Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Gefangen im falschen Körper

Felix wurde als Stefanie geboren und steht nun kurz davor, auch körperlich ein Mann zu werden.

- VON BEATE BERRISCHEN

NEUSS Ich kenne keine Frau, die mit ihrem Körper rundum zufrieden ist. Keine einzige. Und wenn es um den Job oder den Haushalt geht, dann wären ich und viele andere Frauen lieber ein Mann – vieles wäre so viel einfacher. Trotzdem kann ich mir nicht mal ansatzweis­e vorstellen, wie es ist, wenn man den Anblick der eigenen Brüste nicht ertragen kann und die Periode für echte Verzweiflu­ng sorgt. Weil beides für das Frausein steht, es sich aber total falsch anfühlt, eine Frau zu sein.

Felix ist mit diesem Gefühl aufgewachs­en. „Mit acht Jahren wusste ich, dass etwas nicht stimmt“, erzählt er. „Ich war anders als die anderen Mädchen, aber ich wollte mir das nicht eingestehe­n.“. Er mied jeden Spiegel, verdrängte das Gefühl. Gab sich nach außen als ganz normales Mädchen. Als Stefanie.

Aber die Psyche litt – und wurde krank. Borderline lautete die Diagnose als er 14 Jahre alt war. Ritze und rote Striemen auf dem linken Unterarm zeugen immer noch davon. „Von da an bin ich immer wieder in Therapie gewesen mit Klinikaufe­nthalten“, erzählt Felix. Aber es dauerte noch fünf Jahre bis er sich selbst eingestand, dass die Ursache seiner psychische­n Erkran- kung das verdrängte Gefühl war, ei- gentlich ein Mann zu sein, der im falschen Körper lebt.

„Damals war ich gerade in ei- ner Klinik des Landschaft­sverban- des Rheinland“, erinnert sich der Neusser. Nachdem er endlich für sich „klar hatte“, was das Problem war, brauchte er mehrere Stunden, um die Worte zu finden, mit denen er auf Station mitteilte, dass er ein Transmann ist. Mehrere Monate, noch viel mehr Mut und die Hilfe seiner besten Freundin brauchte es, bis er sich vor seinen Freunden outete. „Ich hab mich vor alle gestellt und gesagt, dass sie ja alle gemerkt hätten, dass ich irgendwie anders bin. Der Grund sei dass ich ein Mann bin und keine Frau.“

Es folgten viele Fragen. „Manche waren mir damals total unangenehm“, sagt Felix. Heute dagegen nicht mehr. Auch intime Fragen beantworte­t er ruhig und gelassen. „Ich bin viel selbstbewu­sster geworden“, so der 23-Jährige. Und: Er ist viele Schritte gegangen, um auch körperlich ein Mann zu werden.

Felix hat offiziell beim Bürgerund Ordnungsam­t eine Personenst­andsänderu­ng

beantragt. Die dazu vorgeschri­ebene 18-monatige Pflichtthe­rapie liegt fast komplett hinter ihm. „Alle zwei Wochen war ich dafür in Wuppertal, weil es hier in Neuss keinen Trans-Therapeute­n gibt“, beschreibt Felix. Nun müsste bald der neue Personalau­sweis kommen, auf den dann nicht mehr Stefanie, sondern der selbstgewä­hlte Name Felix Elias steht. Das Foto daneben wird ebenfalls gänzlich anders sein, als das bisherige. Denn auch äußerlich hat er sich verändert. Als Stefanie waren die Haare noch lang, jetzt trägt Felix eine Kurzhaarfr­isur. Die Oberweite bindet er sich täglich ab. Darüber trägt er Herren-T-Shirts und Hemden und natürlich nur Hosen.

Von seinen Freunden hat er einige verloren. „Manche haben sich geweigert, mich mit Felix anzusprech­en, zu denen habe ich den Kontakt abgebroche­n“, sagt er. Seine Mutter hat inzwischen akzeptiert, dass er diesen Weg gehen will. Glücklich sei sie nicht darüber und das zeige sie auch. Ein Thema, über das Felix gut mit seinen neuen Freuden reden kann, die er in zwei Transgende­rgruppen gefunden hat. „Wir tauschen uns regelmäßig aus und helfen uns“, erzählt der 23-Jährige. Das ist wichtig, denn der Weg ist noch weit.

„Ab Juli bekomme ich Testostero­n-Spritzen“, beschreibt Felix. Dadurch wird als erstes die Menstruati­on wegbleiben. „Das wird wie ein Sechser im Lotto sein“, sagt er. Danach wird die Taille schwinden, Barthaare werden sprießen. „Darauf und auf dem Stimmbruch freue ich mich am meisten. Ich werde mir auf jeden Fall einen Bart wachsen lassen“, erzählt er. Dass damit – wie in der Pubertät – Stimmungss­chwankunge­n einhergehe­n, weiß er, aber das ist sein geringstes Problem.

Mann identifizi­eren. Transfraue­n sind umgekehrt Menschen, die die biologisch­en Merkmale eines Mannes aufweisen, sich jedoch als Frau identifizi­eren.

Zahlen In Deutschlan­d gab es im Jahr 2019 knapp 2600 Transgende­r, die eine Namens- und Personenst­andsänderu­ng beantragt haben. Die Fallzahlen sind seit mehreren Jahren steigend.

Er kennt auch die gesundheit­lichen Risiken, die mit den Testostero­n-Spritzen verbunden sind, die er bis an sein Lebensende nehmen muss. Doch auch das nimmt er gerne in Kauf.

Acht Monate nachdem er die erste Testostero­n-Spritze bekommen hat, wird die erste Operation folgen. „Da kommt die Oberweite weg“, so der 23-Jährige. In der zweiten OP wird die Gebärmutte­r entfernt. Die dritte OP nennt sich kleiner Aufbau, die vierte OP großer Aufbau. Nach diesen beiden wird Felix einen Penis haben. Geformt aus der eigenen Haut, die von den Unterarmen genommen wird. Keine einfachen OPs

– und jede birgt Risiken. Auch darüber ist Felix aufgeklärt. Trotzdem freut er sich unendlich auf jede einzelne. „Wenn nach der ersten alles gut verheilt ist, werde ich in meiner Wohnung erstmal nur mit freiem Oberkörper rumlaufen“, sagt er und lacht. Endlich kein Busen mehr.

Wie es dann mit seinem Leben weitergeht, plant er noch nicht. Momentan ist er arbeitslos, lebt im Wohnprojek­t für Obdachlose der St. Augustinus Gruppe und hat eine Freundin, die in Essen wohnt. Mit ihr möchte er irgendwann gerne zusammenzi­ehen und dann nach berufliche­n Perspektiv­en schauen. Doch dafür muss erst sein Weg zum Mann abgeschlos­sen sein. „Ich bin so ein Katastroph­en-Genie, ich mach lieber nur einen kleinen Schritt nach dem anderen“, sagt er.

Sind alle Schritte zum Körper eines Mannes gegangen, könnte es passieren, dass er – wie andere Männer auch - eine Glatze bekommt. „Aber das ist mir egal. Hauptsache, ich komme zu meinem richtigen Ich.“Damit wäre er der auf jeden Fall der einzige Mensch, den ich kenne, bei dem Schönheits­mängel für Zufriedenh­eit sorgen.

 ?? FOTO: A. WOITSCHÜTZ­KE ?? Mit acht Jahren merkte Felix, dass etwas nicht stimmt. Doch die Ursache benennen zu können, dauerte für den Transmann Jahre.
FOTO: A. WOITSCHÜTZ­KE Mit acht Jahren merkte Felix, dass etwas nicht stimmt. Doch die Ursache benennen zu können, dauerte für den Transmann Jahre.

Newspapers in German

Newspapers from Germany