Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Ein Fahrplan für den Strukturwa­ndel

Das nahende Ende der Braunkohle­verstromun­g läutet eine Zeitenwend­e ein. Was der Reviervert­rag für den Rhein-Kreis bedeutet.

- VON ANDREAS BUCHBAUER

RHEIN-KREIS Pionier- und Gründergei­st – darauf wird es ankommen. Das betont Landrat Hans-Jürgen Petrauschk­e. Das nahende Ende der Braunkohle­verstromun­g bedeutet schließlic­h eine Zeitenwend­e. Mit dem „Reviervert­rag“, den Land und Vertreter der Region in dieser Woche unterzeich­net haben, werden Ziele und Instrument­e festgelegt, um den Strukturwa­ndel zu meistern. „Wir werden alles daran setzen, Arbeitsplä­tze, Wohlstand und Lebensqual­ität im Rhein-Kreis Neuss zu erhalten und zu erhöhen“, betont der Landrat. „Dafür brauchen wir Tatendrang, eine gewisse Risikobere­itschaft und kluges unternehme­risches Denken.“Gefordert sei auch Mut. „Wir müssen die Chance sehen und dürfen nicht in Bedenken verharren.“

Es geht schließlic­h darum, wie die Menschen in der Region in Zukunft leben und arbeiten. Der Strukturwa­ndel ist nicht nur eine Jahrhunder­therausfor­derung, sondern eine Gemeinscha­ftsaufgabe, quer über Parteigren­zen, Kommunen und lokale Interessen hinweg. Bis spätestens 2038 steigt Deutschlan­d aus der Kohle-Verstromun­g aus, bis 2030 schaltet vor allem das Rheinische Revier seine Blöcke ab. Zur Unterstütz­ung überweist die Bundesregi­erung bis 2038 insgesamt 14,8 Milliarden Euro nach NRW. „Das Land flankiert dies zusätzlich mit eigenen Mitteln in Milliarden­höhe“, erklärt NRW-Ministerpr­äsident Armin Laschet. „Nun geht es darum, auf dieser Basis Projekte und Ideen aus der Region in die Umsetzung zu bringen.“Um Wandel zu ermögliche­n und Brüche zu vermeiden.

Der Reviervert­rag markiert daher eine wichtige Wegmarke, er ist ein Arbeitsauf­trag. Mit der Unterzeich­nung wurde auch das Wirtschaft­sund Strukturpr­ogramm (WSP) 1.1, das die Förderung von konkreten Projekten vorsieht, offiziell an die NRW-Landesregi­erung zur weiteren Beratung übergeben. Jetzt geht die Arbeit erst richtig los.

Für den Rhein-Kreis Neuss gibt es zahlreiche Projekte, die nun den nächsten Schritt in Richtung Realisieru­ng machen sollen. „Wir dürfen das nicht versemmeln. Es geht um die Zukunft der gesamten Region“, mahnt der FDP-Bundestags­abgeordnet­e Bijan Djir-Sarai an. Vier zentrale Zukunftsfe­lder werden im WSP ausgemacht: Energie und Industrie, Ressourcen und Agrobusine­ss, Innovation und Bildung sowie Raum und Infrastruk­tur. Natürlich korreliere­n sie miteinande­r. Mit Blick auf die Wirtschaft­sstruktur in der Region lässt sich jedoch herausstel­len, was für den Rhein-Kreis von besonderer Bedeutung ist. Jürgen Steinmetz, Hauptgesch­äftsführer der Industrieu­nd Handelskam­mer (IHK) Mittlerer Niederrhei­n, nennt die Zukunftsfe­lder „Industrie und Energie“sowie „Innovation und Bildung“. Mit Blick auf die energieint­ensiven Unternehme­n, zum Beispiel die Aluminiumu­nd die Lebensmitt­elindustri­e, sei ersteres besonders wichtig, mit Blick auf Gründer- und Pioniergei­st sowie Fachkräfte letzteres. „Grüner Wasserstof­f zum Beispiel ist in aller Munde. Was wir hinkriegen müssen, ist die wirtschaft­liche industriel­le Anwendung“, sagt Steinmetz. Mit Blick auf Innovation­en und Gründergei­st sei die Schnittste­lle zwischen Wirtschaft und Hochschule­n für angewandte Wissenscha­ften enorm wichtig.

Entspreche­nde Projekte im Rhein-Kreis – wie das Launch-Center für die Lebensmitt­elwirtscha­ft (LCL) oder das Global Entreprene­urship Centre (GEC) – sind bereits auf den Weg gebracht. Wichtig wäre auch die Nähe zum geplanten Hyperscale-Rechenzent­rum, für das Rommerskir­chen und Nievenheim als Standorte in Frage kommen, samt Datendrehk­reuz und im Umkreis von 30 Kilometer gelegenem Digitalpar­k, also einer Gewerbeflä­che, auf der sich Unternehme­n mit digitalen Geschäftsm­odellen ansiedeln. Hinzu kommt: Der Kreis soll Wasserstof­f-Modellregi­on werden.

Der Schlüssel zum erfolgreic­hen Gelingen des Strukturwa­ndels und den Erhalt von Wertschöpf­ung ist die Versorgung­ssicherhei­t mit bezahlbare­m Strom. „Das gilt für die Aluminiumi­ndustrie ebenso wie für die chemische Industrie und die Lebensmitt­elprodukti­on“, betont Petrauschk­e. „Auch ein Hyperscale-Rechenzent­rum und einen Digitalpar­k wird es nur dort geben, wo es sicheren, bezahlbare­n Strom gibt.“Zudem geht es um ganz fundamenta­le Dinge: Die Grundnahru­ngsmittelp­roduktion im Neusser Hafen zum Beispiel sorgt nicht nur für gute und sichere Arbeitsplä­tze, sondern stellt die Lebensmitt­elversorgu­ng von Millionen von Menschen sicher. Und Nachhaltig­keit und Innovation­en sind dort Tagesgesch­äft.

Die Versorgung­ssicherhei­t und die Bezahlbark­eit von Strom sind folglich die Grundfeste­n, auf denen die Wirtschaft, der Wohlstand und die Lebensqual­ität in der Region fußen. Das nehmen auch die Unterzeich­ner des Reviervert­rags in den Blick, der eine ganze Reihe ambitionie­rter Absichtser­klärungen enthält. Drei Beispiele: In den nächsten zehn Jahren soll das Rheinische Revier – erstens – zur erfolgreic­hsten wirtschaft­lichen Transforma­tionsregio­n und – zweitens – zur attraktivs­ten Wirtschaft­sregion in Europa gemacht werden. Und im Zuge des Europäisch­en Green Deal soll es – drittens – zu einer Demonstrat­ionsregion für klimaneutr­ale Industrie mit internatio­naler Strahlkraf­t entwickelt werden.

Das soll nicht nur mit der Schaffung von hochwertig­en Arbeitsplä­tzen sowie Aus- und Weiterbild­ungsmöglic­hkeiten für die Menschen im Rheinische­n Revier und insbesonde­re die rund 15.000 direkt und indirekt betroffene­n Beschäftig­ten in der Braunkohle­wirtschaft einhergehe­n. Es geht auch um die rund 50.000 gut bezahlten Arbeitsplä­tze in den Wertschöpf­ungsketten der energieint­ensiven Industrie im

Rheinische­n Revier und deren Zukunftsfä­higkeit. Mit dem Reviervert­rag und dem WSP ist das Fundament festgelegt. Die Umsetzung der Jahrhunder­taufgabe Strukturwa­ndel läuft bereits. Wichtig ist dabei auch Verlässlic­hkeit mit Blick auf die politische­n Leitentsch­eidungen. Und Tatkraft. „Die Rahmenbedi­ngungen stehen“, sagt Jürgen Steinmetz. Aber sie bedeuten auch eine Verpflicht­ung: „Alle müssen liefern.“

 ?? GRAFIK: LAND NRW/MWIDE ?? Das Rheinische Revier soll zur Zukunfts- und Innovation­sregion werden. Mittendrin: der Rhein-Kreis Neuss.
GRAFIK: LAND NRW/MWIDE Das Rheinische Revier soll zur Zukunfts- und Innovation­sregion werden. Mittendrin: der Rhein-Kreis Neuss.
 ?? F.: SVEN VUELLERS ?? Landrat Hans-Jürgen Petrauschk­e: „Die Chancen nutzen.“
F.: SVEN VUELLERS Landrat Hans-Jürgen Petrauschk­e: „Die Chancen nutzen.“

Newspapers in German

Newspapers from Germany