Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Das fliegende Impfpersonal
Weil die Coronakrise ihre Einsätze in der Luft stark reduziert hat, helfen Flugbegleiter und eine Pilotin im Impfzentrum aus.
NEUSS Sie sprechen von Briefing, wenn sie die Frühbesprechung meinen, nennen das Team, in dem sie eingeteilt sind, ihre Crew, die Impfwilligen heißen Paxe, und auch der Vergleich zwischen dem Ausfüllen der Dokumente für die Impfung und Einreiseformularen ist für sie naheliegend.
Im Impfzentrum des Rhein-Kreis Neuss ist vermutlich keine Berufsgruppe so stark vertreten, wie das fliegende Personal: Wenigstens sechs Flugbegleiter und eine Pilotin sind dort im Dienst der drei Hilfsorganisationen tätig. Die Corona-Krise hat ihre fliegerischen Einsätze stark reduziert, eine Airline fiel der Pandemie bereits zum Opfer und so kommt es zum fliegenden Wechsel zwischen Flugzeugkabine und Impfzentrum.
Sehr zur Freude der Einsatzleiter: „Unser flugerfahrenes Personal ist stressresistent, serviceorientiert, freundlich und zugewandt,“berichtet Tobias Hahn, der als Einsatzleiter für die Johanniter-Unfall-Hilfe
Ralf Klotz Flugbegleiter im Impfzentrum arbeitet. Und das Beste: Den für den Einsatz im Impfzentrum obligatorischen Erste-Hilfe-Kursus bringen die Flieger direkt mit. Mehr als das sogar. Denn durch regelmäßige Emergency-Trainings und medizinische Einsätze über den Wolken sind sie besonders geschult: „Auf einem Langstreckenflug erlitt ein älterer Herr einen Kreislaufzusammenbruch. Wir mussten reanimieren bis wir ihn nach der Landung dem örtlichen Rettungsdienst übergeben konnten“, erzählt Anja Junck aus Reuschenberg, die als Kabinenchefin für die Lufthansa tätig ist und sich zudem im Vorstand der Flugbegleiter-Gewerkschaft UFO engagiert.
Im Impfzentrum werden die Teams für die verschiedenen Stationen, wie Anmeldung oder Überwachung jeden Tag neu zusammengestellt. Ein Vorgehen, dass Laura Schuler auch aus der Flugkabine kennt. „Die Crews an Bord wechseln regelmäßig, so müssen wir uns immer wieder auf neue Kollegen einstellen.“Allerdings: Im Impfzentrum ist die eigentliche Arbeit im Team freier zu gestalten, denn „wenn ich im Flugzeug an dieser einen Türe eingeteilt bin, habe ich dort die Verantwortung für genau die Tätigkeiten, die dort zugeteilt sind“.
Annemarie Bunse ist Pilotin und fliegt als First Officer eigentlich eine Boeing 737-800. Im Impfzentrum ist sie als Impfstoffkurier im Logistikteam tätig und verteilt die Spritzen in die Impfkabinen. Auch dabei ist
Konzentration und Präzision gefragt und die tägliche Routine erinnert sie an das Vorgehen, das sie aus ihrem fliegerischen Alltag verinnerlicht hat: „Im Cockpit arbeiten wir streng nach Checklisten und hier im Impfzentrum sind die Abläufe auch genau festgelegt.“
Für Janina Salzmann steht das Engagement im Kampf gegen die Pandemie im Vordergrund. Die 37-jährige Neusserin hat schon vor ihrer Anstellung im Impfzentrum Corona-Tests von den Flughäfen Düsseldorf
und Köln in ein Labor nach Frankfurt gefahren. Für ihren eigentlichen Arbeitgeber fliegt sie im Moment nur selten: „Maximal ein Einsatz im Monat steht zurzeit in meinem Dienstplan, da bin ich froh, dass ich im Impfzentrum so wichtige Arbeit verrichten kann.“
Der Dienstplan von Ralf Klotz war im letzten Sommer noch recht gut gefüllt: „Griechenland, Kroatien, Spanien – da war ich beschäftigt,“erinnert sich der 53-jährige aus Dormagen. Im Winter hat er Frachtflieger, die Masken oder Corona-Tests aus China und Kasachstan abholten, begleitet, aber seit einigen Monaten ist es sehr ruhig geworden, so dass er sich für den Aushilfsdienst im Impfzentrum gemeldet hat. „Die Arbeit ist absolut vergleichbar mit meinen Tätigkeiten an Bord: Immer da, wo etwas neu ist, sind vor allem ältere Herrschaften sehr aufgeregt und dankbar, wenn ich Hilfestellung geben kann oder einfach beruhigend auf sie einwirke.“
Nicole Ernst wohnt in Korschenbroich und fliegt als „Purser“auf Mittelstreckenflügen. Als Kabinenchefin ist sie für bis zu sechs Kollegen verantwortlich und verteilt vor jedem Flug die Positionen an Bord. Sie bemerkt: „Hier im Impfzentrum kann jede Aushilfe an jeder Position eingesetzt werden. Genau wie im Flugzeug erfordert das eine große Flexibilität des Personals.“Warmwasserziele wie die Malediven, Mauritius oder die Karibik tauscht Angelika Wehrheim derzeit gegen den Einsatz an den Impfstraßen und schätzt den freundlichen und vergnüglichen Umgang unter den Kollegen. „Ich bin dankbar, dass ich hier arbeiten kann und so meinen Teil dazu beitragen kann, dass wir bald alle wieder mehr reisen können.“
Und, wie sollte es anders sein, die Menschen aus dem Rhein-Kreis Neuss, die sich im Impfzentrum impfen lassen, fliegen auf die Flieger: „Ach, das sind Stewardessen,“sagt Christamarie Bölles, die von ihrer Tochter Alexandra zum Termin begleitet wird und zugleich an drei Damen des fliegenden Impfpersonals geraten war, „da fühle ich mich ja gleich wie im Ferienflieger“.
„Die Arbeit ist absolut vergleichbar mit meiner Tätigkeit an Bord“