Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Auto oder Bus – wer kriegt hier die Kurve ?
Die Grüne Rebecca Türkis sagt: Die meisten Autos sind überflüssig. Dirk Neubauer (RP) mag sie nicht missen.
Gibt es ein Fortkommen mit dem Öffentlichen Personennahverkehr auf dem Land? Da gehen die Ansichten auseinander. Deshalb treffen sich ÖPNV-Anhängerin Rebecca Türkis, Politikerin der Grünen in Mettmann, und RPRedakteur Dirk Neubauer auf dem Jubiläumsplatz in Mettmann. Dieses Streitgespräch ist Auftakt einer Serie – bis zum 10. September beleuchtet die Rheinische Post den Themenschwerpunkt ÖPNV.
Dirk Neubauer Zugegeben, es gibt viele Staus und billig ist ein Auto nicht. Aber es trägt mich zuverlässig und jederzeit von A nach B. Ich sitze bequem. Und höre Musik. Gerade im Umland großer Städte möchte ich auf einen eigenen Wagen nicht verzichten.
Rebecca Türkis Ich fahre seit der vierten Klasse mit Bussen und Bahnen. Und habe noch nie ein Auto nur für meinen alleinigen Gebrauch besessen. Mein Punkt ist: Wenn wir die Klimakrise noch bewältigen wollen, müssen wir Mobilität neu denken. Seit den 1950er Jahren wurden unsere Städte ausschließlich für den Autoverkehr optimiert. Viele Kosten des Autos wie die Luftverschmutzung, die Lärmbelästigung, das Mikroplastik und die Abnutzung der Straßen tragen nicht die Autofahrer, sondern die Allgemeinheit.
Neubauer Einspruch! Ein Großteil der staatlichen Einnahmen aus KfzSteuer und Mineralölsteuer fließen ja gar nicht in den Erhalt von Straßen und Autobahnen – also in die Verkehrsinfrastruktur, sondern retten dem Bundesfinanzminister die Einnahmenseite. Aber lassen sie uns hier kein Finanzseminar halten.
Türkis Dass Sie von den Kosten wegkommen wollen, kann ich verstehen. Für einen Kleinstwagen müssen Menschen monatlich rund 600 Euro aufwenden. In dieser Summe ist alles enthalten – Benzin, Steuern, Versicherung, Wartung, Verschleiß, Wertverlust. Nur weil viele ausschließlich auf die Benzinquittung gucken, scheint das Auto viele Jahre billig gewesen zu sein. Momentan
gilt auch das nicht. Und es ist sowieso ein Trugschluss. Für ein Mittelklasseauto werden monatlich 800 bis 900 Euro fällig. Viele Menschen gehen arbeiten, um sich ein Auto überhaupt leisten zu können. Und brauchen ein Auto, um zur Arbeit zu kommen. Aus diesem Teufelskreis müssen wir raus.
Neubauer Und kommen dann aber nicht mehr vom Fleck. Abseits der Hauptstrecken und der Hauptverkehrszeiten brauche ich mehrere Stunden, um mit Bussen im Kreis Mettmann an mein Ziel zu kommen.
Türkis Dieses Totschlagargument ist mir zu simpel. Laut einer Untersuchung der Allianz Pro Schiene haben fast 99 Prozent der Einwohner im Kreis Mettmann eine Haltestelle im Umkreis von acht bis zehn Fußminuten um ihre Wohnung herum. Grundsätzlich sind wir gut angebunden. Aber natürlich weiß ich auch, dass manchmal hohe Hürden da zu sein scheinen. Neulich wollte meine Tochter an einem Sonntag mit Freunden per Bus von Mettmann zum Freibad nach Heiligenhaus. Die VRR-App zeigte eine furchtbar komplizierte Fahrtroute an, bei der sie eine Stunde und 25 Minuten lang unterwegs gewesen wäre. Das liegt aber an der Programmierung der App. Ich habe dann per Google Maps eine Bushaltestelle in der Nähe des Freibads Heiligenhaus herausgesucht – und plötzlich ging es auf direkten Weg in 33 Minuten dahin.
Neubauer Wenn man Spaß an solcher Detektivarbeit hat. Ich hätte einfach mein Navi programmiert und wäre losgefahren. Anderes Beispiel: Ratssitzung in einer Schulaula im Nord-Westen von Mettmann. Um 21.15 Uhr endet der öffentliche Teil. Wie soll ich dann nach Hause kommen?
Türkis Für den innerstädtischen Verkehr nehme ich das Fahrrad. Damit würden sie zum Jubiläumsplatz oder einer Haltestelle der Regiobahn fahren und hätten dann wieder alle Möglichkeiten. Wenn Menschen bereit sind, mit der Abkehr vom Auto ihre Routinen zu ändern, geht viel mehr als man denkt. Aber ich bin nicht blauäugig: In Mettmann funktioniert der ÖPNV tagsüber sehr gut. In Randlagen und zu Randzeiten brauchen wir engere Takte. Oder – besser noch – einen ÖPNV auf Abruf, On-Demand. Den würden sie zu 21.15 Uhr zur Schule bestellen. Es käme ein Kleinbus – in Düsseldorf gehen nächstes Jahr Sechssitzer an den Start – und würde genau die Lücke schließen. So etwas fehlt uns zurzeit noch.
Neubauer Ich habe das Auto ja nicht nur zum Spaß. Sondern auch, um damit schwere Dinge transportieren zu können. Zum Beispiel den Wochenendeinkauf. Seit alles teurer wird, suchen wir gezielt nach Sonderangeboten und stellen uns jeweils eine Einkaufsroute zusammen. Die ist in jeder Woche anders. Mit dem Auto ist das kein Problem. Und ich muss nicht bepackt mit vielen Einkaufstaschen in einem schwankenden Bus stehen.
Türkis Da unterscheiden sich unsere Lebensgewohnheiten. Ich bekomme meinen kompletten Grundbedarf als Abo von einem Bio-Bauern aus Velbert. Der liefert einmal pro Woche mehrere frische Kisten mit dem E-Transporter an. Und ich habe immer eine Einkaufstasche dabei und mache nicht einen großen Wochenendendeinkauf, sondern verteile das auf viele kleine Einkäufe im Vorübergehen. Dafür ein Auto anzuschaffen, das durchschnittlich elf Stunden pro Tag nur rumsteht und Platz wegnimmt? Wer ab und an ein Auto braucht – zum Beispiel für den Wochenendeinkauf – sollte Carsharing nutzen.
Neubauer Das hatten wir bis vor Kurzem in Mettmann. Ein einziges Auto, das ist mittlerweile abgeschafft worden. Und auch in anderen Städten, in denen ich war, sind Car-Sharing-Modelle immer mit viel Schwung gestartet und innerhalb des ersten Jahres wurden sie eingestellt. Warum ist das wohl so?
Türkis All diese Projekte sind zu klein dimensioniert und nicht strategisch aufgesetzt, will heißen, mit dem ÖPNV und auf die Bedürfnisse in einem Wohnviertel abgestimmt. Meist braucht Car-Sharing eine Anschubfinanzierung durch die jeweilige Stadt. Dort ist man dann sehr zurückhaltend. Deswegen rollen zu wenige Fahrzeuge an den Start. Wir brauchen deutlich mehr Mittel von Bund und Land. Eine Stadt allein ist damit überfordert. Und wir brauchen Mobilitätsstationen mit ausleihbaren Autos, E-Bikes und Lastenrädern, die an ein Viertel angebunden sind – also dort sind, wo die Nutzer wohnen.
Neubauer Und dann muss ich überall Kunde werden, Grundpreise zahlen, habe viele verschiedene Systeme und Regelwerke kennenzulernen. Ähnlich wie das Tarifsystem in Bussen und Bahnen ist das alles sehr kompliziert und man ständig das Gefühl, nicht genug bezahlt zu haben oder was falsch zu machen.
Türkis Tatsächlich passiert es auch mir mal, dass ich eine Wabe weiterfahre als es mein Ticket erlaubt. Oder versuchen Sie mal, von Gruiten zur Köln-Arena zu kommen. Das geht eigentlich ganz einfach in einer guten halben Stunde, aber man ist in zwei unterschiedlichen Verkehrsverbünden unterwegs. Dass wir das aufbrechen müssen, hat das NeunEuro-Ticket gezeigt. Endlich musste man sich mal keine Sorgen um Preis und Strecke machen. Das war ein großer Teil des Erfolgs. Deshalb glaube ich, dass wir wenigstens ein NRW-Ticket brauchen. Der VRR experimentiert gerade mit dem EezyTarif. Da checkt man mit seinem Handy beim Einsteigen in einen Bus ein und am Ende der individuellen Fahrtroute, inklusive umsteigen, wieder aus. Und man zahlt nur die gefahrene Strecke. So etwas würde den Tarifdschungel lichten – was dringend nötig ist.
Neubauer Scheint auch eher etwas für digitale Pfadfinder zu sein. Mit meinem E-Auto bin ich hingegen künftig Teil der Strominfrastruktur, weil die Autobatterie Energie speichern und abgeben, so wie es gebraucht wird. Da müsste Ihnen doch das grüne Herz leuchten…
Türkis Na ja, das ist jetzt aber ziemliche Zukunftsmusik. Heute stellen E-Autos den öffentlichen Raum genauso zu wie Verbrenner-Fahrzeuge. Und die Klimabilanz von Elektrofahrzeugen ist aufgrund der Herstellung äußerst fragwürdig. Das Wichtigste aus meiner Sicht ist aber: E-Autos sind schweineteuer. Mobilität aber ist ein Grundbedürfnis von allen – und nicht nur für die Reichen. Das gibt es nur mit dem ÖPNV, ergänzt um On-Demand-Angebote, das Fahrrad in den Innenstädten und E-Car-Sharing-Modelle. Eine Ausnahme: Ältere Menschen und Menschen, deren Mobilität eingeschränkt ist, können oft nicht auf ein Auto verzichten.
Neubauer Wenn Sie demnächst an der Haltestelle stehen, nehme ich Sie dennoch mit. Dann können Sie mich gleich ein wenig in Tarifkunde und Verbindungssuche unterrichten.
Türkis Das ist gar nicht schwer – Sie werden sehen.