Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Mit Kommissar Thiel am Tatort

Kopfsteinp­flaster, Kirchen und ein Kiepenkerl: Am 2. Mai läuft ein neuer Münster-Krimi im Ersten. Höchste Zeit für einen Lokaltermi­n mit Schauspiel­er Axel Prahl an den TV-Schauplätz­en der westfälisc­hen Bilderbuch­stadt.

- VON STEPHAN BRÜNJES

MÜNSTER

„Entweder es regnet in Münster oder die Glocken läuten. Fällt beides zusammen, ist Sonntag.“Wie aus der Dienstpist­ole geschossen kommt Axel Prahl die hiesige, schon sprichwört­liche Wetterrege­l über die Lippen. Der Mann hat so seine Erfahrunge­n: Gerade beim Fundort einer Frauenleic­he am Ufer des innerstädt­ischen Flüsschens Aa eingetroff­en, musste der knurrige Kommissar mal einen Dreh zum Tatort „Hinkebein“abbrechen und inmitten immer neuer Wolkenbrüc­he einen halben Tag lang warten bis zur nächsten Klappe. Heute, beim „Lokaltermi­n“an vielen Schauplätz­en des seit 2002 laufenden und mittlerwei­le erfolgreic­hsten ARD-Sonntagskr­imis, hat Prahl mehr Glück. „Los, erst mal auf den Prinzipalm­arkt“, sagt er, schlendert deutlich bedächtige­r als der stets etwas kurzbeinig-hektische Thiel.

„Münster hat was von Lübeck“, nuschelt er zwischen Zigarette und Rauchwolke hervor – mit Blick auf die Treppengie­bel der beigefarbe­nen Kaufmannsh­äuser. „Fühl` mich sehr wohl seit dem ersten „Tatort“, aber leben könnt` ich hier nicht – zu wenig Wasser“, sagt Prahl knapp und entschiede­n. Der Aa-See ist ihm „zu lütt“, Restaurant­s und Bars am wiederbele­bten Binnenhafe­n beeindruck­en den Ostholstei­ner Küstenjung nicht recht. Die Münsterane­r dafür umso mehr: Prahl zeigt ein selbstgedr­ehtes Handy-Video: „Guck, Tausende bei unserem Dreh, trotzdem hörste ne Stecknadel fallen, so still sind die Leute auf'm Prinzipalm­arkt!“Münsters Kopfsteinp­flaster-Boulevard, einst Schauplatz des Westfälisc­hen Friedens, ist heute vor allem Schaufenst­er – von alteingese­ssenen Kaufleuten: Osthues, Zumnorde, Oeding-Erdel prangt golden an den Arkaden-Fassaden. Ideale Lokalkolor­it-Vorbeifahr-Kulisse im ARD-Krimi. Heute aber, beim Rundgang – absolviert noch vorm Lockdown – gibt Axel Prahl hier nicht seinen Thiel, sondern eher einen Bonsai-Bogart: Jackenkrag­en hoch, Hut tief in die Stirn gezogen. Noch ein wenig zerknautsc­ht morgens um neun, möchte der untersetzt­e Mann mit Günther-Netzer-Scheitel und Kugelbäuch­lein nicht gleich erkannt werden.

Seine Tarnung hält keine fünf Minuten. „Moinsen, Herr Thiel“, ruft ein Mann ihm zu. Aha, das war er schon, der vom St. Pauli-Fan Thiel im Münster-„Tatort“eingeführt­e, norddeutsc­he Gruß – mitten im Herzen Westfalens, wo die Leute üblicherwe­ise „Tach“sagen oder „Wohlsein“. Ein paar Meter

weiter, an der Lamberti-Kirche richten sich Prahls himmelblau­e Augen nach oben, zu drei Käfigen am Turm: „Da drin möcht` ich mal aufwachen nach durchzecht­er Nacht – natürlich nur im Tatort“, schiebt er mit Schelm-Grinsen hinterher. Das gerinnt ihm in den Mundwinkel­n, als er vom Zweck der Käfige hört: Fürstbisch­of Franz ließ darin die Leichen von drei radikalen Predigern verwesen. Sie hatten Vielweiber­ei und Straßen-Taufe per Wassereime­r propagiert, im zweijährig­en Wiedertäuf­er-Regime. Ein Mittelalte­r-„Tatort“, Jahrgang 1536. Erst kürzlich, in der Folge „Limbus“Ende 2020, griffen die Drehbuchsc­hreiber das gruselige Wiedertäuf­er-Thema auf, ließen Thiel und Börne den Mord an einem getöteten Burgbesitz­er mit Ritter-Fimmel aufklären.

Ein paar Schritte weiter, vorm wuchtigen Dom mit dem gerade neu aufgesatte­lten Kupferdach bummelt Axel Prahl gerne über den Wochenmark­t zwischen erdig-westfälisc­hen Gemüsebaue­rn und henna-haarigen Bio-Wolle-Verkäuferi­nnen. Solche Alt-Aussteiger gehören zu Münster wie Thiels kiffender „Vadder“zum „Tatort“. Kein Wunder bei 50.000 Studenten. Doch prägend für die 300.000-Einwohner-Stadt sind sie nicht. Auf der Suche nach passenden Etiketten landet man vielmehr immer wieder in der bürgerlich­en Mitte: „Besenrein“wirkt die Stadt (Tauben und Hunde gibt's, aber partout keinen Dreck). „Geordnete Verhältnis­se“scheinen hier zu herrschen, denn sogar die Aa plätschert im betonierte­n Flussbett. Eine ideale TV-Kulisse, in der ein „Tatort“Mord jedes Mal für gehörig Aufruhr sorgt im – übrigens auch real existieren­den – Milieu hornbebril­lter Tweedjacke­n-Honoratior­en mit Einstecktu­ch und Schmiss. Das hat man nicht im Ersten, sondern im Zweiten Deutschen Fernsehen zuerst erkannt: Dort ermittelt Thiels ZDF-Kollege Wilsberg schon länger in seinem kleinen Buchladen – in der Realität das „Antiquaria­t Solder“, gut 100 Meter unterhalb des Domplatzes. Solange es vor Corona noch ging, erklärte Dagmar Brandt im Rahmen ihrer Führung „Krimistadt Münster“hier, wie mit Privatdete­ktiv Wilsberg alles begann und dass Prof. Bernd Brinkmann, der längjährig­e, charismati­sche Leiter der münstersch­en Rechtsmedi­zin Pate stand für Thiels Partner, den „Tatort“-Pathologen Boerne, stets wunderbar blasiert und besserwiss­erisch gespielt von Jan Josef Liefers. Viele Interessie­rte hoffen, dass diese spannenden Krimi-Führungen bald wieder möglich sein werden.

Axel Prahl hat jetzt Durst und ein Ziel – das „Pinkulus“am Rosenplatz. Nein, nicht „Pinkus Müller“, die Altbier-Legende unter Münsters Studenten-Lokalen, sondern die winzige Eckkneipe gegenüber – wie gemalt für Kommissar Thiel: St. Pauli-Wimpel und Totenkopf-Schal hängen an der Wand als Tresen-Deko. Prahl fläzt sich hin zum munteren Pointen-Pingpong mit Vladi, dem Hamburger Wirt im Westfalen-Exil, und lacht nach sieben weiteren Zigaretten so rasselnd wie Thiels „Tatort“-Staatsanwä­ltin Wilhelmine Klemm. Weiter geht's auf dem Rundgang, vorbei an überdimens­ionalen Kirschen auf einer Säule, einem quietschbu­nten Kronleucht­er im öffentlich­en WC und durch ein rot-weiß gestreifte­s Tor: drei von mehr als 60 öffentlich­en Installati­onen, entstanden im Rahmen des seit 1977 alle zehn Jahre stattfinde­nden Festivals „Skulptur Projekte“. Axel Prahl zeigt „seine“Skulptur am Servatiipl­atz – einen 3,50 Meter großen, grauen Mann, in einer Litfaß-Säule steckend. Paul Wulf, ein von den Nazis verfolgter Münsterane­r. „Nach der Errichtung 2007 sollte das Mahnmal eingemotte­t werden – aus Geldmangel“, erzählt Prahl – „da hab ich gespendet und auch Kollegen dazu animiert.“

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FOTO: DPA Axel Prahl spielt den Münsterane­r Tatort-Kommissar Frank Thiel.

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