Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Der Herr der Linien
Wenn es auf den Gleisen und Straßen ein Problem gibt, beginnt für Pascal Schulz in der Leitstelle der DVG die Arbeit.
DUISBURG/DINSLAKEN An seinem Arbeitsplatz hat Pascal Schulz alles im Blick. Sechs Bildschirme mit Zahlen, Tabellen und Grafiken stehen vor ihm auf dem Schreibtisch. Zwölf weitere hängen dahinter an der Wand. Dort sieht er wie Straßenbahnen einfahren, ausfahren, Menschen warten. Und wie im Hinterhof neben seinem Arbeitsplatz Pkw parken. „Das ist hier unten, da stehen unsere Autos“, sagt Schulz. Sechs Menschen sitzen an diesem Morgen insgesamt an den Schreibtischen des Großraumbüros. Alle haben unterschiedliche Aufnahmen auf ihren zwölf Bildschirmen geöffnet. Nur das Bild vom Parkplatz findet sich überall im Raum. „Es kommt manchmal zu Vandalismus, die Kamera ist schon nicht schlecht“, sagt Schulz und lacht.
Schulz hat an diesem Morgen Dienst als „Disponent Straßenbahn“. Hier, in der Leitstelle der Duisburger Verkehrsgesellschaft
(DVG) am Hauptbahnhof, ist er dafür zu- ständig, dass auf den Schienen der Stadt alles sicher abläuft. Wann immer es ein Problem gibt, melden sich die Fahrer bei ihm über Funk. Und Schulz sagt ihnen, was zu tun ist. Oder tut es selbst. „Wenn du gefordert wirst, musst du direkt da sein“, sagt er.
Der 38-jährige gebürtige Rheinhauser arbeitet seit zwölf Jahren bei der DVG. Angefangen hat er als Busfahrer, dann wechselte er zur Straßenbahn, zur Verkehrsaufsicht und schließlich vor zwei Jahren in die Leitstelle. Dort nimmt er je nach Dienst die Funksprüche für Bus, Straßenbahn oder Stellwerk entgegen. Außerdem gibt es in der Leitstelle tagsüber noch zwei Kollegen, die für alles Technische außerhalb der Züge zuständig sind und jemanden für die Informationen auf der Internetseite der DVG.
Am Dienstagmorgen ist Schulz bereits seit 4 Uhr im Dienst. Ein normaler Arbeitstag. Um kurz vor zehn meldet sich eine Straßenbahnfahrerin über Funk. Ihre Warnglocke sei kaputt. Schulz schickt einen Mitarbeiter zu einem der nächsten Bahnhöfe. Vielleicht kann er sie reparieren. Kann er nicht. Schulz ruft im Betriebshof an. Vielleicht kann jemand eine Ersatzbahn bringen. Nein. Schließlich bleibt ihm nichts anderes übrig, als die Bahn am Duisburger Hauptbahnhof austauschen zu lassen. „Das kommt sehr selten vor mit der Warnglocke“, sagt er. Das ist auch schon der größte Vorfall des Morgens. Was sonst noch innerhalb der zwei Stunden vor Frühschicht-Ende reinkommt: Eine kleine Weichenstörung, die schnell behoben ist. Ein Fahrer, der sich erst nicht meldet und dann „hat sich erledigt“in den Funk murmelt. Ein älterer Mann, der über einen Sicherheitsweg an den Gleisen läuft. Drei Fahrer, die alle denselben kaputten Ticketautomaten melden. Bis Schulz eine Durchsage macht: „An der Haltestelle Vierlinden Richtung Hüttenheim ist der FAA kaputt. Das wissen wir schon, ja. Sie brauchen das nicht mehr melden. Danke, Ende und gute Fahrt.“
Nicht alle Dienste sind so wie dieser. Die Bahnen der DVG, die immer noch auf die überfällige Lieferung der Nachfolgemodelle wartet, sind alt. „Gerade jetzt im Sommer mit der Hitze machen die Türen viele Probleme“,
sagt Schulz. Die Mittagsschicht müsse sich oft damit rumschlagen. Freitags im Feierabendverkehr seien es hingegen häufig Unfälle, die die Kollegen auf Trab halten. Und dann gibt es noch so Tage wie Halloween, an denen sogar bestimmte Routen umfahren werden. Sobald es zu Eierwürfen oder anderen Fällen von Vandalismus kommt, werden die DVG-Bahnen umgeleitet.
Es ist gerade das Unberechenbare, das der zweifache Familienvater an seinem Job so mag. „Ich weiß nicht, was auf mich zukommt.
Das macht es für mich aus.“Manchmal passiert in der Schicht nicht viel, dann gibt es wieder einen Tag mit einem Unfall oder der Polizei auf Dauerleitung. Schulz hat auf seinem Telefon dafür einen eigenen Knopf. „Wir müssen gar nicht warten, sind sofort dran“, sagt er.
So ganz kann sich Schulz von seinem Fahrer-Dasein auch heute nicht trennen. Einmal im halben Jahr absolviert er seine „Pflichtfahrt“. Die braucht er, um sich weiter ans Steuer setzen zu können. Manchmal sei das praktisch, wenn zum Beispiel ein Fahrer nach einem
Unfall nicht mehr selber weiterwolle oder -könne. Ganz zurück will er aber nicht. „Schön war das auf jeden Fall, aber ich möchte das hier auch nicht mehr missen.“
Was er nicht vermisst, das ist manch rücksichtsloser Autofahrer oder Zweite-Reihe-Parker. „Das Schlimme ist: Die Leute sind dann nicht einsichtig“, sagt er. Stattdessen würden die Fahrer bepöbelt oder bekämen den Mittelfinger gezeigt. Einmal, damals fährt er noch Bus, erlebt Schulz etwas ganz Skurriles. Vor ihm steht ein Mann auf der Straße. Der Mann trägt nur ein Handtuch und hat ein Messer in der Hand. Schulz ruft die Polizei. Als der Mann auf den Bürgersteig geht, fährt er weiter. „Die Leute wollen ja trotzdem pünktlich ankommen“, sagt er. Was damals los war, weiß er bis heute nicht.