Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
EM mit Nachspiel, aber großer Zuversicht
Auch wenn die Rückkehr nach Deutschland etwas holprig geriet, die mit Platz fünf abgeschlossenen Ruder-Europameisterschaften in Italien geben dem Frauenachter um Alexandra Höffgen viel Mut im Kampf ums Olympia-Ticket.
NEUSS Lago di Varese, umsäumt von herrschaftlichen Villen, in der Mitte die winzig kleine Insel Isolino Virginia. Das Massiv des Campo dei Fiori läuft sanft in Richtung See aus, im Hintergrund die prächtige Alpenkette. Von hier aus ist es nur noch ein Katzensprung in die faszinierende Modestadt Mailand. Aber mit „La Dolce Vita“, dem süßen Leben, mit Gucci und Prada hatte der Trip von Alexandra Höffgen mit dem Frauen-Achter des Deutschen Ruderverbandes in die Gartenstadt am östlichen Ufer des Lago Maggiore rein gar nichts zu tun.
Die Realität sah vielmehr so aus: Nach den mit Platz fünf abgeschlossenen Europameisterschaften ging es für die Ausdauerathletin des Neusser RV und ihre Bootskolleginnen mehr oder weniger direkt zum Mailänder Flughafen Malpensa. Und auch dort ließ sie die Corona-Pandemie, die den rund 620 Aktiven aus 35 Nationen ein ebenso strenges wie isolierendes Hygienekonzept aufgedrückt hatte, nicht aus ihren fiesen Klauen. Weil die grundsätzlich spaßbefreiten Carabinieri eine italienische Reisegruppe, „deren negative Coronatests irgendwie in der falschen Sprache abgefasst waren“(Höffgen), quasi aus der abflugbereiten Maschine zerren mussten, verschob sich der Start mal eben um knapp zwei Stunden. Damit nicht genug: Bei der Landung in Berlin musste der Pilot den Flieger wetterbedingt noch mal hochziehen, um einen zweiten, Gott sei Dank, geglückten Versuch zu unternehmen. Mit in die kurze Nacht auf Montag nahm die erst gegen 2.30 Uhr ins Bett gefallene Kleinenbroicherin die Erkenntnis, „dass es in Coronazeiten halt nicht so einfach ist, nach Deutschland einzureisen. Was ja im Grunde genommen auch richtig ist.“
Den verlorenen Schlaf nachzuholen, war freilich nicht drin, denn schon am Nachmittag stand wieder eine lockere Trainingseinheit auf dem Programm. Vor der entscheidenden Regatta um das Olympia-Ticket vom 15. bis 17. Mai auf dem Luzerner Rotsee ist schließlich keine Zeit zu verschenken.
Trotz der recht deutlich verpassten Medaille – die vorangegangene EM im Oktober hatte der deutsche Achter überraschend auf Platz zwei beendet – verbuchte Alexandra Höffgen die kontinentalen Titelkämpfe in Italien nicht als Fehlschlag. Für sie gliederte sich das Finale über 2000 Meter so: „Am Start fehlt es uns noch ein bisschen an Schnelligkeit, der Mittelteil war schon sehr gut und auf den letzten 500 Metern ist uns dann die Kraft ausgegangen.“Ein Ergebnis mit Ansage, schließlich passte die im Hinblick auf die Olympia-Qualifikation bedeutungslose Europameisterschaft nicht in den Zeitplan der deutschen Crew. „Die sind wir mehr oder weniger aus dem Training heraus gefahren“, erklärt die 27-Jährige. Anders sah das zum Beispiel bei den Rumäninnen aus, die ihren EM-Titel vor den Niederlanden und Russland in überzeugender Manier zu verteidigen wussten. Höffgen einordnend: „Ja, sie sind stark, keine Frage. Aber weil es bei denen auch um Kohle geht, sind die immer sehr früh im Jahr superfit. Eine EM hat für sie stets einen hohen Stellenwert – das ist praktisch ihr Saisonhöhepunkt. Aber bei der letzten WM zum Beispiel war Rumänien noch nicht mal im A-Finale.“Darum geht sie davon aus, dass der zweimalige Champion aus Südosteuropa bis zum Showdown in der Schweiz nicht mehr schneller wird.
Der DRV-Achter schon. „Denn an den technischen Sachen, etwa dem Start, kann man ja bis Luzern noch gut arbeiten“, findet die ehemalige Basketballerin der TG Neuss. „Ein Problem hätten wir nur, wenn die Fitness nicht da wäre, dieses Defizit wäre in fünf Wochen nicht mehr aufzuholen.“Ihre Zuversicht, den Sprung nach Tokio noch auf den letzten Drücker zu schaffen, ist jedenfalls ungebrochen: „Die Konkurrenz ist ja nicht weit weg.“Zu Rumänien, Holland und dem EM-Sechsten Italien kommen auf dem Rotsee noch die Chinesinnen. Wohl raus aus dem Kampf um die beiden noch verbliebenen Tickets ist dagegen die „Sbornaja“, hat die Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA) doch Russland als Nation wegen systematischen Dopings für zwei Jahren für Wettbewerbe wie Olympische Spiele und Weltmeisterschaften gesperrt. Höffgen weiß indes: „Es wird trotzdem ganz schön eng. Bei der Olympia-Quali heißt es do-or-die!“
Auch Bundestrainer Tom Morris sieht seine extrem motivierten Schützlinge generell auf einem guten Weg, kündigt aber an: „Die nächsten Trainingswochen werden noch richtig hart.“