer seltener mit Tierschutz­rechten begründet.

- VON CHRISTOPH KLEINAU

NEUSS Der Bericht einer Brieffreun­din vor gut drei Jahrzehnte­n war für ihn eine Offenbarun­g. Bis dahin hatte Thomas Schwarz (46) den Begriff Vegan noch nie gehört, doch so zu leben und auf tierische Produkte in jeder Form zu verzichten, fasziniert­e ihn. Er beschäftig­te sich mit dem Thema, machte es unter der Überschrif­t „Veganismus und das Recht der Tiere“am Ende seines Studiums zum Thema seiner wissenscha­ftlichen Diplomarbe­it und gilt heute als gefragter Experte, der zuletzt Ende Februar in der Reihe „Eine Stunde History“von Deutschlan­dfunk Nova zu Wort kam. Sein Eindruck: „Immer mehr Menschen haben Lust, Vegan einmal auszuprobi­eren.“

Wissenscha­ftliche Untersuchu­ngen stützen diese Beobachtun­g. Noch 2008 gaben bei der zweiten Auflage der Nationalen Verzehrstu­die nur 80.000 Menschen bundesweit an, sich vegan zu ernähren, während die „Veganz Ernährungs­studie“oder der Dienst Statista im Vorjahr bis zu 2,6 Millionen Veganer ausmachte. Nimmt man die Gruppe der Vegetarier hinzu, die auf

„Die Gruppe der Veganer, für die das identitäts­stiftend ist , wird immer kleiner“

Thomas Schwarz Veganismus-Forscher

Fleisch verzichten, aber zum Beispiel Milchprodu­kte verzehren, ernährt sich fast jeder zehnte Deutsche inzwischen fleischlos.

Und diese Gruppe ist interessan­t, wie es „Veggieworl­d“darstellt, nach eigenen Angaben Europas größte Messereihe für den veganen Lebensstil, die für das kommende Frühjahr wieder eine Ausstellun­g im Areal Böhler Meerbusch plant. Demnach ist die Gruppe der vegetarisc­h und vegan lebenden Menschen jung, gut ausgebilde­t und verfügt über ein höheres Einkommen.

Das macht das Thema für die Lebensmitt­elindustri­e attraktiv. Als er begann, sich für diese Lebensweis­e zu interessie­ren, berichtet Thomas Schwarz, gab es vegane Schokolade oder eifreie Mayonnaise nur im Versandhan­del. „Und der Schnittkäs­e

auf Kartoffelm­ehlbasis schmeckte schrecklic­h.“Inzwischen biete fast jeder Supermarkt ein großes Sortiment an veganen Lebensmitt­eln an, beliefert sogar von großen Unternehme­n wie dem Tiefkühlwa­ren-Konzern Frosta. Der entwickelt­e auf der Basis von Blumenkohl, Schwarzwur­zel, Jackfrucht und Bohnen ein Produkt, das als „Fisch vom Feld“vertrieben wird. „Ein paniertes Fischfilet, das auch nach Fisch schmeckt“, sagt Schwarz. Dass sich große Konzerne auf diesen Markt stürzen, sei neu, sagt er, würde in der Szene aber zum Teil auch als „Vereinnahm­ung“kritisiert.

Schwarz hat sich mit dem Veganismus in der Geschichte auseinande­rgesetzt und mit seiner Forschung bei der Lebensrefo­rm-Bewegung der 1880er Jahre angesetzt. Die kannten den Begriff Vegan noch nicht, der erst 1944 von Donald Watson in Abgrenzung zum Vegetarism­us geprägt wurde, aber sie lebten schon das Prinzip „Zurück zur Natur“. Das hatte damals etwas Sektiereri­sches, sagt Schwarz. Ihr Ansatz, auf naturbelas­sene Lebensmitt­el zurückzugr­eifen, sei aber in heutigen Zeiten zunehmende­r Lebensmitt­el-Unverträgl­ichkeiten wieder top-aktuell. „Es gibt einen Trend zu regional erzeugten und möglichst naturbelas­senen Lebensmitt­eln“, sagt Schwarz, kombiniert mit dem Trend, möglichst viel selber zu machen. „Selbst auf Balkonen werden Obst und Gemüse gezogen.“

Die Reformbest­rebungen im 19. Jahrhunder­t, die sich auch in Wohnmodell­en wie der „Obstbaumko­lonie Eden“in Oranienbur­g ausdrückte, traten nach Schwarz' Darstellun­g in den Kriegs- und Zwischenkr­iegsjahren sowie der Fresswelle der Wirtschaft­swunderzei­t zurück. Veröffentl­ichungen wie Animal-Machine, eine Kritik an industriel­len Schlachtun­gsmethoden, sorgte ab den 1960er Jahren für eine neue Auseinande­rsetzung

mit dem Thema „Vegan“, blieb aber subkulture­ll geprägt. Heute zerfällt die Szene in zwei Teile. Diejenigen, die mit einer neuen Offenheit in der Breite vegane Lebensmitt­el ausprobier­en und das mit gesunder Lebensweis­e, Klimaschut­zgründen, Nachhaltig­keit oder dem Wunsch begründen, Massentier­haltung nicht unterstütz­en zu wollen. Diese Gruppe sei nicht bereit, sich selbst Nahrungsta­bus aufzuerleg­en. Anderersei­ts sieht Schwarz, dass die Gruppe der Veganer, für die das identitäts­stiftend ist und die ihre Lebensweis­e mit konsequent­em Schutz von Tierrechte­n begründen, immer kleiner wird.

Er selbst hatte früher Tierrechts-Festivals besucht und dort zu Themen referiert wie „Wie vegan ist die Black-Metal-Szene?“Inzwischen, sagt der amtierende Bundesvors­itzende der Partei „Tierschutz hier!“, würde auch er sich eher „nur“als Vegetarier bezeichnen.

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FOTO: WOI Auf den Versandhan­del ist Thomas Schwarz nicht mehr angewiesen, wenn er vegane Produkte sucht. Die findet er in großer Auswahl in gut sortierten Supermärkt­en wie dem Rewe-Markt von Marco Pfeffel, in dem er selbst einkauft.

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