Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Die Deutschen tun sich schwer mit dem Abschied vom Bargeld
Ein Blick nach Schweden zeigt, dass es auch ohne Münzen und Scheine geht. Dort gibt es bald die E-Krone. Hierzulande will jeder Zweite Bares nicht missen.
STOCKHOLM Eigentlich müsste kontaktloses Zahlen gerade in Coronazeiten besonders beliebt sein. Das haben sich auch viele Geschäfte in Deutschland gedacht und bieten in der Pandemie verstärkt Karten- und Smartphonezahlung an. Doch das kam nicht so gut an wie gedacht. Laut einer aktuellen Umfrage unter 9000 Personen im Auftrag des schwedischen Bezahldienstes Klarna bleiben die Deutschen – auch in der Pandemie – Europas Kreditkartenmuffel. Während in Norwegen 60 Prozent, in Finnland 70 Prozent und in Schweden gar 72 Prozent der Kunden beim Einkaufen lieber mit Karten bezahlen, sind es in Deutschland gerade einmal 38 Prozent. Fast jeder zweite Deutsche zahlt demnach immer noch am liebsten wie in den vergangenen Jahrhunderten: mit Scheinen und Münzen. Auch Bezahlen per Smartphone ist bei den Deutschen nicht sehr belibt. Nur sieben Prozent der Frauen und zehn Prozent der Männer nutzen diese Möglichkeit.
In Schweden bietet sich ein ganz anderes Bild. Hier stirbt das Bargeld fast gänzlich aus. In immer mehr Geschäften steht an der Kasse „inga kontanter“(„kein Bargeld“). Mehr als die Hälfte aller Bankfilialen hat überhaupt kein Bargeld mehr im Bestand. Smartphone-Apps ersetzen Zahlungen mit Scheinen und Münzen – selbst auf dem Flohmarkt, im Nachtklub oder am Kiosk.
Kaum ein europäisches Land scheint in Sachen Bezahlung so praktisch veranlagt zu sein wie Schweden. Bereits 1661 führte das Königreich als erstes Land in Europa
Papiergeld ein. Das war damals eine Revolution, weil Postkutschen plötzlich 50-mal mehr Geld transportieren konnten als noch zu Zeiten der schweren Gold- und Silbermünzen. Nun ist das Bargeld dabei auszusterben. So gut wie überall im Land wird bargeldlos bezahlt. „iZettle“heißt eines der verbreitetesten Kreditkartensysteme für Privatpersonen. Damit gemeint ist eine kleine schwarze Box mit Minidisplay und Passwortknöpfen, an die die Kreditkarte gehalten wird: Es piept einmal, und der Kauf ist durch. Selbst Minisummen, etwa für den Gang auf eine öffentliche Toilette im Einkaufszentrum, werden per Karte bezahlt.
Auch privater Zahlungsverkehr zwischen Freunden geschieht kaum noch in bar. „Ich swishe dir dann die 150 Kronen“, hört man oft im Restaurant, wenn es um die Aufteilung der Rechnung zwischen Bekannten geht. „Swish“, so heißt eine weitere populäre Bezahlapp, die inzwischen fast alle Schweden – ob jung oder alt – nutzen. So wird dann nur noch per SMS über die mit dem Girokonto
verknüpfte Handynummer und ganz ohne Plastikkarte bezahlt. Alle schwedischen Großbanken sind an das System angeschlossen.
Viel Zukunft hat das Bargeld wohl nicht: Zwischen 2030 und 2045 soll es in Schweden fast völlig ausgestorben sein, prognostizieren Experten. Aus mehr als der Hälfte der etwa 1800 Filialen des schwedischen Bankenverbands wurde das Bargeld entfernt. Auch Geldautomaten gibt es seit 2011 immer weniger.
Das wichtigste Argument für den Verzicht auf Banknoten: die Sicherheit. Der bargeldlose Einkauf soll Raubüberfälle verhindern. Zahlreiche Überfälle auf Bankfilialen und Geldtransporte führten dazu, dass die Gewerkschaften bargeldlose Banken forderten. Nach Überfällen auf Stockholmer Busfahrer ließen sie ihre Gäste tagelang umsonst fahren, bis die kommunalen Arbeitgeber Bargeldtickets durch SMS-Tickets ersetzten. 2010 zahlten noch 39 Prozent der Schweden mit Bargeld. Im vergangenen Jahr waren es nur noch neun Prozent.