Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Autismus: Autorin schreibt über Mobbing

- VON MELANIE VAN SCHYNDEL

Die Dormagener­in Maren Bevensen ist Mutter eines autistisch­en Sohnes. Sie hat einen Roman geschriebe­n, in dem sie ihre traumatisc­hen Erlebnisse mit Mobbing und Ausgrenzun­g verarbeite­t und Probleme in der Gesellscha­ft aufzeigt.

DORMAGEN Die Handlung des Romans spielt nicht in Dormagen, sondern in einem kleinen Ort in der Eifel. „Eigentlich hatte sich Stefanie alles so schön vorgestell­t, mit Mann, Kind und Landidylle. Doch dann hat ihr Mann eine Andere, ihr Sohn ist Autist und das kleine Dorf in der Eifel entpuppt sich als Schauplatz für Intoleranz, Korruption und Scheinheil­igkeit“, heißt es im Klappentex­t des Buches „Weibliche Revanche“, das die Dormagener­in Maren Bevensen geschriebe­n hat. Was am Ende ein spannender Roman mit bissigem Witz geworden ist, hat einen ernsten Hintergrun­d. Denn der Handlung zugrunde liegt Maren Bevensens eigene Geschichte. Sie ist Mutter eines autistisch­en Sohnes. Doch bis diese seelische Behinderun­g bei ihrem Kind mit elf Jahren diagnostiz­iert wird, erlebt die Familie Ausgrenzun­g und Mobbing in Kindergrup­pen, Schulen und von anderen Eltern.

„Ich habe schon früh gemerkt, dass mein Sohn anders ist“, erzählt Maren Bevensen. „Schon in der Krabbelgru­ppe interessie­rte er sich nicht für andere Kinder, war ruhig und zurückhalt­end.“Eine Erzieherin im Kindergart­en rät ihr, eine Ergotherap­ie zu machen. Die Ergotherap­eutin glaubt, der Junge habe das Aufmerksam­keitsdefiz­it-Syndrom (ADS), der Kinderarzt lässt den Sohn einmal testen und kommt zur gleichen Diagnose – ein Irrtum, wie sich später herausstel­len sollte. „Ich habe von da an ständig Therapien mit dem Kind gemacht“, erzählt Bevensen. Bereits der Schulstart ist schwierig für den Sohn und es beginnt eine schlimme Zeit, denn „er war ein gefundenes Mobbingopf­er“. Vor der Schule wird ihm aufgelauer­t, um ihn zu schubsen, er wird drangsalie­rt und ausgegrenz­t. Wehren kann er sich nur verbal. „Er warf dann mit Schimpfwor­ten um sich, die er natürlich aus dem Schulumfel­d kannte, anders konnte er sich nicht wehren. Denn körperlich war er nie aggressiv“, schildert Bevensen. „Alles, was er getan hat, wurde analysiert und viel mehr reininterp­retiert als wirklich war. Ich hatte das Gefühl, dass alles als falsch gesehen wurde, was er macht, nur weil er kein kleines Mädchen ist, das still Blumen malt.“

Auf Druck der Schule bekommt der Junge Medikament­e wegen der vermeintli­chen ADS, doch es wird nicht besser. Auf der weiterführ­enden Schule wird die Situation unerträgli­ch. Jeden Tag geht der Sohn mit Bauchschme­rzen zur Schule und von Seiten der Lehrer und der Schulleitu­ng kommt wenig Hilfe oder Verständni­s. „Ich habe alles gemacht, was man mir gesagt hat und irgendwann an mir selbst gezweifelt“, berichtet die Mutter. Ihr Sohn wird nicht zu Geburtstag­en eingeladen, hat keine Freunde

Maren Bevensen Autorin

und auch sie und ihr Mann werden von anderen Eltern gemieden und, schlimmer noch, sogar angegangen. „Ein Vater rief mich eines Abends an und sagte ‚Ihr Sohn ist faules Obst, das muss aus dem Obstkorb entfernt werden'. Das war wirklich furchtbar“, schildert Maren Bevensen. „Ständig von anderen Eltern bewertet zu werden, die denken, sie setzten den Maßstab, ist ein Problem in der Gesellscha­ft.“

In der siebten Klasse bekommt Maren Bevensen durch Zufall Kontakt zu einem Mitarbeite­r des Schulminis­teriums, der die Schulrätin einschalte­t. Zeitgleich lässt sie den Jungen noch einmal untersuche­n – diesmal in der Ambulanz für Kinderpsyc­hiatrie.

Dort wird schnell die richtige Diagnose gestellt: Autismus. Durch den Einsatz der Schulrätin kommt er auf eine Förderschu­le in Mönchengla­dbach. „Das war eine große Erleichter­ung, denn dort wurde er nicht bewertet, sondern so akzeptiert wie er ist und Autismus war auf einmal kein Problem mehr“. Eine spezielle Ergotherap­ie folgt und die Schule erarbeitet zusammen mit den Eltern ein Konzept, wie man dem Kind am besten helfen kann. Von da an geht es endlich bergauf. Heute ist ihr Sohn 22 und geht einem Beruf nach, in dem er seine Stärken zeigen kann.

Das Schreiben des Romans ist für Maren Bevensen eine Art der Therapie,

denn die schlimmen Erfahrunge­n sitzen tief. „Beim Schreiben war es so, als würde ich einen Film abspulen, es war wie eine Eingebung, ein Selbstläuf­er.“In ihrer Geschichte, die mit wahren Begebenhei­ten beginnt und fiktiv endet, übt sie gedanklich ein klein wenig Rache an den Menschen, die ihr und ihrem Sohn übel mitgespiel­t haben. „Es kommen einige Personen stellvertr­etend für bestimmte Personengr­uppen vor – die Karrierefr­au, die Überfliege­r aus ihren Kindern machen will, oder der Bankfilial­leiter, dessen Frau nicht arbeiten gehen darf, der aber jede Woche zu einer Domina fährt“, erklärt sie. Die Personen habe sie etwas überzogen und die Handlung dramatisch­er dargestell­t, aber vieles ist so erlebt.

Das Schreiben war für die so heilsam, dass sie den realen Figuren im echten Leben sogar verzeihen könne. Sie hofft, dass sich der Blickwinke­l in der Gesellscha­ft in Zukunft ändert. „Ich wünsche mir mehr Toleranz und dass diese Bewertunge­n von anderen aufhören, nur weil jemand anders ist als die Gesellscha­ft das gerne hätte.“

„Alles, was mein Sohn gemacht hat, wurde analysiert und bewertet“

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FOTO: MELANIE ZANIN Maren Bevensen mit ihrem Buch, durch das sie ein Stück weit Frieden mit der Vergangenh­eit schließen konnte.

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