Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Wer zu viel will, hat am Ende gar nichts
Handball-Zweitligist TSV Bayer Dormagen trotzt gegen Ferndorf mit bewundernswerter Moral und gehöriger Pfiffigkeit seinen gravierenden Personalproblemen, verspielt aber in fast schon fahrlässiger Art und Weise das Unentschieden.
DORMAGEN „Hätte, hätte, Fahrradkette.“Ja, hätte Dusko Bilanovic kurz vor Schluss doch nur noch eine Auszeit zur Verfügung gehabt. „Dann hätte ich den Jungs noch mal gesagt, sie sollen es ruhig angehen lassen. Der Punkt ist okay“, bemerkte der Trainer des Handball-Zweitligisten TSV Bayer Dormagen in der Nachbetrachtung der ganz und gar unnötigen 26:27-Niederlage (Halbzeit 13:14) gegen den TuS Ferndorf.
Doch nach dem Pfostentreffer des eher glücklos agierenden Ex-Neussers Christopher Klasmann 30 Sekunden vor dem Ende ging Ian Hüter, seinem Naturell entsprechend, „All in“– und scheiterte. Mit noch zwölf Sekunden auf der Spieluhr gelangte der Ball statt zu Pascal Noll zu Ferndorfs torgefährlichem Rechtsaußen Josip Erens, dessen erfolgreicher Abschluss den Gästen einen für sie, so Bilanovic, zwar extrem glücklichen, aber nicht unverdienten Auswärtssieg bescherte. Und so landete die Partie in der Ablage nicht unter M wie „Magier“, für die Bereitschaft Bilanovics, ganz tief in die Trickkiste zu greifen, sondern unter D wie „Dumm gelaufen“.
Dabei wäre die Geschichte eigentlich perfekt gewesen: Die eh schon ohne vier Akteure aus der bewährten Stammformation ( Juzbasic, Senden, Meuser, Reuland) angetretenen Hausherren verlieren vor der Pause in Benni Richter auch noch ihren bis dahin gemeinsam mit Torhüter Sven Bartmann (u.a. drei gehaltene Siebenmeter) besten Mann. Den 30-Jährigen holten alte Problemen im linken Knie ein. „Da reiben irgendwie Knochen aneinander, daran werde ich mich nach dieser Saison auch operieren lassen“, verriet der Techniker, der fortan nur noch für die Siebenmeter (3/3) aufs Spielfeld kam.
Doch sein Team bleibt dran – und es gelingt sogar ein verrücktes Comeback just in dem Moment, als alles verloren scheint. Nach zwei verheerenden Fehlern der in Unterzahl agierenden Gastgeber im Angriff trägt Josip Eres denn Ball zweimal hintereinander zur Drei-Tore-Führung (19:16/43.) der Siegerländer in den leeren Kasten. Doch jetzt greift Bilanovic zum als mögliche Reaktion auf die argen Personalprobleme schon vor dem Match ersonnenen Plan B: Er stellt im Rückraum zunächst den in dieser Saison bislang nur sporadisch eingesetzten Linksaußen Pascal Noll (1,79 Meter) an die Seite von Ian Hüter und Ante Grbavac, kurz darauf folgt auch Rechtsaußen Marcel Görgen. „Ich dachte mir, wenn es ihnen im Training gelingt, eine Abwehr in Bewegung zu bringen, müsste das auch gegen die 6:0-Deckung der Ferndorfer klappen“, erklärt ihr Coach. Von der Idee zur Tat: In der ungewöhnlichen Formation Tim Mast, Jakub Sterba, Patrick Hüter, Ante Grbavac, Pascal Noll, Ian Hüter (Marcel Görgen) dreht Dormagen die Partie, geht nach Treffern von Richter (Siebenmeter), Ian Hüter (2), Sterba und Patrick Hüter bis zur 46. Minute sogar mit 21:19 in Führung.
Doch in der Schlussphase leistet sich der TSV einfach zu viele Fehler: Haarsträubend, wie Sterba nach einem „Steal“von Aron Seesing die Kugel einfach wegwirft und damit geradezu fahrlässig die Chance zum 27:25 (58.) vergibt. Nach der letzten Auszeit 1:46 Minute vor dem Abpfiff, in der Bilanovic seinen Schützlingen unmissverständlich klarmacht, in erster Linie den einen Punkt abzusichern, läuft sich Grbavac in der Abwehr fest, der anschließende Freiwurf kommt wegen eines Regelverstoßes gar nicht mehr zur Ausführung (59.). „Wenn wir nur ein bisschen schlauer und ruhiger geblieben wären ...“, haderte Bilanovic. „Die technischen Fehler haben uns plattgemacht!“
Die famose Leistung seiner personell geschwächten Truppe, die in dieser Formation ziemlich sicher nie wieder auflaufen dürfte, wusste er jedoch trotz des kolossalen Bocks beim letzten Angriff zu würdigen. „Die Jungs haben toll gekämpft, ich kann ihnen keinen Vorwurf machen.“ Verdientes Lob strichen auch die zuvor nur ganz selten über Statistenrollen hinausgekommenen Noll und Görgens ein: „Pasi und Moritz waren mutig und schnell auf den Beinen.“Auch darum mochte Richter diese Niederlage nicht auf die vielen Ausfälle schieben. „Man hat ja heute gesehen, wie viel Qualität wir im Kader haben. Letztlich haben mehrere Kleinigkeiten den Ausschlag gegeben.“Ähnlich sah das auch Ferndorfs von 1992 bis 1995 als Spieler in Dormagen tätiger Trainer Robert Andersson: „So sehr wir uns über diesen Sieg freuen, wir wissen, das hätte genauso gut andersherum ausgehen können.“
Weil das Gastspiel am Samstag in Großwallstadt wegen Corona ausfällt, haben die Dormagener nun bis zum 7. Mai und dem Heimspiel gegen Fürstenfeldbruck Zeit, ihre angeschlagenen Akteure wieder an Bord zu holen.