Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Die deutsche Talkshow-Demokratie
ANALYSE Gesprächsrunden im TV verwandeln sich mehr und mehr in eine Polit-Bühne, vor allem „Markus Lanz“im ZDF. Das liegt natürlich an der Auswahl der Gäste, aber auch an den Moderatoren und der Corona-Situation.
Es ist eigentlich eine Nebensächlichkeit. „Haben Sie mit ihr nochmal telefoniert?“, will Markus Lanz von Armin Laschet wissen, der zwei Tage zuvor in den Augen vieler von Angela Merkel bei „Anne Will“bloßgestellt worden war, als es um die gemeinsam vereinbarte Corona-Notbremse ging, die er in NRW nicht umsetzt. „Ich spreche nicht über Telefonate mit der Bundeskanzlerin“, antwortet Laschet. Seine Frage sei, ob, legt Lanz nach. „Auch nicht“, entgegnet Laschet und will fortfahren. „Sie können sicher sein, .... “– „dass Sie mit ihr telefoniert haben?“, unterbricht Lanz den sichtlich nervösen CDU-Chef. „Haben Sie vorher telefoniert oder nachher telefoniert?“, fragt Lanz weiter. „Nein, wir reden nicht darüber, Herr Lanz“, sagt Laschet.
Auch wenn die Zuschauer letztlich nicht erfahren, ob und wann Laschet und Merkel nun an jenem Sonntagabend telefoniert haben, offenbart diese Sequenz nicht nur die bemerkenswert höflich-hartnäckige Fragetechnik eines ehemaligen Unterhaltungsshow-Moderators, sie zeigt auch: Talkshows werden immer mehr zur offenen Polit-Bühne. Wo früher mal mehr, mal weniger ausgeglichen in größerer Runde über politische, gesellschaftliche oder kulturelle Themen eher geplaudert denn diskutiert wurde, geht es immer öfter um den individuellen Showdown, die ganz großen Fragen, das Politiker-Spektakel.
Vom medial omnipräsenten Gesundheitsexperten Karl Lauterbach einmal abgesehen, sind immer häufiger echte Entscheider zu Gast in Talkshows, um ihrer politischen Agenda den nötigen Schwung zu verleihen – aus Sicht der Gastgeber aber auch, um sie und ihre Äußerungen fein säuberlich zu filetieren. Besonders „Markus Lanz“stach zuletzt mit hochkarätigen Gästen und hartem Nachrichtenwert heraus aus der Talkshow-Landschaft, die in der Pandemie an Bedeutung gewonnen hat.
Neben den gestiegenen Quoten für Nachrichtensendungen haben besonders die öffentlich-rechtlichen Formate wie „Maischberger“, „Maybrit Illner“, „hart aber fair“oder „Anne Will“seit dem Frühjahr 2020 massiv an Reichweite hinzugewonnen. Besonders beachtlich ist die Corona-Quotenbilanz laut dem Mediendienst DWDL für Markus Lanz, der seine Reichweite im Vergleich zur Prä-Corona-Zeit bei den 14- bis 49-Jährigen mehr als verdoppeln konnte. Das liegt auch daran, dass die Menschen nach Orientierung suchen, nach Antworten auf Fragen, die sie in dieser Pandemie konkret betreffen. Bei Lanz aber kommt noch etwas anderes hinzu.
Die ZDF-Sendung, die ziemlich spät (meist 23.15 Uhr) und ziemlich häufig (dienstags, mittwochs, donnerstags) läuft, ist inzwischen unterhaltsam, ohne ein Unterhaltungsformat im klassischen Sinne zu sein. Dass Lanz sein auch durch „Wetten... dass?!“bedingtes Image lange nicht ablegen konnte, ließ Kritiker seine Sendung bestenfalls als irrelevant bezeichnen. „Ein Kessel Buntes mit Musikeinlage, umschwenkt von Selbstbeweihräucherung“, schrieb die FAZ zum 500. Jubiläum der Show im Jahr 2013, präsentiert von einem Mann, „der immer auf der Kante seines Sessels hockt, um näher bei seinen Gästen zu sein, stets auf dem Sprung, sie mit einer Geste leicht anzutippen, damit irgendetwas aus ihnen heraussprudelt, von dem sie erst später merken, wie peinlich es ist“.
Aber die Zeiten haben sich geändert, Markus Lanz hat sich geändert. Statt dem freundlichen Moderator ist immer häufiger ein knallharter Journalist zu sehen, statt netter Plauderrunde ein anspruchsvoller Polit-Talk. Die Gäste sind Amtsträger, Wissenschaftler, Journalisten. Die Inhalte steigern Resonanz und Akzeptanz so sehr, dass innerhalb weniger Tage jüngst Armin Laschet und Markus Söder einer Einladung folgten.
Sind Markus-Lanz-Talkshows also inzwischen eine Instanz der Demokratie? Ein Politiker-Debatten-Forum? Gar eine Art Kanzlerkandidaten-Vorentscheid? „Sie sind eine Diskursarena“, meint Politikund Medienexperte Johannes Hillje. „Menschen nehmen Politik über Medien
wahr, bilden ihre Meinung über Medien, wir leben in einer Medien-Demokratie.“Auch Talkshows gehörten dazu. „Aber sie sind kein Ersatzparlament“, so Hillje. Man dürfe Talksendungen nicht zu sehr überhöhen, einzelne Auftritte in Talkshows würden auch nicht über eine Kanzlerkandidatur entscheiden.
Dennoch spiegelt sich die Zustimmung zu Armin Laschet und seinem mutmaßlichen Kontrahenten Markus Söder auch in ihren Auftritten bei Lanz. Während Laschet sich selbst von anderen Gästen Fragen und Sticheleien gefallen lassen muss, oft verlegen lächelt und angefasst reagiert, lässt Söder sich lediglich aus München zuschalten. „Das war eine kluge Entscheidung“, meint Hillje, der auch Politiker in ihrer Medienarbeit berät. Via Bildschirm gerate man nicht ins Kreuzverhör, man könne seine Botschaft meist ungestört vortragen und nebenbei sogar seine Corona-Position stärken – das „Zuhause-Bleiben“.
Armin Laschet, vermutet Experte Hillje, „war entweder schlecht vorbereitet oder er hat die Fragetechnik von Lanz unterschätzt.“Die sei inzwischen ja bekannt inquisitorisch: anfangs noch nett und zutraulich, dann gnadenlos in die Mangel nehmend. Wie wichtig es ist, Politikern auch etwas entgegenzusetzen, zeigte sich 2015 in der inzwischen abgesetzten Talksendung „Günther Jauch“– als AfD-Politiker Björn Höcke seine Deutschlandfahne ausrollen und ungestört völkische Parolen loslassen konnte. Moderator Jauch wusste dem Ganzen damals wenig gegenzuhalten bis auf Fragen der Art: „Wie meinen Sie das jetzt?“Da ist die oft unhöfliche, beinahe schmerzhaft penetrante Lanz-Taktik doch die bessere, wenn es um harte, politische Themen geht, wie sie in einem Jahr zwischen Corona-Krise und Bundestagswahl nun mal unausweichlich sind. Dennoch: Ein Kanzlerkandidat wird nicht vorwiegend an seiner Schlagfertigkeit oder seinem Wortwitz gemessen – es ist die Summe der Entscheidungen und Verhaltensweisen über einen längeren Zeitraum, die zählen wird. Länger als 60 Minuten jedenfalls.