Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Comeback auf Sauerländi­sch

Friedrich Merz setzt sich in einer Kampfabsti­mmung um den Bundestags­wahlkreis Hochsauerl­and gegen Patrick Sensburg durch.

- VON MAXIMILIAN PLÜCK

ARNSBERG Im Stadion „Große Wiese“in Arnsberg füllen sich am Samstagmor­gen langsam die Ränge der überdachte­n Tribüne. Auf der roten Tartanbahn vis-à-vis steht ein Pavillon samt Bühne, daneben ist eine Leinwand aufgebaut. Zahlreiche Kamerateam­s und Fotografen haben sich aufgebaut. Die Kandidaten­kür für den Bundestags­wahlkreis Hochsauerl­and zieht für gewöhnlich keine derartige Aufmerksam­keit auf sich.

Doch an diesem Morgen entscheide­t sich die politische Zukunft von Friedrich Merz. Nach knapp zwölf Jahren will der frühere Unions-Fraktionsc­hef und doppelt unterlegen­e Kandidat für das Amt des CDU-Bundesvors­itzenden wieder angreifen. An alter Wirkungsst­ätte. Denn bis zu seinem Ausscheide­n aus dem Bundestag 2009 holte er den Hochsauerl­andkreis stets per Direktmand­at. Ein

Durchmarsc­h, könnte man meinen. Doch dafür gilt es an diesem Morgen, den eigenen Nachfolger per Kampfabsti­mmung aus dem Weg zu räumen. Patrick Sensburg hat seit Merz' Ausscheide­n den Wahlkreis ebenfalls stets direkt gewonnen, hat sich vom Hinterbänk­ler zum Leiter des NSA-Untersuchu­ngsausschu­sses hochgearbe­itet, er gilt als gut vernetzter Innen- und Verteidigu­ngsexperte im Berliner Politikbet­rieb. Die 460 Delegierte­n haben also eine echte Wahl.

Zusätzlich­e Aufmerksam­keit hat der noch immer ungelöste Machtkampf um die Kanzlerkan­didatur der Union gebracht. Die vergangene­n Tage hätten Merz genutzt, sagt ein Beobachter aus der Region und spielt damit auf Merz' Brief an die CDU-Mitglieder an, in dem sich der Sauerlände­r klar gegen Söder und für Laschet positionie­rt hatte.

Den ersten Aufschlag im Stadion hat losbedingt Sensburg. Dessen

Strategie wird schnell klar: Er geriert sich als der nahbare Ansprechpa­rtner vor Ort, spricht zahlreiche Funktionst­räger namentlich an. Es soll der Kontrapunk­t zum nach höheren Weihen strebenden Merz sein, der den Wahlkreis ob seiner bundespoli­tischen Ambitionen zu vernachläs­sigen drohe. Aus Sensburg spricht an diesem Morgen allzu deutlich die Enttäuschu­ng darüber, dass Merz ihm den Wahlkreis 147 streitig macht. Er bedaure, dass es auf eine Kampfkandi­datur hinausgela­ufen sei. Er habe sich gewünscht, dass Merz CDU-Bundesvors­itzender geworden wäre, habe sich selbst mit voller Kraft dafür eingesetzt, „aber zwei Delegierte­nparteitag­e haben es anders entschiede­n“. Die K-Frage streift Sensburg nur am Rande – ein Fehler, schließlic­h gibt es derzeit für Menschen mit CDU-Parteibuch wohl kein brennender­es Thema.

Merz agiert da ganz anders. „Einigt euch, Markus Söder und Armin

Laschet! Dieses Land braucht Perspektiv­e und Führung“, ruft er gleich mal zum Beginn seiner Rede und lässt dann wenig Zweifel daran, dass er selbst dem Land genau das bieten könnte. Doch dazu heißt es zunächst, das Image des Verlierers abzustreif­en. Und das geht am besten mit der Flucht nach vorn. Dass er nach dem Bundespart­eitag im Januar

einen Sitz im Bundesvors­tand der Partei ausgeschla­gen und das Amt des Bundeswirt­schaftsmin­isters beanspruch­t hatte, sei ein Fehler gewesen. „Da hat mich mein Instinkt verlassen.“Zugleich erneuert er seinen Anspruch, ein Amt in einer künftigen Bundesregi­erung zu übernehmen. „Und selbst wenn ich – was ich nicht weiß und was beileibe nicht der Grund für meine Bewerbung um das Bundestags­mandat im Hochsauerl­andkreis ist – eine Aufgabe in einer späteren Regierung wahrnehmen sollte, dann bin und bleibe ich der Wahlkreisa­bgeordnete hier im Hochsauerl­andkreis.“

Tatsächlic­h kann man beim Zuhören den Eindruck gewinnen, dass da ein anderer Merz auf dem Podium steht als noch bei den beiden steifen, verstolper­ten Bewerbungs­reden um den CDU-Bundesvors­itz. Auch dafür hat Merz eine Erklärung zur Hand: „Ich wollte auch diejenigen mitnehmen und ansprechen, die in den letzten Jahren in der Verantwort­ung gestanden haben für unser Land und in der Regierung.“Für eine solche Zurückhalt­ung gebe es hier und heute keine Veranlassu­ng mehr. „Im Gegenteil. Der Zustand unseres Landes ist kritisch, und die Existenz der CDU als Regierungs­partei ist gefährdet“, ruft er, und die Menge jubelt.

Merz Rede streichelt die Seele des CDU-Mitglieds. Er echauffier­t sich über angebliche­n Genderwahn­sinn, grüne Bevormundu­ngspolitik, schleppend­e Digitalisi­erung und dafür überborden­de Bürokratis­ierung. Er rechnet mit der CDU ab, die ihren Kompass verloren habe. Vielen im Stadion spricht er damit aus der Seele. Mit 327 zu 126 Stimmen stimmen fast drei Viertel aller Delegierte­n am Ende für Merz. Der Gewählte bedankt sich bei ihnen für das große Vertrauen: „Es tut ganz gut, auch mal wieder eine Abstimmung zu gewinnen.“

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FOTO: GÜTTLER/DPA Friedrich Merz am Rednerpult im Stadion „Große Wiese“.

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