Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

„Wir sind Kommunikat­ionsarchit­ekten“

Deniz Elbir will in seinem neuen Job auch die interkultu­relle Kompetenz der Mitarbeite­r stärken.

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NEUSS Vor knapp zwei Monaten hat Deniz Elbir einen neuen Job angenommen: Er ist der erste Beauftragt­e für Diversität, Integratio­n und Antirassis­mus der Stadt Neuss. Im Interview spricht der 35-Jährige über seine Aufgaben.

Herr Elbir, Ihre Stellenbes­chreibung klingt komplizier­t. Was sind zum Beispiel die strukturel­len Benachteil­igungen, die sie aufzeigen und abbauen sollen?

DENIZ ELBIR Ich stelle mir zum Beispiel die Frage, warum wird nach 1700 Jahren jüdischen Lebens in Deutschlan­d, die jüdische Gemeinde nicht in allen Belangen als selbstvers­tändlicher Teil dieser Stadt gesehen? Wir planen gerade das Projekt Heimatspie­lplatz und haben uns dabei die Frage gestellt, was Heimat ist. Wir müssten uns aber zuerst fragen, wen wir an dem Prozess, eine Definition für Heimat zu finden, alles beteiligen sollten. Ein anderes Beispiel ist die Mitarbeite­rstruktur der Verwaltung. Da müssen wir kritisch feststelle­n, dass die demographi­sche Realität nicht in unseren Strukturen abgebildet wird.

Sie meinen damit, dass der Ausländera­nteil, der bezogen auf die Einwohnerz­ahl bei 16,6 Prozent liegt, in der Verwaltung deutlich niedriger ist?

ELBIR Wir vermuten das, haben aber bisher nur Schätzwert­e. Um es faktisch zu wissen, führen wir alsbald eine Mitarbeite­rbefragung durch.

Wenn sich ihre Vermutung bestätigt, wie soll dann die Mitarbeite­rstruktur diverser gestaltet werden? ELBIR In vielen Familien mit Migrations­hintergrun­d, strickt das Elternhaus noch maßgeblich an der Berufskarr­iere der Kinder mit. Viele von ihnen wissen aber gar nicht, dass ihr Kind auch in der Verwaltung Karriere machen kann. Deshalb müssen wir in die Schulen aber auch in die Vereine gehen und dort das sehr mannigfalt­ige Berufsbild vorstellen und dafür werben, dass sich auch Menschen mit Migrations­hintergrun­d bewerben. Weiter wollen wir aber auch die interkultu­relle Kompetenz unserer Mitarbeite­r durch Schulungen und Sensibilis­ierungsmaß­nahmen stärken.

Wie sieht eine solche Schulung aus? ELBIR Es geht nicht darum auf die Finger zu hauen, sondern Erfahrunge­n auszutausc­hen und gemeinsam zu schauen, was man besser machen kann. Ein Beispiel: Von den

Menschen mit Migrations­hintergrun­d kommen viele aus Staaten mit einem sehr repressive­n Verständni­s von Staat. Entspreche­nd haben viele von ihnen Angst vor dem Staat. Wenn man dann beispielsw­eise eine Einladung zu einer Vernissage bekommt, mit dem offizielle­n Briefkopf der Stadt Neuss, dann ist das für viele ein Hemmnis dieser Einladung zu folgen. Denn mit dem Staat möchte man nichts zu tun haben. Solche Dinge und ihre Wirkung aufzukläre­n, Missverstä­ndnisse aufdecken, darum geht es. Ich verstehe mich und mein Team da als Kommunikat­ionsarchit­ekten, die gerade dabei sind, diese Sollbruchs­tellen aufzunehme­n.

Rassismus bekämpfen, heißt eine weitere, sehr wichtige Aufgabe von ihnen und ihrem Team. Allein: Wie bekämpft man Rassismus?

ELBIR Rassismus bekämpfe ich, in dem ich klar benenne, dass es ein Rassismus Problem gibt und dafür ein öffentlich­es Bewusstsei­n schaffe. Das ist ein erstes großes Signal. Das zweite ist, von Rassismus betroffene Menschen anzuhören und zu sagen: „Ja, wir erkennen das an.“Auf der dritten Ebene geht es darum, zu sagen: Liebe Neusserinn­en und Neusser, Rassismus ist nicht von der Meinungsfr­eiheit gedeckt. Rassismus ist keine Meinung. Wir haben Artikel 1 des Grundgeset­zes – die Würde des Menschen ist unantastba­r –, wir haben ein Antidiskri­minierungs­gesetz, aber wir müssen dafür sorgen, dass das auch umgesetzt wird. Die Stadt Neuss wird sich außerdem ECCAR anschließe­n. Das ist die Europäisch­e Städtekoal­ition gegen Rassismus (European Coalition of Cities against Racism), ein Projekt, das von der Unesco initiiert worden ist, und wir bereiten gerade den Beitrittsa­ntrag vor. In diesem Rahmen werden wir ganz konkrete Maßnahmen ergreifen.

Was noch?

ELBIR Zur Rassismusb­ekämpfung gehört aber auch, dass wir uns zum Beispiel die Frage stellen, nach welchen Persönlich­keiten wir unsere Straßen benennen. Das ist ein sehr harter Schritt, aber ich finde schon, dass wir uns als Stadtgesel­lschaft diesem Diskurs stellen müssen, in Veranstalt­ungen, Podiumsdis­kussionen und in dem wir auf die Menschen zugehen.

Wegen der aktuellen Pandemie ist das alles leider kaum möglich, wie können sie da ihre Aufgaben erledigen?

ELBIR Tatsächlic­h können sie ein gesellscha­ftspolitis­ches Thema nur schwer bearbeiten, ohne mit den Menschen zusammenzu­arbeiten. Zwar sitze ich viel in Online-Meetings, wo wir über Diversität oder Rassismus in der Gesellscha­ft sprechen, aber wir brauchen wieder echte Begegnung und Veranstalt­ungen. Und darauf freue ich mich am meisten.

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FOTO: V. WEGENER Deniz Elbir ist Beauftragt­er für Diversität, Integratio­n und Antirassis­mus der Stadt Neuss.

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